Hamburg. Untreue und Betrug: Ex-Fraktionschef der Grünen im Bezirk Hamburg-Mitte räumt einige Vorwürfe ein – bei anderen wird es nebulös.

Die erste Entscheidung war bereits weit vor dem Prozessbeginn an diesem Mittwoch um 9.30 Uhr gefällt worden: Statt im kleinen Saal 378 (nur 20 Plätze) im Strafjustizgebäude am Sievekingplatz fand am Vormittag im deutlich größeren Saal 237 (80 Plätze) der mit Spannung erwartete Prozess um Michael Osterburg statt. Der frühere Grünen-Politiker musste sich vor Gericht wegen gewerbsmäßiger Untreue, teilweise in Tateinheit mit Betrug und Urkundenfälschung, verantworten – und das öffentliche Interesse war einfach zu groß.

Bereits am frühen Morgen waren zahlreiche Journalisten vor Ort, um sich einen der begehrten Plätze in der Großen Strafkammer des Landgerichts zu sichern. Der Hintergrund des großen Interesses war klar: Dem früheren Vorsitzenden der Grünen-Fraktion im Bezirk Hamburg-Mitte war vorgeworfen worden, zwischen 2015 und 2019 im erheblichen Umfang Geldmittel der Fraktion für private Zwecke verwendet zu haben. Die Anklage ging von vereinnahmten Beiträgen in Höhe von 33.000 Euro aus.

Osterburg werden 121 Anklagepunkte zur Last gelegt

Die Verlesung der 121 Anklagepunkte allein dauerte 70 Minuten. Nach kurzer Pause bezog Osterburg dann über seinen Anwalt Nils Fock erstmals Stellung. Er räumte ein, dass er sich bei den Bewirtungen, die er über die Fraktion abgerechnet hatte, nicht mit den von ihm genannten Personen getroffen hatte. Die Bewirtungen selbst habe es aber gegeben, so der ehemalige Bezirkspolitiker der Grünen, jedoch mit Personen, die er nicht nennen wolle. „Stichwort: Tippgeber“, fügte der Anwalt nebulös hinzu.

Michael Osterburg (l.) am Mittwochmorgen mit seinem Rechtsanwalt Nils Fock auf den Weg in den Verhandlungssaal.
Michael Osterburg (l.) am Mittwochmorgen mit seinem Rechtsanwalt Nils Fock auf den Weg in den Verhandlungssaal. © dpA | Marcus Brandt

Osterburg gab in der von seinem Verteidiger verlesenen Stellungnahme zu, dass er Blumen, die er mehrfach für seine damalige Lebensgefährtin, die heutige Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne), zu deren Geburtstagen gekauft habe, unter falschen Angaben über die Fraktion abgerechnet habe. Der 55-Jährige ließ aber vor Gericht durch seinen Anwalt erklären, er habe die meisten der Anschaffungen wie beispielsweise Elektroartikel, Milchschäumer, Fahrradschlösser und Ähnliches, tatsächlich für die Fraktion getätigt

Osterburg sieht Tickets für Falschparken

Die Anklage wirft ihm hingegen vor, diese privat genutzt zu haben. Osterburg räumte hingegen ein, vier Tickets für Falschparken (insgesamt 66,50 Euro) fälschlicherweise über die Fraktion geltend gemacht zu haben. „Ich bedaure Abrechnungsfehler“, ließ er über seinen Anwalt mitteilen. Er habe sich mit seiner jahrelangen ehrenamtlichen Tätigkeit in der Politik selbst überfordert. Damit ging der Prozess am Mittwoch um 12 Uhr zu Ende – der nächste Verhandlungstag ist am Donnerstag um 9.30 Uhr angesetzt. Vorgesehen sind zunächst insgesamt neun Verhandlungstage.

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Osterburg hatte vor Prozessbeginn beharrlich zu den Vorwürfen geschwiegen. Dabei waren die Anklagepunkte gravierend: Der 55-Jährige soll sich private Ausgaben wie Bewirtungskosten zu Unrecht aus der Fraktionskasse erstattet haben lassen. So war es auch die Bezirksfraktion selbst, die im April 2020 Anzeige gegen ihren früheren Vorsitzenden, der anschließend aus der Grünen-Partei ausgetreten war, erstattet hatte

Gallina „esse keinen Hummer“

Gallina, die aufgrund der Vorwürfe gegen ihren ehemaligen Lebensgefährten selbst schwer in die Kritik geriet, war zwar von der Staatsanwaltschaft befragt worden, wurde am Mittwoch aber nicht als Zeugin geladen. Dabei war die Justizsenatorin, die mit Osterburg ein Kind hat, bei zahlreichen der insgesamt 121 untersuchten Fälle anwesend. So auch bei einem „Hummer-Essen“ für 250 Euro auf Malta 2017, für das sich die Grünen-Politikerin drei Jahre später entschuldigen musste.

„Ich selbst esse keinen Hummer“, hatte Gallina öffentlich erklärt. Und trotzdem tue ihr leid, dass rund um einen humanitären Einsatz im Mittelmeer durch dieses Essen, an dem sie teilgenommen habe, ein negativer Eindruck entstanden sei. „Ich habe Verständnis dafür, dass ein solches Essen Irritationen und Empörung bei den Menschen hervorruft. Dafür möchte ich mich ausdrücklich entschuldigen.“ Gallina und Osterburg sind seit Herbst 2019 getrennt

Osterburg wurde von eigener Partei angezeigt

Ins Rollen gebracht worden waren die Ermittlungen von der 2019 neu gewählten Bezirksfraktion der Grünen in Mitte. Nach ihrer Amtsübernahme im Juni 2019 waren Unregelmäßigkeiten bei den Finanzen der Fraktion aufgefallen. Im April 2020 erstattete die Bezirksfraktion selbst Anzeige gegen ihren früheren Vorsitzenden Osterburg. Dieser war bei den Wahlen 2019 nicht erneut angetreten, nachdem er eine Niederlage im Kampf um einen Listenplatz erlitten hatte. Sein Nachfolger als Fraktionschef wurde Manuel Muja, einst ein enger Vertrauter Osterburgs. Letzterer zog sich anschließend aus der Politik zurück. Mittlerweile ist er auch aus der Grünen-Partei ausgetreten.

Die laut Anklage vereinnahmten Beträge in Höhe von knapp 33.000 Euro betrafen unter anderem Bewirtungen, denen der Angeschuldigte wahrheitswidrig fraktionsbezogene Anlässe beimaß, tatsächlich nicht entstandene Kinderbetreuungskosten und privat angeschaffte Gebrauchsgegenstände. Laut Anklage nahm Osterburg darüber hinaus verschiedene Kontoabbuchungen zu seinen Gunsten vor und ließ sich grundlos Reise- und Mietwagenkosten von der Fraktion erstatten.