In der verunsicherten Belegschaft wächst der Unmut, weil weder RTL noch Bertelsmann Stellung zum befürchteten Ausverkauf beziehen.
- Deutscher Journalisten-Verband spricht von "ordentlich Druck im Kessel"
- Kämpferische Mittagspause geplant
- Seit Gruner + Jahr durch Bertelsmann dem Privatsender RTL zugeordnet wurde, wächst die Verunsicherung am Baumwall
- Es wird für möglich gehalten, dass fast alle Zeitschriften verkauft werden, doch zu entsprechenden Vermutungen äußern sich weder Bertelsmann noch RTL
- Die Produktion am Druckstandort Ahrensburg stellt Bertelsmann auf jeden Fall ein
Es ist die nächste Hiobsbotschaft für die Medienbranche in der Metropolregion Hamburg. Der Bertelsmann-Konzern will Ende Januar 2024 die Produktion an seinem Druckstandort Ahrensburg nordöstlich der Hansestadt einstellen. 545 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien betroffen, teilte das zu Bertelsmann gehörende Unternehmen Prinovis am Donnerstag mit.
Die Druckerei in Ahrensburg ist aber nicht die einzige Großbaustelle, die es bei Bertelsmann in der Region gibt. Auch beim Hamburger Medienhaus Gruner+Jahr zittert die Belegschaft um ihre Jobs – und zwar spätestens seit der Mutterkonzern Bertelsmann den Zusammenschluss mit RTL angeordnet hat.
Gruner + Jahr: Seit Oktober bangen Mitarbeiter um ihre Jobs
Was sich nicht über mehrere Medienkanäle ausschlachten lässt, gilt seitdem als überflüssig. Anders lassen sich die Aussagen von Bertelsmann-Chef Thomas Rabe kaum verstehen, als er im Oktober ankündigte, sämtliche Zeitschriftentitel von Gruner+ Jahr auf den Prüfstand zu stellen. Kaum ein Blatt darf sich seitdem in Sicherheit wiegen. Die Gerüchteküche brodelt nun – und die extrem verunsicherten Mitarbeiter des Verlagshauses wollen nun nicht länger nur zuschauen.
Am Mittwoch um 13 Uhr ist eine kämpferische Mittagspause geplant, bei der die Beschäftigten auf die Fußgängerbrücke vor dem Verlagshaus am Baumwall ziehen wollen. „Die Brücke ist öffentlicher Grund. Da darf man demonstrieren“, sagt die Justiziarin des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Anja Westheuser, dem Abendblatt.
RTL und Gruner + Jahr: Bertelsmann lässt die Gerüchteküche brodeln
Gemeinsam mit dem Betriebsrat haben DJV und Ver.di zu der Aktion aufgerufen. „Das hat jetzt eine ganz breite Basis. Da ist ordentlich Druck im Kessel“, sagt Tina Fritsche, Gewerkschaftssekretärin für Medien, Kunst und Industrie bei Ver.di. „Die allgemeine Verunsicherung, die sich in der Belegschaft bereits nach dem Zusammenschluss mit RTL ergeben hatte, ist nun zu Unmut geworden“, weiß Westheuser.
Grund sind die vielen Spekulationen über die Zukunft einzelner Zeitschriften. Mal heißt es, die Titel „Stern“, „Geo“ und „Capital“ würden wohl übernommen. Oder es wird berichtet, „Brigitte“, „Gala“ und „Schöner Wohnen“ würden auf jeden Fall verkauft. „Das Schlimme ist, dass Bertelsmann sich zu allen diesen Gerüchten nicht äußert, nichts wird dementiert oder bestätigt“, sagt Westheuser.
Mitarbeiter sind enorm verunsichert
Dass die Portfolio-Prüfung ergebnisoffen erfolge, glaube im Hause zudem kaum noch jemand. „Die Mitarbeiter tappen im Dunkeln“, so Fritsche. Zahlreiche bekannte Journalisten hätten wegen der unsicheren Situation dem Haus bereits den Rücken gekehrt und bei anderen Verlagen angeheuert. Erst vor wenigen Tagen war bekannt geworden, dass der Chefredakteur von „Capital“, Horst von Buttlar, ein Mann mit langer Karriere bei Gruner+Jahr, zur „Wirtschaftswoche“ und damit zur Handelsblatt Mediengruppe wechseln wird.
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Stellt sich die Frage: Bleibt „Capital“ dann wirklich noch bei Bertelsmann, wenn der Chef bereits von Bord geht? Angeblich im Laufe dieses Quartals will Rabe bekannt geben, welche Titel künftig bei Bertelsmann verbleiben. Die einst stolze grüne Gruner+Jahr-Flagge am Baumwall ist jedenfalls längst eingeholt, dort liest man nun drei Buchstaben: RTL.
Presseclub-Präsident sieht 3000 Jobs in Gefahr
Klaus Ebert sieht insgesamt 3000 Jobs durch die „Neuausrichtung“ in Gefahr. Der Präsident des Hamburger Presseclubs, der um klare Worte selten verlegen ist, findet diese auch für Bertelsmann-Chef Rabe: „Gruner+Jahr gibt es nicht mehr, und es ist erstaunlich, dass Rabe eine Medienmarke so schnell und radikal ausradieren konnte.“ Wie schlimm es für die Beschäftigten wird? Die nächsten Wochen dürften Klarheit bringen.
Die in Ahrensburg betroffenen Mitarbeiter von Prinovis werden voraussichtlich früher Gewissheit erlangen, für sie sollen dem Unternehmen zufolge „zeitnah sozialverträgliche Lösungen“ gefunden werden.
Gruner + Jahr: Gegen Bertelsmanns Pläne gibt es nicht nur in Hamburg Widerstand
Der Betriebsrat am Standort Ahrensburg machte unverzüglich klar, dass man die Schließungspläne nicht akzeptieren werde. „Seit mittlerweile mehr als 14 Jahren wurden den Beschäftigten Mitarbeiterbeiträge zur Zukunftssicherung in Form von direktem Lohnverzicht, Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich und Arbeitsverdichtung abverlangt“, hieß es zur Begründung. Man werde sich zur Wehr setzen.
Nach Unternehmensangaben ist der für den Standort relevante europäische Tiefdruckmarkt allerdings seit mehr als einem Jahrzehnt strukturell rückläufig. Der Grund: Die Druckerei in Ahrensburg befinde sich seit geraumer Zeit in der Verlustzone. Die Nachfrage nach Katalogen in hoher Auflage sowie Zeitschriften und Beilagen seien überproportional gesunken, hieß es.
Prinovis-Geschäftsführer Ulrich Cordes sagte: „Hinzu kommt, dass unsere Auftraggeber aufgrund der Pandemiefolgen und des enormen Anstiegs der Papier- und Energiepreise ihre Marketingaktivitäten in den vergangenen zwei Jahren immer wieder hinterfragt und häufig in Richtung digitaler Kommunikationslösungen verändert haben.“ Es gebe einen starken Rückgang des Auftragsvolumens.