Hamburg. Ex-Bürgermeister beteuert, keinen Einfluss auf das Warburg-Verfahren genommen zu haben – aber Details hat er nicht mehr parat.
Olaf Scholz hat sich mit den Warburg-Chefs getroffen. Im Herbst 2016, als Scholz noch Erster Bürgermeister Hamburgs war, hätte diese „Nachricht“ nur ein Achselzucken hervorgerufen. Na und? Er trifft doch jeden Tag irgendwelche Unternehmer. Warum sollte er sich also nicht mit den Inhabern eines großen Bankhauses treffen, zumal die Stadt mit diesem sogar zusammenarbeitet, etwa bei der Rettung von Hapag-Lloyd für Hamburg?
Fünf Jahre später ist der Satz „Olaf Scholz hat sich mit den Warburg-Chefs getroffen“ ein Politikum höchsten Ranges. Denn mittlerweile ist die Welt eine andere, und es ist einiges bekannt, was damals kaum jemand wusste. Die Warburg-Bank war vor gut einem Jahrzehnt an Cum-Ex-Geschäften zumindest beteiligt, die mittlerweile allgemein als „größter Steuerraub“ in der Geschichte des Landes bezeichnet werden. Um zig Milliarden sollen Banken und andere Finanzinstitute den Fiskus damals geprellt haben. Auch das Hamburger Finanzamt für Großunternehmen war 2016 der Auffassung, rund 90 Millionen Euro von Warburg zurückfordern zu können. Das Bankhaus sah das jedoch anders – und intervenierte bis in allerhöchste Kreise.
Warburg-Eigentümer: Steuer schon bezahlt
Man habe die Steuer bereits bezahlt und stehe am Rande des Zusammenbruchs, wenn man sie ein zweites Mal entrichten müsse, lautete die Argumentation, die die Warburg-Mehrheitseigentümer Christian Olearius und Max Warburg an jenem 7. September 2016 schließlich auch dem Bürgermeister vortrugen.
Im Oktober kam es zu einem zweiten Treffen, ein Argumentationspapier wurde übergeben und – auf Scholz‘ Anraten – kurz darauf auch dem damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) zugesandt. Im November 2016 entschied das Finanzamt dann: Das Geld wird doch nicht zurückgefordert. Das Risiko, in einem Rechtsstreit zu unterliegen, sei zu groß.
Was passierte im Rathaus?
Was geschah bei diesen Treffen im Rathaus? Und welchen Einfluss hatte es auf die Entscheidung des Finanzamts? Hatte es überhaupt Einfluss? Um diese Fragen zu klären, haben sich sogar die sonst nicht eben freundschaftlich verbundenen Fraktionen von CDU und Linkspartei in der Bürgerschaft zusammengetan und einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) ins Leben gerufen.
Und an diesem Freitag, 30. April 2021, sagt nun der Mann aus, um den es im Kern geht: Olaf Scholz, mittlerweile Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat. CDU und Linke hätten ihn gern später vernommen, nach den Mitarbeitern des Finanzamts, um Scholz mit deren Aussage zu konfrontieren. Rein „zufällig“ hätte das dann wohl kurz vor der Bundestagswahl im September stattgefunden. Doch die SPD hatte den Braten gerochen und entgegnet: Würde man wirklich alle relevanten Zeugen zuerst vernehmen, käme Scholz nicht vor Ende des Jahres dran – das könne doch niemand wollen. Wollte auch niemand.
Blitzlichtgewitter für den ehemaligen Bürgermeister
Also heute, 30. April. Der große Festsaal im Rathaus. Ein prächtiges Gemach, groß wir eine Dreifeldturnhalle. Sieben Jahre lang hatte der Bürgermeister Olaf Scholz hier hochrangige Gäste ebenso empfangen wie einfache Bürger. Aber fast immer war er der Gastgeber, der Hausherr, der Chef, auf den sich alle Augen richteten. Letzteres ist heute zwar auch der Fall. Als Scholz um Punkt 14 Uhr den Saal betritt, bricht ein Blitzlichtgewitter los.
Doch wer hier heute der Chef ist, muss sich erst noch zeigen. Eine Sonderbehandlung ist jedenfalls auch für den Vizekanzler nicht vorgesehen. Scholz muss auf einem einfachen Stuhl Platz nehmen, links und rechts Spuckschutzwände aus Plexiglas, vor sich auf dem Tisch ein weißes Schild mit der schlichten Aufschrift: „Olaf Scholz“. Und: „Zeuge.“
Medienprofi Scholz weiß sich zu inszenieren
Doch der 62-Jährige achtet sorgsam darauf, dass genau dieses Foto von ihm und dem Wort „Zeuge“ nicht entsteht – der Politik- und Medienprofi Scholz weiß natürlich, dass dieses Bild noch tausendfach gedruckt werden würde und für seine Bewerbung um das Bundeskanzleramt nicht eben förderlich wäre.
Er nimmt seinen Platz nur kurz in Augenschein, dreht dann eine Runde durch den Saal, begrüßt etliche Abgeordnete coronakonform mit der Faust am ausgestreckten Arm, plaudert kurz mit dem CDU-Wirtschaftspolitiker Götz Wiese und dem PUA-Vorsitzenden Mathias Petersen (SPD),der ihn wieder zu seinem Platz begleitet. Dort bleibt Scholz stehen, bis die Fotografen den Saal verlassen müssen. Erst dann nimmt er Platz.
Scholz geht in die "kontrollierte Offensive"
Für das, was dann geschieht, hatte der Fußballtrainer Otto Rehhagel einst den Begriff „kontrollierte Offensive“ geprägt. In einem gut einstündigen Eingangsstatement nimmt Scholz fast jede mögliche Frage der Abgeordneten vorweg, auch die potenziell unangenehmen, um sie in seinem Sinn und im Zusammenhang zu beantworten. Im weiteren Verlauf der Sitzung wird er dann immer wieder auf dieses Statement verweisen: Dem habe er nichts hinzuzufügen, mehr erinnere er nicht, man solle bitte nicht spekulieren.
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Damit er nicht überhört werden kann, spricht Scholz den ihm wichtigsten Satz am Anfang, in der Mitte und am Ende noch einmal: „Ich habe auf das Steuerverfahren Warburg niemals Einfluss genommen.“ Alles, was an Vorwürfen und Behauptungen seit mehr als einem Jahr kursiere, seien „haltlose Schauermärchen“ und auf keinerlei Belege gestützt.
Scholz: "Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt"
Solidarität sei ihm sein „ganzes Leben lang“ wichtig gewesen – daher sei er in die SPD eingetreten. Steuerhinterziehung habe er immer bekämpft: „Das sind keine Kavalierdelikte, das sind schwere Straftaten“, sagt Scholz und zählt wortreich auf, was er als Bürgermeister und Bundesfinanzminister alles dagegen unternommen habe – auch gemeinsam mit dem damaligen Finanzsenator und heutigen Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). „Hinweise auf Cum-Ex-Geschäfte werden in dieser Stadt konsequent verfolgt“, habe dieser einst gesagt, und das stimme auch, so Scholz. Die Hamburger Steuerverwaltung habe 2014 den ersten Cum-Ex-Fall vor den Bundesfinanzhof gebracht. Die Beteiligten an diesen Geschäften nennt er eine „gut organisierte Steuerhinterziehungsindustrie“.
Er sei daher „empört“, dass öffentlich der Eindruck erweckt werde, es sei politisch Einfluss auf das Warburg-Verfahren genommen worden. Das sei auch ein „Angriff auf die Integrität“ der Hamburger Finanzbeamten. Zum Fall Warburg habe er schon wegen des Steuergeheimnisses kein vertieftes Wissen, so Scholz. Da bestehe eine gewisse „Waffen-Asymetrie“ zum Ausschuss, der über Berge von Akten verfügt. Er wisse aber aus Medienberichten, dass der Stadt „kein finanzieller Schaden“ entstanden sei: Die Forderungen gegen Warburg - 47 Millionen Euro in 2016 und 43 Millionen in 2017 – seien nie verjährt, und die Bank habe mittlerweile alles samt Zinsen bezahlt.
Ex-Bürgermeister kann sich nicht mehr erinnern
Auch den für ihn wohl heikelsten Punkt spricht Scholz direkt an: Seinem Kalender zufolge habe es 2016 und 2017 insgesamt drei persönliche Treffen mit den Warburg-Chefs und ein Telefonat gegeben. Das sei aber aus seiner Sicht nicht ungewöhnlich. Führende Vertreter aus Wirtschaft, Kultur oder Gewerkschaften hätten bei ihm jederzeit einen Termin bekommen. Er habe als Bürgermeister sieben Jahre lang von morgens um neun bis in den Abend „ohne Pause“ solche Gespräche geführt, daher könne er sich „naturgemäß“ nicht mehr an jedes erinnern. Auch an Inhalt und Ablauf der Treffen mit Warburg und Olearius habe er „keine Erinnerung“ – ein Punkt, den die Abgeordneten später immer wieder hinterfragen.
Dass Scholz sich nicht erinnere, dass ihn die Chefs einer der größten Hamburger Banken über deren Schieflage informierten, nehme er ihm nicht ab, kritisiert Norbert Hackbusch (Linkspartei). Doch Scholz bleibt seiner Linie treu: Er habe in seinem Statement alles gesagt. Er empfiehlt dem Ausschuss, einen Abteilungsleiter aus der Wirtschaftsbehörde zu befragen, der bei dem ersten Gespräch dabei war. Vielleicht erinnere der sich.
Formulierungen gleichen denen von Olearius
Der Minister erklärt aber seine „Linie“ für derartige Gespräche: Er höre sich das Anliegen an, frage vielleicht nach, aber er mache keine Zusagen und verspreche nichts. Grundsätzlich nicht. Interessanterweise ist das eine Formulierung, die sich fast eins zu eins so in den Tagebüchern von Olearius findet. Der hatte nach den Gesprächen notiert, dass Scholz zurückhaltend reagiert habe und sich nicht in die Karten schauen lasse, wie er über die Sache denke.
Auch an das Argumentationspapier, das die Warburg-Chefs ihm beim zweiten Treffen übergeben haben, habe er keine Erinnerung, beteuert Scholz. Wenn Olearius in seinem Tagebuch schreibe, dass der Bürgermeister ihn später angerufen und aufgefordert habe, das Papier Finanzsenator Tschentscher zuzuleiten, habe er aber „keinen Grund, daran zu zweifeln“, so Scholz. Das Telefonat sei jedenfalls für den 9. November 2016 in seinem Kalender vermerkt. Es würde auch seiner Haltung entsprechen, sich nicht in Steuersachen einzumischen und die Betroffenen an die zuständige Behörde zu verweisen. Das macht Till Steffen (Grüne), früher Justizsenator im Scholz-Senat, stutzig: Welchen Sinn es denn habe, dem Finanzsenator ein Papier zukommen zu lassen, wenn auch der gar keinen Einfluss nehmen könne, will er wissen. Scholz windet sich: Das sei eine spekulative Ableitung. Er habe ja schließlich keine Erinnerung an das Gespräch, das Papier und das Telefonat und stütze sich nur auf das, was über Olearius’s Aufzeichnungen bekannt sei.
Sitzung dreht sich im Kreis
So dreht sich die Sitzung über Stunden im Kreis. Sobald eine Frage über das hinausgeht, was Scholz freiwillig preisgegeben hat, verweist er auf sein Statement oder seine fehlende Erinnerung. Mit fortschreitender Zeit werden die Schlagabtausche zickiger. Dass er sich einerseits als großer Vorkämpfer gegen Cum-Ex hinstelle, und andererseits an Gespräche über einen Fall „im eigenen Haus“ nicht mehr erinnere, sei doch „völlig unglaubwürdig“, so Richard Seelmaecker (CDU). Antwort Scholz: „Tja, ist ja keine Frage.“ Und Norbert Hackbusch (Linke) befindet: „Ihre Erinnerungslücken sind phänomenal. So kenne ich Sie gar nicht.“ Scholz lässt auch das an sich abprallen: „Man muss ein reines Gewissen haben – das habe ich.“ Und die Abgeordneten wissen jetzt: Olaf Scholz hat sich mit den Warburg-Chefs getroffen. Nicht mehr und nicht weniger.