Hamburg. Frederik und Gerrit Braun begannen 2001 mit dem Miniatur Wunderland. Inzwischen haben sie eines der beliebtesten Reiseziele geschaffen.

Die Idee klang so bescheuert, dass viele Journalisten in der Stadt die Einladung lasen, lachten, lochten – und vergaßen. Eine Modelleisenbahn als Attraktion für Hamburg? Waren da einige nicht erwachsen geworden? Wollten sie ihr Geld versenken? Oder waren sie einfach verrückt?

Wie man sich irren kann: Ein Vierteljahrhundert später haben Abermillionen die Böden der Speicherstadt besucht, viele Metropolen neiden den Hamburgern ihr Wunderland, ständig versuchen Investoren, die Erfinder anzuwerben. Ihre Stadtentwicklung im Format 1:87 verdreht den Menschen den Kopf. 289.000 kleine Einwohner auf 1610 Quadratmeter Modellfläche, die Leben erzählen, Alltägliches wie Außergewöhnliches. Die Hamburger haben eine Welt erschaffen.

Aus dem Disko-Leben zum Miniatur Wunderland

Alles begann aus purem Zufall. „Wir hatten damals die Großraumdisco Voilà in Wandsbek. Die ersten drei, vier Jahre waren genial. Aber irgendwann wurde mir das Nachtleben zu oberflächlich“, berichtet Frederik Braun im Podcast „Was wird aus Hamburg“ von den Anfängen. „Das Nachtleben ist nicht mein Leben.“ So wurde der Kopf frei für etwas Neues. Im Juli 2000 verbrachte Braun einige Tage mit seiner Freundin und einer Bekannten in Zürich. Während die Frauen in einem Käsegeschäft einkaufen gingen, entdeckte er in einer Gasse ein kleines Modellwarengeschäft. „Da bin ich hineingegangen, ich weiß gar nicht warum. In dem Laden fühlte ich mich in meine Kindheit versetzt. Gerrit und ich waren früher sehr eisenbahnverrückt.“

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In dem kleinen Geschäft wurde eine große Idee geboren: „Keine fünf Minuten später habe ich Gerrit angerufen und gesagt, wir bauen die größte Modelleisenbahn der Welt.“ Sein Bruder reagierte erst genervt, doch Frederik ließ nicht locker. „Abends habe ich ihn wieder angerufen und gesagt, da hatte Gerrit schon im Internet recherchiert, ob es etwas Vergleichbares gibt.“ Das, was die Brüder – der Dritte im Bunde war ihr Geschäftspartner Stephan Hertz – gerade erfunden hatten, gab es nicht: Ein Miniatur Wunderland, das alle fasziniert, nicht nur Modelleisenbahn-Fans. „Wir wollten eine Welt in Klein erschaffen und viele tolle Geschichten erzählen.“

Am Anfang schüttelten viele den Kopf über die Unternehmer

Mit dieser Idee sprachen sie Journalisten an – doch nur die „Bild“-Zeitung und das Abendblatt reagierten. Auf die Artikel hin meldeten sich die ersten Modellbauer bei den Brauns, bald unterschrieben die Gründer einen Mietvertrag in der Speicherstadt. „Zu der Zeit lagen die Gebäude noch im Zollgebiet hinter einem hohen Zaun. Hinein kam man nur durch besondere Durchgänge – ab 19 Uhr war Schluss. Aber uns war klar, dass die HafenCity kommt, die Speicherstadt aus dem Zollgebiet entlassen wird und sich wahnsinnig viel verändern wird.“

Die Eröffnung des Monaco-Abschnitts im Miniatur Wunderland.
Die Eröffnung des Monaco-Abschnitts im Miniatur Wunderland. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Die Verpackung, der historische Boden in der Speicherstadt, war das eine, die Inhalte das andere. Mit 300 Quadratmetern begannen die Brüder bescheiden – mit der Fantasiestadt Knuffingen, dem Harz und Österreich. „Wir haben am Anfang noch fertige Bausätze zusammengeklebt.“ Wer heute die perfekten, selbst gebauten Gebäude, den Hafen und Flughafen, Berge und Sehenswürdigkeiten sieht, mag es kaum glauben.

Das Wunderland hängt sogar Schloss Neuschwanstein ab

In den vergangenen Jahren wurde das Wunderland mehrfach zur beliebtesten Attraktion Deutschlands gewählt. Ob Kölner Dom, Elbphilharmonie oder Schloss Neuschwanstein, sie alle landen hinter dem kleinen Großbauwerk in der Speicherstadt. Wie sehr die Hamburger über die Grenzen strahlen, zeigte sich Ende April bei der Eröffnung des Monaco-Abschnitts. Die Fürstenfamilie reiste aus Monte Carlo an, um das Pendant an der Elbe zu eröffnen und die Formel 1 zu starten. „Das ist eine Ehre, die kann man nicht in Worte fassen“, sagt Frederik Braun.

1,525 Millionen Menschen besuchten 2023 den Bau der Brüder Braun – Rekord. „Das Fassungsvermögen lässt eigentlich nicht viel mehr Zuschauer zu“, sagt der Vater von fünf Kindern. Das Wunderland lockt teilweise von 7 Uhr morgens bis eine Stunde nach Mitternacht Frühaufsteher wie Nachteulen. Doch nicht nur Zeit und Raum sind begrenzt, die Besucher sollen auch genug Platz für ihre Entdeckungen haben. „Wir könnten an einigen Tagen bis 3 Uhr nachts öffnen und hätten immer noch Wartezeiten. Aber irgendwann muss die Anlage gereinigt und repariert werden“, sagt Braun. Rund 5000 Personen bekommen täglich Einlass, an manchen Tagen könnte das Wunderland viermal so viele Karten verkaufen.

Jeder 40. Weltbürger hat das Wunderland im Video gesehen

„Wir spüren, dass immer mehr Menschen ins Wunderland wollen. Einerseits gibt es einen Nachholbedarf durch Corona, andererseits wirkt die weltweite Publicity“, sagt Braun. Selbst die größte Krise verwandelten die Unternehmer in eine Chance: In der Pandemie, als Zugangsbeschränkungen und Lockdown jede Sehenswürdigkeit leerten, gingen Bilder aus der Speicherstadt um die Welt.

„Im April 2021 haben wir das längste Medley klassischer Musik gespielt. Dafür fuhr eine Rangierlok mit mehreren Schlagstangen an Tausenden mit Wasser gefüllten Gläsern vorbei.“ Rund 40 Personen hatten zuvor eine Woche lang die Gläser gestimmt. Das Video ging viral um die Welt. „Jeder 40. Mensch auf der Welt hat es gesehen. Und jeder zweite hat gefragt, wo ist das?“

Die Wunderwelt im Format 1:87 hat längst die Grenzen überwunden – und verbindet Völker. Bei den Abschnitten Rio und Patagonien arbeiteten die Wunderländer mit Modellbauern aus Argentinien zusammen. „Unser Antrieb ist zu bauen. Wir wollen nicht nur verwalten und alte Anlagen sanieren.“

Bald müssen die Macher auch Hamburg umbauen

Doch auch das steht nun an, findet Frederik Braun: „Irgendwann müssen wir an Hamburg ran. Das wird dann ein städtebauliches Projekt.“ Groß reden möchte der gebürtige Hamburger darüber nicht: „Ich ahne, dann kommt jedes Autohaus, jede Tankstelle, jede Firma, jede Spedition und will ihr Gebäude dort sehen.“

Braun stellt eine andere Frage: Was wollen die Hamburger? Was die Touristen, die 90 Prozent der Besucher stellen? Und was die 30 Prozent der Gäste, die aus dem Ausland kommen?“ Eine Hoffnung räumt Braun im Voraus ab – die Frage nach dem zweiten Stadion. „Das ist eine ewige Diskussion, warum nur das Volksparkstadion im Wunderland steht. Ein Stadion muss reichen.“

Der Abschnitt Hamburg sei 2002 gebaut worden – und deshalb werde immer wieder das „unglaublich spannende 4:3“ dort gezeigt. „Das haben viele HSV- und Pauli-Fans als eines der besten Spiele in Erinnerung. Lassen wir es einfach so.“ Ob das der einzige Grund ist? Frederik Braun gibt zu: „Ich bin Hardcore-HSV-Fan, freue mich aber trotzdem über den Aufstieg von St. Pauli.“

Frederik Braun: „Ein neues Hamburg wäre ein Riesenprojekt“

Zumindest eine Straße vom Kiez soll im Wunderland der Zukunft verewigt werden: die Reeperbahn. Ohnehin würden sie einen Hamburg-Abschnitt heute anders bauen. „In den letzten drei Abschnitten sind alle Häuser Eigenentwicklungen.“ Monaco sei nur ungefähr halb so groß wie Hamburg, habe aber mindestens 15-mal so lange gebraucht. „Ein neues Hamburg wäre ein Riesenprojekt.“

Als Modellbauer schaut Braun anders auf die Stadt als früher – vor allem auf die Menschen. „Im Hamburg-Abschnitt stehen die Menschen noch in Dreiergruppen auf dem Gleis und unterhalten sich. Heute stehen sie allein und blicken nach unten auf ihr Smartphone. Das gab es damals noch nicht, das müssten wir ändern.“

Wunderland-Gründer Frederik Braun.
Wunderland-Gründer Frederik Braun. © FUNKE Foto Services | Mark Sandten

Was kommt als Nächstes? „Großbritannien ist bis auf Weiteres auch wegen des Brexits verschoben worden“, sagt Braun. Die Modellbauer haben aus Verärgerung über den Abschied des Königreichs von Europa ihre Pläne geändert: „Jetzt bauen wir den Regenwald am Amazonas und die Atacama-Wüste sowie Chile, Bolivien und Peru.“ Das geschieht an zwei Orten gleichzeitig, in Hamburg und in einem Vorort von Buenos Aires mit der Familie Martinez. Später könnte England als Mutterland der Eisenbahn folgen – und auf weiteren Böden Asien, der Mittlere Osten, vielleicht noch ein Afrika. Auch Frankreich und die Benelux-Länder könnten in den kommenden 15 Jahren im Maßstabe von 1:87 entstehen: Die Länder gehen den Zwillingen so schnell nicht aus.

„Das Schöne am Wunderland: Es ist nie fertig.“

Und die Motivation auch nicht: „Für das Wunderland wird man nie zu alt“, sagt Braun. „Ich habe immer diesen Tatendrang gehabt und ständig neue Ideen. Das Schöne am Wunderland: Es ist nie fertig.“ Jede neue Idee könne er direkt in der Speicherstadt verwirklichen.

Braun verrät, dass es viele Angebote gab, das Modellbauteam abzuwerben. „Die Anfragen füllen längst Ordner“, sagt der 56-Jährige. Es habe angefangen mit der Fertigstellung des USA-Abschnitts im Jahr 2003. „Das war das erste Mal, dass wir weltweit im Fernsehen waren. Wochenlang waren TV-Teams bei uns. Inzwischen geht fast jeden Tag eine Anfrage irgendwo aus der Welt ein, ob wir dort ein Wunderland bauen wollen.“ Aus Südkorea habe es rund 20 Anfragen gegeben, aus China sogar mehr als 30.

Und wie haben die Braun-Brüder reagiert? „Wir haben alles abgelehnt.“ Der Grund liegt tiefer: „Das hier ist Liebe: Unsere Welt ist gewachsen, hier arbeitet ein geniales Team, wir sind frei. Anderswo müssten wir ein Budget erfüllen, einen Zeitrahmen einhalten, den Investoren gefallen. Darauf habe ich keinen Bock. Es zieht mich gar nichts in die Welt. Ich habe ein Wunderland, das mich total erfüllt. Ich habe ein schönes Haus, eine tolle Familie, ein E-Auto. Was brauche ich mehr?“

Abu Dhabi bot den Zwillingen 100 Millionen Euro

Das große Glück sei, dass die drei Unternehmer gleich ticken. „Irgendwann kam ein Angebot aus Arabien, da standen plötzlich zehn Scheichs unangemeldet am Eingang. Wir haben sie ins Besprechungszimmer gebeten, denen ging es nur darum, wann wir anfangen. Die haben ein Nein gar nicht verstanden.“ Schließlich fragten die Geschäftsmänner, ob 100 Millionen Dollar reichen. „Da bin ich schon ein bisschen zusammengezuckt.“

Auch der Michel ist im Miniatur Wunderland im Kleinformat zu sehen.
Auch der Michel ist im Miniatur Wunderland im Kleinformat zu sehen. © DPA Images | Markus Scholz

In Hamburg wurden in 24 Jahren ungefähr 40 Millionen verbaut. „Ich bin dann zu Gerrit und Stephan gegangen und habe gesagt, surreal, was gerade passiert. Wollen wir eine Nacht über das Angebot schlafen?“ Am nächsten Morgen trafen sich die drei und antworteten gleichzeitig: „Drei laute und deutliche Neins. Dann haben wir gelacht und sind wieder an die Arbeit gegangen.“

Das Nein zu Olympia schmerzt die beiden bis heute

Viele haben versucht, den Erfolg der Hamburger im wahrsten Sinne des Wortes nachzubauen. Ein prominentes Beispiel war Gulliver‘s Gate in Manhattan. „Die Macher haben 40 Millionen US-Dollar von Investoren eingesammelt – und ein halbes Jahr später waren sie pleite“, sagt Braun. „Das war nett, aber die Liebe fehlte. Am Ende kamen Architekturmodelle heraus.“

Ein Thema, für das die Braun-Brüder brannten, waren Olympische Sommerspiele in Hamburg. Nun finden diese Weltspiele im Sommer in Paris statt – und Frederik Braun leidet. „Das ist kein Phantomschmerz, das ist ein echter Schmerz. Was war das für eine Chance für Hamburg – städtebaulich wie emotional!“ Er könne die Kritik am Kommerz und dem IOC verstehen, glaubt aber weiterhin, dass ein Großteil der Bevölkerung im Herzen dafür war.

„Wir hätten diese Abstimmung zu jedem Zeitpunkt gewonnen, wenn sie nicht im November 2015 gewesen wäre. Da kam alles zusammen: Flüchtlingskrise, die Anschläge von Paris, die Äußerung von Schäuble, die Spiele nicht zu finanzieren. Ich bin felsenfest davon überzeugt, wir hätten die Spiele bekommen.“ Das Konzept sei einzigartig gewesen, das nachhaltigste und modernste Konzept, das Olympia jemals gehabt hat. „Auch in den aktuellen Bewerbungen gab es nie wieder ein so perfektes Nachnutzungskonzept.“

„Hamburg hat in der Vergangenheit vieles richtig gemacht.“

Ob sich Hamburg noch einmal bewerben sollte, vielleicht gemeinsam mit Kopenhagen? Braun zögert: „Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Hamburg 2024 war der perfekte Zeitpunkt und das perfekte Konzept. Ich weiß nicht, ob das in Zukunft wieder so passt. Ich habe mich auch zu wenig damit beschäftigt, weil ich es verdrängt habe.“

Eines ist Braun wichtig: „Ich möchte um Gottes willen nicht, dass Hamburg irgendwann drei Millionen Einwohner hat oder riesengroß wird.“ Wachstum, auch der Tourismus, seien ein schmaler Grat. „Hamburg hat in der Vergangenheit vieles richtig gemacht. Wir sind realistisch, bodenständig, zielorientiert, aber nicht überheblich oder arrogant.“ Diese Eigenschaften spiegelten sich im Stadtbild.

„Wir überlegen uns alles gut – den Elbtower vielleicht mal ausgeklammert. Aber auch der hätte klappen können. Das war zwar kein Understatement, aber eine faszinierende Begrüßung für jeden, der über die Elbbrücken hinüberfährt.“

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Sein Wunsch an Hamburg fällt bescheiden und groß zugleich aus. „Ich liebe diese Stadt. Und ich hoffe, dass wir es weiterhin schaffen, im Dialog zu bleiben, immer auch die Gegenseite anzuhören und sie nicht zu unterdrücken – sonst wandern wir in eine gespaltene Gesellschaft. In der Vergangenheit ist es gelungen. Also Hamburg, bleib, wie du bist.“

Fünf Fragen an Frederik Braun

Meine Lieblingsstadt ist natürlich Hamburg, die schönste Stadt der Welt. Ich bin hier geboren, ich wollte nie weg. Wir haben Tausende von Angeboten aus der ganzen Welt bekommen, Wunderländer zu bauen. Aber weil wir Hamburg so lieben, wären wir nie auf die Idee gekommen, das zu machen.

Meine Lieblingsstadtteile liegen an der Alster, weil ich das wahnsinnige Glück hatte, dort groß geworden zu sein: Erst Rotherbaum und Harvestehude, dann sind wir hinübergewechselt nach Winterhude. Und das ist tatsächlich auch immer noch mein Lieblingsstadtteil.

Mein Lieblingsgebäude ist das alte Rathaus der Speicherstadt, in dem die HHLA ihren Hauptsitz hat. Mit seinen Verzierungen ist es ein wunderschönes Gebäude, schön romantisch, fast kitschig. Eigentlich müssten wir es für das Wunderland einmal nachbauen. Das wäre aber wahnsinnig schwierig.

Mein Lieblingsplatz liegt auf der anderen Seite der Elbe: Neben dem Musical-Zelt der „König der Löwen“ gibt es einen kleinen Platz. Wenn man sich da abends mit einem Glas Wein hinsetzt, in einer lauen Sommernacht und rüber auf die Landungsbrücken schaut, ist das ein wunderschöner Ort. Hamburg auf einen Blick, da kriege ich Gänsehaut.

Einmal mit der Abrissbirne ... hat es die Hochhäuser getroffen, die mir ein Dorn im Auge waren: City-Hof am Hauptbahnhof.