Hamburg. Studie des Industrieverbands zeigt schwere Versäumnisse in Hamburg auf. Doch Selbstkritik ist nicht die Stärke der Stadt.

Es werden sich schnell Argumente finden, die Studie „Die nächste industrielle Revolution: Neue Prosperität für Hamburg“ vom Tisch zu wischen und nach geübter Manier „gelesen, gelacht, gelocht“ rasch wieder zu vergessen. Die Kurzstudie ist nicht umfangreich genug, werden die einen kritisieren, und die anderen auf den Absender, den Industrieverband Hamburg, verweisen: Die Klage ist des Kaufmanns Gruß, weiß man doch seit Langem.

Und damit ginge in Hamburg weiter alles seinen gewohnten Gang. In der vermeintlich schönsten Stadt der Welt mag es alles geben – nur Selbstkritik findet man eher selten. So wurde schon die desaströse OECD-Studie weggeatmet, die Hamburg bescheinigte, unter den Metropol­regionen bei der Wachstumsdynamik nur den letzten Platz zu belegen. Nun weist der Studienverfasser Henning Vöpel nach, dass der Rückstand auf Süddeutschland sogar noch größer wird.

Hamburg hinkt hinterher

Zweifelsohne hat sich in Hamburg einiges getan: Endlich bekommt die Förderung der Wissenschaft den Raum, den sie benötigt. Mit der Wasserstoffinitiative setzt Hamburg auf eine Zukunftstechnologie, die große Investitionen verdient. Und mit einer Bildungspolitik, die auf Leistung setzt, schürft Hamburg endlich den einzigen Rohstoff, den dieses Land besitzt: die Kreativität und Klugheit seiner Bewohner.

Aber geben wir uns keinen Illusionen hin: Was Hamburg macht, machen andere schon lange: Gute Schulen und Universitäten muss Bayern beispielsweise nicht aufbauen, weil man sie schon seit Jahrzehnten hat. Wer nach Skandinavien und ins Baltikum blickt, sieht, wie die Hansestadt bei neuen Technologien hinterherhinkt. Hamburg meldete 2019 pro 100.000 Einwohner 25 Patente an, in Baden-Württemberg waren es 122. In der Hansestadt summiert sich laut Studie das investierte Risikokapital auf 254 Millionen; das doppelt so große Berlin hingegen weist mit 6228 Millionen das 24-Fache aus.

In Hamburg herrschte zu lange Stillstand

Mit Forschungs- und Entwicklungsausgaben von nur 2,2 Prozent der Wirtschaftsleistung hinkt Hamburg nicht nur den innovativen Süddeutschen, sondern fast allen anderen Bundesländern hinterher. Hamburg ist gut, aber Hamburg muss besser werden. Und mehr noch als die Frage, wie wir leben wollen, sollte uns beschäftigen, wovon Hamburg in Zukunft leben will.

Es rächt sich, dass in der Stadt zu lange zu wenig passiert ist: Plötzlich beispielsweise dämmert allen, dass Solar- und Windenergie Branchen der Stunde sind. Aber warum mussten Energie-Pioniere wie Conergy und Senvion in die Insolvenz gehen? Ein kleiner Teil der Antwort: Selbst die städtischen Unternehmen setzten damals lieber auf die chinesische Konkurrenz. Schlimmer noch: Es passierte zu wenig, um ein Umfeld zu schaffen, um aus kleinen Firmen große Unternehmen zu machen. Warum bietet nicht eine Firma wie Hamburg Energie schlüsselfertige Energielösungen für Unternehmen und Privathaushalte mit Technik made in Hamburg an?

Industrieverband stellt die Weichen für Veränderungen

Wer auf Dauer erfolgreich sein möchte, muss schneller, mutiger und wendiger sein als die Konkurrenz. Sattheit und Selbstzufriedenheit werden da schnell zu Hindernissen. Wie kann man junge Gründer nach Hamburg locken, wie lässt sich ein Ökosystem der Innovation schaffen? Wie lassen sich Bürger und Firmen, wie die ganze Stadt mitnehmen? Mit einer Vision, die den Aufbruch verdeutlicht und die Menschen mitreißt, mit einem klaren Ziel für die kommenden Jahre. Der Industrieverband hat mit seinen fünf Forderungen einen Stein ins Wasser geworfen. Es bleibt zu hoffen, das er Wellen schlägt.