Protest gegen den Ausverkauf des Medienhauses immer lauter. Ex-Führungskräfte sprechen von “größter Wertvernichtung in Mediengeschichte“.

  • Ehemalige Manager erheben schwere Vorwürfe gegen Muttergesellschaft von Gruner + Jahr
  • Fehlentscheidungen für "größte Wertvernichtung in Mediengeschichte" verantwortlich?
  • Bertelsmann soll sich die hochproftables Teile herausgepickt haben

Wer in diesen Tagen mit ehemaligen Managern und Chefredakteuren von Gruner + Jahr darüber spricht, was von dem stolzen Verlagshaus und dem Selbstbewusstsein seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern übrig geblieben ist, bekommt unter anderem eine Seite aus dem Geschäftsbericht von Bertelsmann aus dem Jahr 2021 zugeschickt.

Es ist die Seite 22, in der die Konzernmutter die Lage bei seinem Hamburger Tochterunternehmen wie folgt zusammenfasst: „Gruner + Jahr verzeichnete ein erfolgreiches Jahr. (…) Das Operating EBITDA stieg um 5,9 Prozent auf 134 Millionen Euro. Die EBITDA-Marge verbesserte sich auf 12,7 Prozent. Organisch legte das Geschäft bei Umsatz und Ergebnis stark zu.“ Das klingt nicht nach einem Unternehmen, das auf dem besten Weg ist gegen die Wand zu fahren, schon gar nicht, wenn man es in seiner Gesamtheit betrachtet.

Gruner + Jahr: Geschäft hatte sich zuletzt positiv entwickelt

Im Geschäftsbericht 2021, also zu einer Zeit, in der Gruner + Jahr noch Gruner + Jahr war, heißt es weiter: „Treiber des positiven Geschäftsverlaufs waren eine im Vergleich zum Vorjahr deutliche Erholung im Anzeigengeschäft sowie ein starkes Umsatz- und Ergebniswachstum der AppLike Group und ein hohes Beteiligungsergebnis der „Spiegel“-Gruppe. Der Anteil der Digitalgeschäfte am Gesamtumsatz in Deutschland stieg auf mehr als 50 Prozent. Territory trug mit einem starken Ergebnis- und Umsatzwachstum ebenso zum Erfolg bei wie die DDV Mediengruppe.“

Von den Führungskräften, die dafür verantwortlich waren, ist zwei Jahre später kaum jemand mehr in dem Unternehmen, das jetzt zu RTL Deutschland gehört und auch so heißt. Die Zukunft der großen Magazine, die Gruner + Jahr bekannt und reich gemacht haben und zu denen Titel wie „Brigitte“, „Geo“, „Schöner Wohnen“ und natürlich der „Stern“ gehören, ist ungewiss. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete, dass Bertelsmann bis auf den „Stern“ alles verkaufen könnte.

Gruner + Jahr: Erster Protest gegen die Demontage des Verlages

Der Konzern dementierte das mit Verzögerung, aber so richtig scheint man in Hamburg den Ansagen aus Gütersloh (dort hat Bertelsmann seinen Stammsitz) respektive Köln (RTL Deutschland) nicht mehr zu trauen: Am Mittwoch trafen sich die Beschäftigten zu einer „kämpferischen Mittagspause“ vor der ehemaligen Gruner+Jahr-Zentrale am Baumwall und damit zum erste größere Protest gegen die Demontage eines Verlages, die in der jüngeren deutschen Mediengeschichte einmalig ist.

Einer der ehemaligen Topmanager von Gruner + Jahr, mit denen das Hamburger Abendblatt vertraulich gesprochen hat, geht sogar noch weiter, Zitat: „Das ist die größte Ergebnis- und Wertvernichtung, die ich im deutschen Medienmarkt je erlebt habe. Bertelsmann hat durch eine Vielzahl an Fehlentscheidungen ein gesundes Unternehmen kaputtgemacht.“

Gruner + Jahr: Ex-Führungskraft sagt, es sei kaum etwas in die Titel reinvestiert worden

Eine andere ehemalige Führungskraft sagt: „Bertelsmann-Chef Thomas Rabe hat Hunderte von Millionen Euro, die Gruner + Jahr an Gewinn gemacht hat, gern genommen, aber kaum etwas reinvestiert.“ Rabe habe nicht mehr an das Geschäftsmodell geglaubt, das im Wesentlichen auf Qualitätsjournalismus basierte: „Jetzt kümmert sich keiner mehr um Marken von Gruner + Jahr, und man kann zusehen, wie deren Wert von Tag zu Tag sinkt.“

Es komme hinzu, dass Bertelsmann sich die Teile, die hochprofitabel und wachstumsstark seien, herausgepickt habe: Vor allem AppLike und die Beteiligung am „Spiegel“, die der Konzern längst von dem klassischen Magazin-Geschäft abgetrennt hat und behalten will.

Gruner + Jahr: Verwunderung über Zurückhaltung der Mitarbeiter

Was passiert mit dem Rest? Das ist die Frage, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Standort Hamburg beschäftigt, und die sie so recht nicht mehr adressieren können, „weil niemand mehr da ist, den man etwas fragen könnte, weil es die klare, zugewandte Kommunikation, für die Gruner + Jahr bekannt war, nicht mehr gibt“, sagt ein früherer Manager. Er könne keinem mehr raten, dort zu bleiben.

Was alle ehemaligen Führungskräfte eint, mit denen wir gesprochen haben, ist das Erstaunen darüber, wie zurückhaltend die Proteste gegen das Vorgehen von Bertelsmann-Chef Thomas Rabe bisher ausgefallen sind. „Da ist offensichtlich keine Energie mehr, die Kolleginnen und Kollegen sind gebrochen“, sagt jemand, der Vorstand bei Gruner + Jahr war. Ein ehemaliger Chefredakteur des Hauses formuliert es noch deutlicher: „Bertelsmann hat es geschafft, den Redaktionen das Rückgrat herauszuoperieren.

Gruner + Jahr: Ein komplett verunsichertes Personal

Alle Leute, die mal Widerstand geleistet oder etwas hinterfragt haben, sind in den vergangenen Jahren abgeräumt worden. Wenn neue Journalisten gesucht worden sind, hat man nicht die besten geholt, sondern die biegsamsten.“ Die „kämpferische Mittagspause“ sei erstens gar kein ernstzunehmender Widerstand und zweitens käme sie „mindestens drei Monate zu spät“. Ein anderer Vorstand nimmt seine ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Schutz: „Das Personal ist durch all das, was in den vergangenen Jahren passiert ist, komplett verunsichert.“

Das wird durch einen Brandbrief bestätigt, der am Dienstag bekannt wurde, und in dem mehrere Redaktionsbeiräte die Bertelsmann-Eigentümer Liz und Christoph Mohn auffordern, „den einzigartigen Verlag“ Gruner + Jahr zu erhalten.

Gruner + Jahr: Viele Entscheidungen kurzfristig getroffen?

Die Kolleginnen und Kollegen seien erschüttert darüber, dass Bertelsmann offen lasse, was mit den Titeln und Redaktionen geschehe. „RTL und Bertelsmann müssen die Betriebsräte und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter endlich ins Boot holen, sie wissen am besten, wie ihre Titel noch stärker und besser werden können“ sagte Marina Friedt, 1. Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes Nord. Dass es aus dem Konzern nur heiße, es gebe eine „ergebnisoffene Überprüfung des Titelportfolios“, sei lapidar und werde der „gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung“ eines Unternehmens nicht gerecht, das einen Verlag übernimmt.

Es bleibt die Frage, ob man bei Bertelsmann selbst genau weiß, was man mit den Titeln von Gruner + Jahr machen will. „Bertelsmann ist nicht der große Planer“, sagt ein ehemaliger Vorstand, vieles werde kurzfristig und immer mehr allein von Konzernchef Thomas Rabe entschieden.

Ein anderer früherer Manager kann sich vorstellen, dass Rabe „gar keinen Masterplan für Gruner + Jahr gehabt hat: Vielleicht wollte er wirklich versuchen, das Printhaus Gruner und den Fernsehsender RTL zu verschmelzen, und hat irgendwann festgestellt, dass das ein großer strategischer Fehler war – sein großer, strategischer Fehler.“

Jetzt ginge es für den Bertelsmann-Chef nur noch darum, da sind sich die befragten Führungskräfte erneut einig, das Thema Gruner + Jahr schnell vom Tisch zu kriegen: „Ob er für die Zeitschriften 100, 150 oder 200 Millionen Euro bekommt, ist Thomas Rabe egal, das sind für einen wie ihn kleine Summen, mit denen er sich nicht lange beschäftigt.“