Hamburg. Staatsanwaltschaft lehnt Ermittlungen gegen Kanzler wegen Falschaussage in Sachen Cum ex ab. Warum Anwalt Strate Beschwerde einlegt.
Für Bundeskanzler Olaf Scholz und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher hätte das Jahr 2022 schlechter enden können. Erst hatte Mitte Dezember die Staatsanwaltschaft Köln entschieden, im Rahmen des Cum-ex-Skandals um die Warburg-Bank nicht gegen die beiden Sozialdemokraten zu ermitteln, weil es nicht einmal einen Anfangsverdacht auf eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung gebe – und das, obwohl den Ermittlern bergeweise Unterlagen inklusive des Mailverkehrs aller Betroffenen vorlagen.
Und nun hat darüber hinaus auch die Staatsanwaltschaft Hamburg entschieden, keine Ermittlungen gegen Scholz wegen einer möglichen Falschaussage vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) der Bürgerschaft aufzunehmen. Strafrechtlich dürften der Kanzler und sein Nachfolger als Bürgermeister damit aus dem Schneider sein – politisch noch nicht, denn der PUA ermittelt ja weiter und hinterfragt nun auch die Cum-ex-Geschäfte der früheren HSH Nordbank.
2020 zeigte Scholz noch Erinnerungen – später nicht mehr
Und zumindest für Scholz geht die Sache noch einmal in die Verlängerung. Denn der Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate, der sowohl in Hamburg als auch bei der bundesweit in Sachen Cum ex führenden Staatsanwaltschaft Köln Strafanzeigen gegen die beiden SPD-Politiker gestellt hatte, hat Beschwerde gegen die Zurückweisung eingereicht.
Im Kern geht es um eine schlichte und doch knifflige Frage: Kann es sein, dass jemand sich im Jahr 2020 noch an ein Treffen im Jahr 2017 erinnert, auf Nachfrage den Ablauf und auch Inhalte schildert – aber in den Jahren 2021 und 2022, als mittlerweile bekannt ist, dass es nicht nur eines, sondern drei solcher Treffen in den Jahren 2016 und 2017 gab, überhaupt keine Erinnerungen mehr hat? Weder dass die drei Treffen stattgefunden haben noch was dort besprochen wurde?
Finanzamt wollte 47 Millionen Euro von Warburg zurückfordern – verzichtete dann aber
Die Staatsanwaltschaft Hamburg meint: Ja, das ist möglich. Daher werde sie nicht gegen Olaf Scholz ermitteln. Gerhard Strate meint: Nein, das ist unmöglich. Die vom Bundeskanzler „behauptete Erinnerungslücke ist eine bewusste Falschaussage“, so der bekannte Anwalt in einer seiner Strafanzeigen.
Rückblick: Cum-ex-Geschäfte waren Aktien-Deals unter Banken und anderen Finanzinstituten, die einzig den Zweck hatten, sich Kapitalertragsteuern erstatten zu lassen, die man nie gezahlt hatte. Der bundesweite Schaden für den Fiskus ging in die Milliarden. Ein Hamburger Finanzamt wollte die Warburg-Bank daher 2016 auffordern, 47 Millionen Euro zurückzuzahlen. Die Gesellschafter sprachen zwei mal bei Bürgermeister Scholz vor, der sie an den damaligen Finanzsenator Tschentscher verwies. Kurz darauf wurde die Forderung fallen gelassen.
Scholz und Tschentscher beteuern, keinerlei Einfluss genommen zu haben
2017 kam es zu einem ähnlichen Fall, wieder gingen die Warburg-Chefs zum Bürgermeister – doch diesmal griff das Bundesfinanzministerium ein und wies Hamburg an, Steuern in Höhe von 43 Millionen Euro zurückzufordern.
Scholz und Tschentscher haben mehrfach beteuert, keinerlei Einfluss auf die Steuerverfahren genommen zu haben. Das haben auch alle Zeugen im PUA, die mit der Sache betraut waren, so bestätigt. Im übrigen sei überhaupt kein Schaden für die Stadt entstanden, da Warburg vor Gericht verurteilt wurde und die gesamte Summe – inklusive Zinsen mehr als 170 Millionen Euro – erstattet habe.
„Freispruch erster Klasse“ oder „Falschaussage“?
Dass auch die Staatsanwaltschaft Köln, die immerhin eine mehrjährige Haftstrafe gegen einen Warburg-Mitarbeiter erwirkt und zudem Anklage gegen den Mitgesellschafter Christian Olearius erhoben hat, keinen Anfangsverdacht sieht, werten Parteifreunde von Scholz und Tschentscher als „Freispruch erster Klasse“.
Anders sieht es mit dem Vorwurf der Falschaussage vor dem PUA aus. Scholz hatte dort sowohl im Frühjahr 2021, damals noch als Bundesfinanzminister, als auch im August 2022 darauf beharrt, dass er keinerlei Erinnerungen mehr an die Gespräche mit Olearius habe – aber was dieser in seinem Tagebuch darüber berichte, werde wohl stimmen.
Ehemals vertrauliches Dokument liefert neue Erkenntnisse
Schon im März diesen Jahres hatte die Staatsanwaltschaft Hamburg eine Strafanzeige von Strate zurückgewiesen und vor allem darauf abgestellt, dass Scholz als Bürgermeister, Minister und nun Bundeskanzler ja so viele wichtige Themen zu bearbeiten habe – als Beispiele wurden der G20-Gipfel, die Panama Papers und Wirecard genannt –, dass die „Möglichkeit einer mangelnden Erinnerung“ sehr wohl bestehe.
Doch dann wurde bekannt, dass Scholz sich 2020 in seiner Zeit als Minister bei zwei Befragungen vor dem Bundestags-Finanzausschuss doch zumindest an das dritte Treffen mit Olearius erinnert hatte – die ersten beiden waren damals noch nicht bekannt. „Man habe über viele Dinge gesprochen“, wird er indirekt in dem Protokoll zitiert, das bis vor kurzem als „vertraulich“ unter Verschluss war.
Falschaussage nur „eine von mehreren möglichen Schlussfolgerungen“
Zudem heißt es dort: „Er habe sich lediglich die Sicht der Dinge von Christian Olearius angehört“, könne aber zu Einzelheiten „wegen des Steuergeheimnisses“ keine Angaben machen. Für Strate ist daher klar, dass Scholz sich 2020 erinnert hat, seine spätere Erinnerungslücke müsse daher eine Falschaussage sein.
Die Staatsanwaltschaft wies das jetzt erneut zurück, dieses Mal aber mit einer anderen Begründung. Dass es sich um eine Falschaussage handele, sei nur „eine von mehreren möglichen Schlussfolgerungen“, heißt es. Dafür spreche, dass Scholz im Finanzausschuss „wie aus eigener Wahrnehmung“ berichtet habe, was eine Erinnerung suggeriere. Es beweise sie aber nicht.
Staatsanwaltschaft: Die Aussagen von Scholz sind nicht vergleichbar
Auch der Hinweis auf das Steuergeheimnis müsse nicht bedeuten, dass er sich an das Geschehen erinnerte. Näher liege, dass Scholz’ Schilderungen „gerade nicht seinem Gedächtnis“, sondern anderweitig erlangten Erkenntnissen entsprangen, zum Beispiel auf Basis von Notizen und Berichterstattungen.
Hier werden die Ermittler spitzfindig: Man könne einen Bericht eines Ministers vor einem Fachausschuss nicht mit einer Zeugenaussage vor einem PUA vergleichen, wo man zum Erscheinen und zur Wahrheit verpflichtet sei und die Frage, was man aus eigener Erkenntnis wisse und was nur vom Hörensagen, eine besondere Rolle spiele.
Strate: Ein Minister oder Kanzler ist immer zur Wahrheit verpflichtet
Im Finanzausschuss sei hingegen gar nicht gefragt worden, woher Scholz seine Erkenntnisse habe. Mit anderen Worten: Die Staatsanwaltschaft hält es für möglich, dass Scholz sich auch 2020 gar nicht wirklich an die Treffen erinnerte, aber, anders als im PUA, nicht explizit darauf hingewiesen hat.
- Fieber, Freispruch, Abgang: So endet Hamburgs Politikjahr
- Auch Köln ermittelt nicht gegen Scholz und Tschentscher
- Warburg-Bank fühlt sich in „Sündenbock-Rolle“ gedrängt
Strate hält das für abwegig. Ein Minister oder Kanzler sei gegenüber Abgeordneten immer zur Wahrheit verpflichtet, schreibt er in seiner Beschwerde an die Staatsanwaltschaft. Im übrigen habe Scholz im Finanzausschuss laut Protokoll gesagt, dass Olearius’ Tagebuchnotizen auch „seinem Wissen in dieser Frage“ entsprächen. Das könne er nur, wenn er sich auch erinnere.
Über die Beschwerde wird nun wohl der Generalstaatsanwalt entscheiden. Das hatte er im Frühjahr schon einmal getan – und die Entscheidung seiner Ermittler bestätigt.