Hamburg. Chef des Clubkombinats spricht über das Leiden der Hamburger Musikszene und darüber, mit welchen Schritten es verringert werden könnte.

In Hamburg steckt mehr Musik, als manche denken: Johannes Brahms und Felix Mendelssohn-Bartholdy sind Söhne dieser Stadt, Carl Philipp Emanuel Bach, Georg Philipp Telemann, Gustav Mahler und Georg Händel wirkten hier über lange Zeit. Die Beatles erlebten in der Stadt ihren Durchbruch, John Lennon brachte es auf den Punkt: „Ich bin in Liverpool aufgewachsen, aber in Hamburg bin ich erwachsen geworden.“ Mit der Hamburger Schule oder dem Reeperbahn-Festival ist die Hansestadt eine erste Adresse der Musik.

Während die Stadt von diesem Sound profitiert, kommen die Spielstätten unter die Räder. Das Schicksal des „Molotow, einer der beliebtesten Clubs im Land, hat die Menschen wie die Politik bewegt: Kurz vor Weihnachten hatte der Vermieter dem Molotow bis Ende Juni gekündigt, weil am Nobistor ein neues Hotel entstehen soll. Ein Sturm der Empörung wehte durch die Stadt, Tausende Menschen gingen auf die Straße, alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD machten sich für das Molotow stark. Mithilfe der Kulturbehörde konnte der Mietvertrag nun zumindest bis Ende des Jahres verlängert werden.

Schließung des Molotow brachte das Fass zum Überlaufen

„Das Molotow hat ein sehr hohes Ansehen durch seine mehr als 30-jährige Geschichte“, sagt Thore Debor, Geschäftsführer des Clubkombinats Hamburg e.V. „Aber die ungeheure Mobilisierung hat auch mich überrascht.“ Möglich gemacht hat das eine breite Allianz aus Künstlern wie den Beatsteaks oder Tocotronic, dem Publikum und St.-Pauli-Fans.

„Wahrscheinlich war das Molotow der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die Menschen merken, dass sich in der Stadt gerade etwas verändert.“ In den vergangenen Monaten grassiert das Clubsterben: Waagenbau, Astra Stube, Beat Boutique und Fundbureau verloren ihre Heimat an der Sternbrücke, weil dort eine neue Querung entstehen soll. Schließen musste das PAL in der Karolinenstraße. Die Liste ist lang. Und sie wird immer länger.

Clubs in Hamburg: Kapitalismus und Kultur auf Kollisionskurs.

„Wir reden hier über Verdrängung in einer hochverdichteten Stadt, in der Platz immer knapper wird“, so Debor. Kleine Clubs ziehen den Kürzeren, weil sie kaum in Lage sind, viel zu zahlen. „Ich kenne Mietverträge mit fünf Euro pro Quadratmeter und solche, bei denen die Miete weit über 20 Euro liegt. Je niedriger die Miete, desto mehr Kreativität, Experiment und Freiheit ist möglich, desto mehr Künstler finden dort eine Bühne.“ Zugleich öffnen sich weniger neue Räume und Orte, die Künstler für sich erobern können, wo Mieten niedrig und Anwohner tolerant sind. Es gibt sie kaum noch. Kapitalismus und Kultur auf Kollisionskurs.

Hamburgs Netzkarte der Musik, erstellt vom Clubkombinat. Allerdings geht die Geschichte über sie hinweg – die Clubs an der Sternbrücke mussten gerade schließen.
Hamburgs Netzkarte der Musik, erstellt vom Clubkombinat. Allerdings geht die Geschichte über sie hinweg – die Clubs an der Sternbrücke mussten gerade schließen. © Clubkombinat | Clubkombinat

Die wirtschaftliche Schwäche vieler Clubs vergrößert das Problem: „Die Clublandschaft hat nach der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg mit zusätzlichen Problemen zu kämpfen, die die wirtschaftlichen Existenzen von Musikclubs, Veranstaltern und Festivals zusätzlich bedrohen“, sagt der 47-Jährige. „Das sind gerade keine einfachen Zeiten.“

Noch immer leidet mit Ausnahme der Top-Acts die Kultur an Long-Covid: Die Besucherzahlen in den kleinen Spielstätten bleiben unter dem Vorkrisenniveau. Hinzu kommen angesichts steigender Preise sparsamere Gäste. Der Trend ist fatal: Man geht seltener aus und gibt dann weniger aus. „Ich mache mir Sorgen, dass wir bald nicht mehr genug Clubs haben. Das ist ein Epochenwandel.“

Hamburg hat zuletzt viele Clubs verloren

Die Bundesclub-Studie zählt 116 dieser Orte in Hamburg, das Clubkombinat kommt sogar auf rund 150. „Seit 2014 zählen wir alle zwei Jahre und werden die Bilanz 2022/23 im März veröffentlichen: Da werden wir einen Rückgang von sechs Musikspielstätten verkünden“, sagt Debor. Er kennt die guten wie die schlechten Zeiten der Branche. Als Student der Kulturwissenschaft stieg er vor gut 20 Jahren mit der Organisation des Lüneburger Lunatic Open-Air-Festivals in die Clubszene ein; 2008 baute er das „Klubsen“ in Hammerbrook mit auf. Seit 2012 arbeitet er für den Verband, der jüngst die Club Awards verlieh. Den Negativpreis, die Zerbrochene Gitarre, gab es für die Verdrängung von kulturellen Orten.

Debors Credo: „Wir müssen endlich die Rahmenbedingungen für Livemusik verbessern.“ Das klingt nach Brancheninteresse, doch es geht um mehr, viel mehr. Vor 20 Jahren veränderte ein Buch von Richard Florida den Blick auf die Stadtentwicklung. Der Wirtschaftswissenschaftler stellte in „The Rise of the Creative Class“ die These auf, dass nach dem Zeitalter der Industrialisierung eine Ära der Kreativität beginne.

Stadtforscher setzen seit Langem auf die Kraft der „kreativen Klasse“

Demnach sollten Städte auf die Ideen der kreativen Klasse setzen. Florida stellt einen Zusammenhang her zwischen der ökonomischen Stärke und der Zahl von Wissenschaftlern, Künstlern, Musikern und homosexuellen Menschen. Mit seinen Indizes wie dem Bohemian-Index, dem Gay-Index oder dem Diversity-Index meinte er, den Erfolg sogar messen zu können. Zwar wurden seine Ideen inzwischen teilweise infrage gestellt, ganz falsch aber sind sie nicht.

„Natürlich schauen junge Menschen, wie attraktiv das Nacht- und Kulturleben in einer Stadt ist“, sagt der gebürtige Hannoveraner. „Musikclubs sind im Wettbewerb ein Argument für Hamburg.“ Der renommierte Start-up-Monitor fragt als eine zentrale Kategorie für Unternehmensgründer die kulturelle Attraktivität eines Standortes ab. Hamburg landet hier mit 84 Prozent deutlich über dem Bundeswert (68) – leider ist das einer der wenigen Pluspunkte, während etwa die Nähe zu Universitäten deutlich schlechter bewertet wird.

„Allein die Beatles-Tradition ist ein unglaubliches Pfund, mit dem Hamburg wuchern kann“

Auch Stadtvermarkter setzen auf Musik als Standortfaktor: Sie lockt Besucher wie Neubürger oder Unternehmer. Die Elbphilharmonie hat die Kraft der Kultur bewiesen. 866 Millionen Euro flossen in den Prachtbau aus Backstein und Glas an der Kehrwiederspitze, entstanden ist ein Ort der Kultur und Musik, aber auch Wahrzeichen und Statement. „Music sells“. Deshalb bewerben Städte offensiv ihre Konzerthäuser und Musikfestivals, deshalb organisiert Hamburg das international gefeierte Reeperbahn-Festival.

Thore  Debor ist Geschäftsführer des Clubkombinats Hamburg e.V.
Thore Debor ist Geschäftsführer des Clubkombinats Hamburg e.V. © FUNKE Foto Services | Mark Sandten

„Allein die Beatles-Tradition ist ein unglaubliches Pfund, mit dem Hamburg wuchern kann“, sagt der Geschäftsführer des Clubkombinats. „Da sich die Szene über viele Jahrzehnte selbst organisiert hat, ist sie vielen vielleicht nicht so aufgefallen. Die Stadt weiß, was sie an der Musik hat und bemüht sich. Hamburg ist aber inzwischen derart verdichtet, dass die Kultur kaum mehr ohne staatliche Unterstützung Orte errichten kann.“ Deshalb bedürfe es zusätzlicher Anstrengungen. Er verweist darauf, dass die Beatles von morgen vielleicht schon heute in einem kleinen Club auftreten. Zur Erinnerung: R.E.M. spielte einst im Knust, Coldplay in der Großen Freiheit, Mando Diao im Molotow.

Thore Debor: Die Dichte der Musikclubs auf der Reeperbahn ist einzigartig

„Die Dichte der Musikclubs, ihre Vielfalt ist einzigartig, auch auf ihr gründet Hamburgs Ruf als Musikstadt“, so Debor. Das Reeperbahn-Festival nennt er einen Leuchtturm, der alljährlich ein Schlaglicht auf die Branche wirft. „Dieser Leuchtturm braucht ein Meer um sich herum – doch das trocknet gerade aus.“ Im Molotow schlage mit etwa 60 Konzerten das Herz bei diesem Festival.

Aber was ist so schlimm daran, wenn diese Clubs auch einmal aus Stadtteilen, die gentrifiziert erden, weiterziehen und andere Viertel aufwerten? „Betreiber brauchen Sicherheit, Clubs räumliche Konstanz“, sagt Debor. „Keiner will sich alle fünf Jahre mit der existenziellen Frage auseinandersetzen, wo er morgen seinen Laden öffnet.“ Das Beispiel der heimatlos gewordenen Astra-Stuben zeige, wie schwer es ist, einen neuen Ort zu finden. „Jetzt fehlt jeden Abend eine Bühne für Nachwuchsmusiker.“

Das Clubsterben ist längst ein internationales Phänomen

Das Clubsterben ist weder ein Hamburger Problem noch ein nationales, sondern treibt international Sorgenfalten auf die Stirn. „Wir müssen Stadtentwicklung endlich auch kulturell denken“, fordert Debor. Wo ist denn der Club in der Hafencity? Wo in der Neuen Mitte? Wo in Oberbillwerder? „Wir müssen in Zukunft diese Gemeinschaftsräume gleich mitdenken.“

Er schlägt als Lösung einen Milieuschutz für Kultureinrichtungen vor. „Das Thema muss auf die Agenda –das ist nicht nur etwas für die Kultur-, sondern auch die Stadtentwicklungsbehörde.“ Ihm schwebt ein „Agent of change“-Ansatz vor, den San Francisco verfolgt. Dort müssen Projektentwickler, die im Umfeld von Kultureinrichtungen Investitionen planen, zu einer Anhörung vor eine Entertainment-Kommission. „Bei drohender Kulturverdrängung kann ein Vetorecht diese Vorhaben stoppen“, sagt Debor. In allen Stadtentwicklungs- und Neubauvorhaben sollten verbindliche Vereinbarungen über kulturelle und soziale Flächen herbeigeführt werden, an denen geprobt, gespielt und Neues ausprobiert werden kann.

Club-Sterben: Nicht selten sind die Nachbarn schuld

Beim Paloma-Viertel indes ging das gehörig schief. Das Ensemble, in dem auch das Molotow seine Heimat zurückbekommen sollte, wurde mit Wünschen und Träumen, mit Chill-out-Area und Basketballflächen so überladen, dass der Investor am Ende abwinkte. Für Debor ein Skandal: „Daraus sollten wir lernen. Es kann doch nicht sein, dass eine Brache wirtschaftlicher ist als der Neubau.“ Er wünscht sich, dass die Stadt nun am Spielbudenplatz eingreift.

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Doch nicht jedes Problem wird die Politik lösen können. So berichtet Debor, dass die Zahl der Anwohnerklagen nach der Pandemie sprunghaft gestiegen ist. „Während Corona herrschte fast zweieinhalb Jahre lang Ruhe an zuvor lebendigen Orten. Daran haben sich manche Menschen gewöhnt.“ Auch der Subkultur-Dampfer MS „Stubnitz“ musste von der HafenCity an die Elbbrücken umziehen – das Leben war den Anwohner zu laut.

Der Hamburger Senat ist der Szene noch etwas schuldig

Immerhin: Der Bundestag will eine Novellierung der Baunutzungsverordnung und TA Lärm auf den Weg bringen, die Verbesserungen für Clubs und Kulturbetriebe bringen soll. „Es hakt aber an der Umsetzung. Auch die Hamburger Umweltbehörde hat sich bislang nicht auf die Seite der Musikclubs geschlagen.“ Und einen weiteren Wunsch formuliert der Lobbyist der Hamburger Clubs an den Senat: Die Branche fordert seit Langem eine kollektive Open-Air-Fläche. „Im Hafen ist doch Platz genug – da müsste sich eine solche Fläche finden.“

Wie heißt es so schön im Koalitionsvertrag von 2020? „Die Koalitionspartner setzen sich dafür ein, den Clubs für gemeinschaftliche Aktionen zur finanziellen Abmilderung des jährlichen Sommerlochs eine geeignete Freiluftveranstaltungsfläche zur Verfügung zu stellen.“ Seit vier Jahren ist nichts passiert. Der Weg zur Musikstadt ist manchmal nicht nur steinig, sondern auch sehr weit.

Thore Debor über seine Lieblingsstadt und seine Wünsche für Hamburg:

  • Meine Lieblingsstadt ist Lüneburg. Die Stadt hat mich geprägt und eine sehr hohe Lebensqualität mit ihrem pittoresken Innenstadtkern, dem studentischen Leben und dem attraktiven Wendland in der Nähe.
  • Mein Lieblingsstadtteil ist St. Pauli, der Clubstandort Nummer 1 mit dem Knust, dem Grüner Jäger, dem Uebel & Gefährlich, der Reeperbahn, dem Nochtspeicher und der MS „Hedi“. Diese Nachbarschaft der Live-Spielorte ist einzigartig.
  • Mein Lieblingsgebäude ist das Gängeviertel-Ensemble, ein Kleinod mitten in der Stadt. Man mag sich nicht vorstellen, was fehlen würde, hätte man die Häuser wirklich abgerissen. Da ist immer was los: Konzerte, Vorträge, Workshops …
  • Einmal mit der Abrissbirne würde ich die Gefahrengutlager im Hafen abreißen. Sie hemmen die kulturelle Entwicklung und sind gefährlich – insbesondere nach der Explosion in Beirut fragt man sich, was diese Gefahrgüter in einer Großstadt zu suchen haben.