Hamburg. Die Buchhandlung Lesesaal wird schließen – die Stiftung Hamburger Gedenkstätten soll die Ausstellung in ihre Regie übernehmen.
Schwerer Rückschlag für ein Projekt, das von Beginn an unter keinem günstigen Stern stand: Buchhändlerin Stephanie Krawehl will ihre Buchhandlung Lesesaal in den Stadthöfen an der Stadthausbrücke schließen. Damit ist die Zukunft des mit dem Lesesaal räumlich verbundenen Gedenkortes zur Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten völlig offen.
„Die Geschäftsführerin der Buchhandlung Lesesaal hat die Ärzteversorgung Niedersachsen als Vermieterin über die von ihr beabsichtigte zeitnahe Schließung ihres Geschäftsbetriebs in den Stadthöfen informiert“, heißt es in einer Mitteilung der Ärzteversorgung Niedersachsen, der Eigentümerin der Stadthöfe. Der Zugang zur Ausstellung, die an die Opfer von Folter und Mord in dem im Gebäude untergebrachten Gestapo-Hauptquartier erinnert, soll danach weiterhin an sechs Tagen pro Woche gewährleistet sein.
Hamburg Neustadt: Zukunft des Gedenkorts Stadthaus ungewiss
Stephanie Krawehl wollte sich am Donnerstag nicht gegenüber dem Abendblatt äußern. Vor vier Jahren war die Buchhändlerin mit dem zwischen dem Investor, der Kulturbehörde und ihr vereinbarten Konzept „Buchhandlung, Café und Ausstellung“ an den Start gegangen. „Ich bedaure, dass das Konzept in Kombination mit dem Lesesaal nun gescheitert zu sein scheint“, sagte Kultursenator Carsten Brosda (SPD). Der Eigentümer stehe weiterhin allerdings in der Verantwortung, den Betrieb des Gedenkortes dauerhaft zu gewährleisten.
Doch mittlerweile laufen bereits Gespräche darüber, wie der Gedenkort an die NS-Verbrechen mitten in der Stadt auch ohne Buchhandlung gestaltet werden kann. Derzeit spricht viel dafür, dass die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte, die auch die KZ-Gedenkstätte Neuengamme betreibt, den Gedenkort im ehemaligen Stadthaus in ihre Regie übernimmt.
Ärzteversorgung Niedersachsen stimmt sich eng mit der Kulturbehörde ab
„Die Behörde für Kultur und Medien und die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte stehen bereits in Kontakt mit den Eigentümern, um für die Gedenkarbeit der Stiftung die gesamte Fläche des Gedenkortes zu übernehmen“, sagte Brosda. „Ziel ist es, die erinnerungskulturelle Arbeit am Stadthaus im Dialog mit den Verbänden substanziell weiterzuentwickeln.“
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Frank Adelstein, Bereichsleiter Immobilien der Ärzteversorgung Niedersachsen, sagte: „Zu der bedauerlichen aktuellen Situation stehen wir mit der Behörde für Kultur und Medien in einem engen Dialog. Das Bewusstsein für die Verantwortung zur langfristigen Sicherstellung der öffentlichen Zugänglichkeit des Geschichtsortes Stadthaus ist bei allen Beteiligten ausgeprägt.“ Über eine „möglicherweise erforderliche Anpassung des Betriebskonzepts“ sei mit der Kulturbehörde eine enge Abstimmung verabredet worden.
Massive Kritik an Plänen für Geschichtsort Stadthaus in 2017
Das Stadthaus – ein Komplex aus mehreren Gebäuden zwischen Große Bleichen und Neuer Wall – war bis 1943 Sitz des Polizeipräsidiums und Gestapo-Hauptquartier. Von hier aus wurde die Verfolgung durch das NS-Regime organisiert. Hier fanden Verhöre statt, wurde gefoltert und wurden Festgenommene ermordet oder in den Tod getrieben. Vom Stadthaus aus erfolgte auch die Organisation der Deportation von Jüdinnen und Juden und von Sinti und Roma über den Hannoverschen Bahnhof. Nach dem teilweisen Wiederaufbau war der bei Bombenangriffen erheblich zerstörte Gebäudekomplex jahrzehntelang Sitz der Baubehörde.
Zurzeit der schwarz-grünen Rathauskoalition mit Bürgermeister Ole von Beust (CDU) verkaufte die Stadt das Ensemble an den Immobilienentwickler Quantum Immobilien AG. Der Vertrag verpflichtete die neuen Eigentümer, eine Gedenk- und Informationsstätte einzurichten und dauerhaft zu betreiben. Als die Pläne für den Geschichtsort Stadthaus 2017 bekannt wurden, erhob sich massive Kritik. Die Initiative Gedenkort Stadthaus, zu der sich mehrere Opferverbände zusammengeschlossen hatten, kritisierte, dass die vorgesehene Ausstellungsfläche viel zu klein für eine angemessene historische Darstellung seien.
Meldehalle neben der Buchhandlung an Design-Möbelhändler vermietet
Die Initiative fühlt sich angesichts der aktuellen Entwicklung bestätigt. „Jetzt ist ein Konzept gescheitert, mit dem sich der Investor der Stadthöfe seiner im Kaufvertrag festgelegten Verpflichtung, im neuen Konsumtempel in der ehemaligen Zentrale des Nazi-Terrors im Norden auf wenigstens 750 Quadratmeter einen Gedenk- und Lernort… zu realisieren…, billig entledigen wollte“, heißt es in einer Mitteilung der Initiative, die die Eigentümer nun auffordert, die vertragliche Verpflichtung endlich umzusetzen.
Der Einfluss der Stadt ist aufgrund der vertraglichen Konstruktion begrenzt, und doch hatte es Versuche gegeben. Kultursenator Brosda 2018 hatte nach den Protesten gegen das Konzept einen Beirat ins Leben gerufen, dessen zentrale Aufgabe es war, „Vorschläge auf der Grundlage der räumlichen und konzeptionellen Gegebenheiten zu machen“. So wurde der Vorschlag des Beirats, die etwa 750 Quadratmeter große ehemalige Meldehalle direkt neben der Buchhandlung als Lernort zum Beispiel für Schülergruppen einzubeziehen, abgelehnt. Inzwischen ist die Fläche an einen Design-Möbelhändler vermietet worden.
Bauarbeiten am Projekt „Stigma“ ruhen witterungsbedingt
Die Idee, zusätzliche Räume für den Lernort etwa im benachbarten
Goertz’schen Palais anzumieten, wurde nicht realisiert. Mittlerweile hat der Beirat seine Tätigkeit eingestellt. „Wir meinen, dass mit den Empfehlungen und Ideen aus dem Beirat vernünftige Lösungen für die Gestaltung des Geschichtsortes entstanden sind – allerdings ändern diese nichts an dem nach wie vor problematischen Zustand, dass an dem zentralen Ort der NS-Verfolgungsbehörden in Hamburg die Erinnerung an die geschäftlichen Interessen der Eigentümer gebunden ist“, lautet das Resümee des Beirats. Einen „würdigen Informations-, Gedenk- und Lernort zur Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus zu schaffen“, bleibe ein „Desiderat“ in der Erinnerungskultur der Stadt.
Zwei Anregungen des Beirats wurden umgesetzt: Auf der Brückenarkade informiert eine kleine Ausstellung über die Bau- und Nutzungsgeschichte des Gebäudes. Über einen künstlerischen Wettbewerb sollte der öffentliche (Straßen-)Raum vor dem Gedenkort künstlerisch gestaltet werden. Die Umsetzung des Projekts „Stigma“, mit dem das Pflaster von der Ecke Stadthausbrücke/Neuer Wall bis zur Brücke über das Bleichenfleet asymmetrische rote Flächen erhalten soll, dauert an. Zurzeit ruhen die Bauarbeiten witterungsbedingt.
„Nachdem der Senat den Gedenkauftrag in private Hände gegeben hatte, kann er nun den Empfehlungen des Beirats folgen und sich die Verantwortung zurückholen“, sagte Norbert Hackbusch, kulturpolitischer Sprecher der Linken-Fraktion in der Bürgerschaft.