Hamburg. Die Hansestadt punktet mit Attraktivität, Wirtschaftskraft und Tradition. Im europäischen Konzert aber wird sie zu oft noch überhört.

Für viele Einheimische ist die Sache klar: Hamburg ist die schönste Stadt der Welt. Für die Welt hingegen sieht das etwas anders aus. Schon bei manchen Nachbarn rangiert Hamburg unter „ferner liefen“. Die sechstgrößte Stadt der EU ist vielen unbekannt. Das zu ändern ist die Aufgabe von Rolf Strittmatter. Seit bald einem Jahrzehnt leitet er die Geschicke der Hamburg Marketing GmbH. Seine Mission: Hamburg bekannter und attraktiver zu machen.

„Unsere Erfahrung ist, dass der, der nach Hamburg kommt, die Stadt mit Lust auf Neues verbindet – seine Erwartungen werden sogar übertroffen“, sagt der 54-Jährige im Podcast „Was wird aus Hamburg?“.

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Hamburg, das schöne Kind, das keiner kennt?

Was wird aus Hamburg? - Der Stadtentwicklungs-Podcast

„Unser Problem ist die Bekanntheit der Stadt – da haben wir ein Defizit, nicht national, nicht in den direkten Nachbarstaaten, aber interkontinental. München mit dem Oktoberfest und Berlin mit seiner Geschichte stehen stärker im Fokus.“ Auch Frankfurt werde international als Finanzmetropole stärker wahrgenommen.  

Marketing-Experte Strittmatter: „Wir sind tendenziell Nummer vier in Deutschland“

„Wir sind tendenziell Nummer vier in Deutschland. Das ist wahrscheinlich die größte Schwäche der Stadt. Wir stehen nicht auf der Shortlist der großen internationalen Metropolen und können deshalb unsere Standortfaktoren, unsere Attraktivität, unsere Stärken nicht so ausspielen. Das erinnert an ein schönes Kind, das nicht hinausgeht. Keiner kennt es, es ist nur für sich schön. Bekanntheit und Außenwahrnehmung aber hängen eng miteinander zusammen.”  

An diesem Punkt setzt die Hamburg Marketing GmbH seit ihrer Gründung 2004 an. Ein Versuch, mit spektakulärer Architektur die Stadt auf die Weltkarte zu zaubern, war die Elbphilharmonie. „Das hat uns nach vorne katapultiert“, sagt der gebürtige Badener. „Paris braucht den Eiffelturm, Berlin das Brandenburger Tor, Sydney die Oper, wir die Elbphilharmonie. Sie ist eine Ikone, ein Symbol für Hamburg geworden und hat die Bekanntheit gesteigert. Es hat mit diesen Symbolen als mentaler Anker zu tun, wenn Menschen entscheiden, wohin sie reisen, wo sie wohnen oder studieren möchten.“  

Strittmatter: „Hamburg ist tatkräftiger, neugieriger und mutiger, als es denkt“

Das schöne Kind soll also an die frische Luft: „Hamburg ist tatkräftiger, neugieriger und mutiger, als es denkt.“ Das zeigten auch die Markenanalysen, die die Marketinggesellschaft seit 2004 in Auftrag gegeben hat. In einer großen internationalen Umfrage landet die Hansestadt bei der „Place Performance“, der Erfüllung der persönlichen Bedürfnisse, mit einem Wert von 7.3 (10=perfekt) auf einem vorderen Platz knapp hinter Kopenhagen, aber gleichauf mit Oslo, Barcelona und Wien.

Seine Wahrnehmung von Hamburg war positiv, als Strittmatter Anfang 2015 seinen Job antrat: „Ich empfand Hamburg als extrem attraktiv mit seiner guten Mischung aus Lebensqualität, Wirtschaftskraft, Innovationskraft. Gerade im Vergleich zu Berlin müssen wir uns absolut nicht verstecken.“ So gründeten Start-ups in Berlin, wechselten dann aber mitunter nach Hamburg oder München, weil hier die Zukunftsperspektiven besser sind.

Warum die Stadt von der Musik- und Clubszene profitiert

„Hamburg hat sich als Marke entwickelt. Zunächst waren es vor allem Orte – die Elbe, der Hafen, die Landungsbrücken, die Speicherstadt –, die Menschen mit der Stadt verbanden. Jetzt sind es auch Emotionen und Charaktereigenschaften: Hamburg gilt als innovativ, zukunftsorientiert, dynamisch, tolerant und weltoffen“, erklärt Strittmatter. Diese Attribute passten zu Hamburg und seiner Geschichte als Ort der Meinungsfreiheit und einer starken Bürgergesellschaft.

Dr. Rolf Strittmatter, Vorsitzender der Geschäftsführung der Hamburg Marketing GmbH, mit dem Goldenen Löwen.
Dr. Rolf Strittmatter, Vorsitzender der Geschäftsführung der Hamburg Marketing GmbH, mit dem Goldenen Löwen. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Zugleich leitet sich aus dieser Sicht ein Auftrag ab: Es gilt, sich immer wieder als die norddeutsche Metropole zu präsentierten, die lebenswert ist und Lust auf Neues hat. Dazu zählt Strittmatter die Musik- und Clubszene, das Kulturangebot, aber auch die grünen Landschaften und die Ost- und Nordsee in unmittelbarer Nähe. 

Hamburg will sich als Wissensmetropole und Standort von Innovation positionieren

Jetzt will der promovierte Geograf die Stadt im Ausland noch stärker als Wissensmetropole und Standort von Innovation positionieren. „Wir haben bei Forschung und Entwicklung enorm zugelegt, wir haben mit dem Desy eine Elbphilharmonie der Wissenschaft, aber auch viele Start-ups und innovative Unternehmen.“ Hamburg habe viele Erfolgsgeschichten zu erzählen: die Entwicklung der Science City, die Exzellenz der Universität, der Nobelpreis für die Klimaforschung. „Da sind wir eine der wenigen europäischen Metropolen, die mit einem Plan unterwegs sind.“ 

Hamburg Marketing hat insbesondere drei Zielgruppen im Blick: Besucher, Talente und Unternehmer. „Die größte Herausforderung für Hamburg sind wahrscheinlich die Talente. Sie schauen aus Imagegründen erst mal Richtung Berlin, vielleicht nach München.“ Der Kampf um Talente aber sei ein zentrales Zukunftsthema der Stadt. „Heute entscheiden weniger die Flächen oder die Förderpolitik über Investitionen als vielmehr die Verfügbarkeit von Fach- und Arbeitskräften.“

Vor Jahren griffen Künstler Hamburg Marketing frontal an

Wer sich um Zugereiste kümmert, bekommt schnell Probleme mit den Einheimischen. Zunächst war die Hamburg Marketing umstritten. In ihrem Manifest „Not in our name, Marke Hamburg“ kritisierten Künstler 2009 die Idee an sich: „Es geht darum, ein bestimmtes Bild von Stadt in die Welt zu setzen: Das Bild von der ‚pulsierenden Metropole‘, die ‚ein anregendes Umfeld und beste Chancen für Kulturschaffende aller Couleur‘ bietet. Eine stadteigene Marketing-Agentur sorgt dafür, dass dieses Bild als ‚Marke Hamburg‘ in die Medien eingespeist wird. Sie überschwemmt die Republik mit Broschüren, in denen aus Hamburg ein widerspruchsfreies, sozial befriedetes Fantasialand mit Elbphilharmonie und Tabledance, Blankenese und Schanze, Agenturleben und Künstlerszene wird.“ 

Strittmatter verweist darauf, dass die Positionierung Hamburgs nicht im stillen Kämmerlein geschieht. Inzwischen investiert die Stadt viel mehr Zeit und Energie in Bürgerbeteiligungsprozesse. Zugleich warnt er: „Wir sprechen oft darüber, wie wir leben wollen, aber zu selten darüber, wovon wir zukünftig leben wollen. Das wird nicht funktionieren“, sagt der Volkswirt. 

Städtevergleich: Was macht Kopenhagen besser?

Wie es gut funktioniert, zeigt Kopenhagen – der Dauersieger in den Metropolen-Rankings. „Ich hätte fast Kopenhagen als meine Lieblingsstadt genannt – oder Wien, wo meine Tochter lebt“, sagt der dreifache Vater. Kopenhagen hatte seiner Ansicht nach andere Startvoraussetzungen. „Hamburg ist eine Industrie- und Hafenstadt, die sich immer aus sich selbst heraus entwickeln musste. Kopenhagen konnte sich im Stillen neu erfinden und hat das sehr gut geschafft.“ 

Davon kann auch Hamburg profitieren. Denn die Landkarten werden neu gezeichnet. „Kammerpräses Norbert Aust hat Hamburg als die südlichste Metropole Skandinaviens bezeichnet. Ich stamme aus einem Dreiländereck und kenne die Vorteile“, sagt er.

Die Idee einer gemeinsamen Olympia-Bewerbung mit Kopenhagen sieht er positiv. „Spiele in Hamburg und Kopenhagen, vielleicht mit Südschweden, hätten einen gewissen Aha-Effekt, das würde gut passen. Wir müssen darauf achten, dass wir nach wie vor gute Events in die Stadt holen.“ So war das WM-Sommermärchen 2006 die Meisterprüfung von Hamburg Marketing. „Mit der Euro 24 knüpfen wir daran an.“

EM-Auslosung brachte der Stadt einen Goldenen Löwen in Cannes

Manchmal trauert Strittmatter der verpassten Chance Hamburgs auf Sommerspiele 2024 hinterher. „Wenn ich am Grasbrook vorbeifahre, stimmt mich das manchmal immer noch traurig“, sagt er. „Nun sind die Spiele in Paris, da blutet einem das Herz. Mit der Euro 2024 haben wir aber ein anderes Großereignis, das uns auf die Weltkarte setzt.“

Übrigens eines, mit dem sich die Stadt sehr gut inszenieren konnte. Die EM-Auslosung fand in der Elbphilharmonie statt, die Bilder von den 24 gestapelten Containern vor der Hafenkulisse in den Farben der Teilnehmerländer gingen um die Welt und wurden in Cannes prämiert. „Zur Eröffnung der Elbphilharmonie gab es einen Bronzenen Löwen, mit dem Goldenen erhalten wir nunmehr die international größte Auszeichnung.“

„Der Hafen ist für mich das Herz der Stadt“

Die Container, die Elbphilharmonie, die EM – Hamburg präsentiert sich als Stadt, die Lust auf Neues hat. Und der Hafen ist dabei von zentraler Bedeutung auch für das Marketing. „Der Hafen ist für mich das Herz der Stadt, die Stadt selber ist der Körper, beides funktioniert nicht ohneeinander.“ Auch bei der Umfrage waren sich Bewohner, Besucher, Talente und Unternehmer in einem Punkt einig: Der Hafen ist die Hauptattraktion.

Strittmatter will ihn weiterdenken zum „Freihafen für Innovationen“. Früher seien in der Speicherstadt Gewürze, Kaffee und Teppiche gelagert worden. „Warum speichern wir nicht heute einfach Ideen, Konzepte, Technologien und sind ein Freihafen für Innovation? Der Hafen kann ein Zukunftsort für Industrie und erneuerbare Energien werden.“

Unpünktlichkeit der Bahn wird zum Problem für den ganzen Standort

Auch die Ansiedlung des Batteriewerks von Northvolt in Heide sei ohne Hamburg nicht denkbar. „Wir gehen davon aus, dass rund 2000 der 3000 hoch qualifizierten Arbeitskräfte in Hamburg leben werden.“ 

Wo Licht ist, ist auch Schatten. Längst entpuppt sich die Deutsche Bahn als Problem für das Stadtmarketing: „Das ist nicht nur für das Hamburger Image, sondern für ganz Deutschland gravierend.“ Allerorten würden bei der EM Fans anderer Länder ermahnt, sehr viel Zeit einzuplanen. „Das ist für die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt kein gutes Signal, kein gutes Image. Da können wir als Stadt wenig bewirken, weil dieses Problem auf Bundesebene spielt.“ 

Strittmatter hofft auf neue Direktverbindungen nach Asien und in die USA

Den Hamburger Flughafen, der anders als Frankfurt oder München kein Drehkreuz ist, sieht Strittmatter hingegen nicht als Standortschwäche. „Das halte ich nicht für so gravierend. Passagiere internationaler Flüge sind gewohnt, umzusteigen – dann ist man schnell in Hamburg.“ Natürlich wäre es wünschenswert, einen Direktflug in die USA zu haben wie auch eine Verbindung in Richtung Asien.

„Mit den neuen Flugzeugtypen von Airbus könnte die eine oder andere Tür für uns noch aufgehen. Die Gespräche sind immer wieder sehr konstruktiv, das Interesse der Gesellschaften steigt.“ Der 54-Jährige betont aber angesichts der in der Vergangenheit oft gescheiterten Versuche: „Da müssen wir als Metropolregion dafür sorgen, dass wir diese Flüge ausgelastet bekommen.“ Hier spielten die Wirtschaft und Geschäftsreisen eine große Rolle. 

Das Desaster um den Elbtower sieht er sportlich

Wie oft muss Strittmatter als Geschäftsführer der Hamburg Marketing die Baustelle am Elbtower erklären? „Weniger oft, als man denkt. Investoren sehen das eher im Kontext der Krise der gesamten Branche. Da alle Städte in Deutschland davon betroffen sind, wird wenig mit den Fingern gezeigt. Manchmal haben wir eine Leidenschaft, uns schlechterzureden, als wir eigentlich sind.“ Er sieht positiv, dass sich Investoren wie Dieter Becken für einen Weiterbau engagieren oder Unternehmer wie Arne Weber neue Ideen entwickeln.  

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Was wünscht er Hamburg? „Die Stadt sollte weiterhin mutig und neugierig vorangehen. Hamburg wird inzwischen als Zukunftsstadt und Wissensmetropole wahrgenommen.“ Manchmal würde er sich – bei aller berechtigten Selbstkritik – wünschen, dass Hamburg auch bei Misserfolgen „hanseatisches Understatement“ an den Tag legt. „Das ist ein deutsches Phänomen, uns sehr viel kritischer als die Außenwelt zu sehen. Man muss auch einmal klar und deutlich darüber sprechen, was gut läuft. Wir leben in einer schönen und interessanten Stadt, die alle Chancen für die Zukunft hat. Ich weiß nicht, ob das schon alle verstanden haben.“ 

Fünf Fragen an Rolf Strittmatter

Meine Lieblingsstadt ist Freiburg, das hat mit Emotionen zu tun. Hier habe ich studiert, hier wurden unsere Kinder geboren. Die Stadt bietet den perfekten Mix: Sie hat mehr als 200.000 Einwohner, davon viele Studenten, eine interessante Kneipenszene und sehr schöne Landschaften im Dreiländereck Schweiz, Deutschland und Frankreich.

Mein Lieblingsstadtteil ist Ottensen. Ich bin vor einigen Jahren in die Nachbarschaft gezogen und möchte seitdem nicht mehr weg. 

Mein Lieblingsort ist der Jenischpark. Ich liebe es, nach dem Job an der Elbe laufen zu gehen. Der Jenischpark ist mein erstes Ziel. Da kommt man runter, da kann man auf die Elbe gucken und das Grün genießen. Manchmal laufe ich weiter zur Kajüte in Blankenese und trinke dort ein alkoholfreies Bier. 

Mein Lieblingsgebäude als Hamburg-Marketing-Chef ist natürlich die Elbphilharmonie. Mir kommt zudem die Oberhafenkantine in den Sinn, wo ich sehr gerne bin. Das ist ein origineller Ort mit einer besonderen Atmosphäre – im wahrsten Sinne des Wortes ein schräges Gebäude. 

Einmal mit der Abrissbirne würde ich über Teile des Bahnhofs Altona nachdenken. Das Gebäude muss als zukünftiger S-Bahnhof dringend schöner werden. Dass es funktioniert, beweist der Bahnhof Dammtor. Erst einmal aber hoffe ich jetzt auf den Fernbahnhof in Diebsteich.