Hamburg. Hamburgs Notaufnahmen stocken Personal für Silvester auf. Dieses Jahr hätte man Feuerwerk erneut verbieten müssen, sagen zwei Ärzte.
Die letzten Monate waren für die überlasteten Notaufnahmen und Rettungssanitäter in Hamburg eine Ausnahmelage, wie sie sonst nur zu Silvester herrscht. Jetzt, wo Feuerwerk nach zwei Jahren Böllerverbot wieder erlaubt sei, befürchten Notfallmediziner das Schlimmste.
„Die Menschen werden wie wild drauflosböllern“, sagt Dr. Michael Wünning, Leiter der Notaufnahme am Marienkrankenhaus. „Ich gönne jedem die Feierei. Die Menschen sind nach den Einschränkungen der letzten drei Jahre nähe- und vergnügungssüchtig“, so Wünning. „Aber wir haben eigentlich die gleiche Situation wie zu Corona-Zeiten. Dass ausgerechnet in einer deutschlandweiten Überlastungssituation Silvester-Feuerwerk und Böller wieder erlaubt werden, ist mir unverständlich.“
Jetzt bleibe nur, an die Menschen zu appellieren, auf Böller zu verzichten. Und wenn das nicht zumutbar sei, ausschließlich legales Feuerwerk zu verwenden und die Gebrauchsanweisung zu befolgen.
Silvester: Verzicht auf Böller würde Krankenhäuser entlasten
Auch Dr. Sebastian Casu, Chef der Zentralen Notaufnahme an der Asklepios Klinik Wandsbek, fordert einen Verzicht auf Böller. „Das würde uns Krankenhäuser sehr entlasten.“ Bei der Entscheidung, Feuerwerk wieder zu erlauben, habe der Senat offenbar vor allem auf die Pandemielage geschaut, die angespannte Situation in den Krankenhäuser sei so noch nicht vorhersehbar gewesen.
Einen Super-Gau werde es in den Notaufnahmen aber wohl nicht geben. „Wir sind immer darauf eingerichtet, unerwarteten Ereignisse entgegentreten zu können. Nicht nur an Silvester“, sagt Wünning. Ferner ständen im Marienkrankenhaus zum Jahreswechsel zusätzliches Pflegepersonal sowie Notfall- und Unfallchirurgen bereit, die bei Bedarf „reingeholt“ werden könnten.
Notaufnahmen: „Flaschenhälse“ der Krankenhäuser sind oft verstopft
In Wandsbek wurde das Pflegepersonal ebenfalls aufgestockt. Sollten mehr Patienten eingeliefert werden, als versorgt werden können, gebe es zudem Hintergrunddienst für Ärzte, so Chefarzt Casu. „In jedem Fall aber wird sich die Aufenthaltsdauer für Patienten mit weniger dringendem Behandlungsbedarf deutlich verlängern.“
Schon jetzt sei diese viel höher als zu „normalen“ Zeiten. „Die Notaufnahme ist in jedem Krankenhaus der Flaschenhals“, sagt Sebastian Casu. „Da es momentan durch den Krankenstand beim Personal weniger Betten gibt, die bepflegt werden können, gleichzeitig aber ein höheres Patientenaufkommen, sind diese Flaschenhälse regelmäßig verstopft.“
Appell an Patienten: Notaufnahme nur in Notfällen!
Zu filtern, wer auf Station kommen müsse und wer ambulant versorgt werden könne, dauere in der derzeitigen angespannten Situation länger als sonst. Auch, wenn es erst mittelfristig helfe, sei eine Reformierung der Notfallversorgung unter Berücksichtigung der Notaufnahmen, des KV-ärztlichen Dienstes und des Rettungsdienstes unumgänglich – und eine Sensibilisierung der Bürger dafür, sich wirklich nur in Notfällen an diese zu wenden.
Es gelte, die Patienten bereits vor Eintreffen in den Notaufnahmen richtig zu lenken – und um sie bei dieser Entscheidung unterstützen zu können, müsste das bestehende System geändert werden, so der Intensiv- und Notfallmediziner.
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„Man müsste die Arztrufnummer 116 117 mit der Notrufnummer 112 zusammenlegen, denn die Leitstelle der Feuerwehr schickt Rettungswagen auch zu Patienten mit Bagatellen, die dann aus rechtlichen Gründen ins Krankenhaus gebracht werden müssen.“ Durch ein Zusammenlegen ließe sich erreichen, dass künftig am Telefon entschieden werde, welcher Patient ins Krankenhaus komme und wer vom ärztlichen Notdienst besucht werden könne. Das müsse rechtlich abgesichert sein.
Marienkrankenhaus: Software übernimmt Telefontriage
So ähnlich wird diese Triage bereits im Katholischen Marienkrankenhaus praktiziert, wo im Sommer das erste Integrierte Notfallzentrum Norddeutschlands eröffnet wurde. „Wir haben einen Tresen, an dem Personal der kassenärztlichen Vereinigung sitzt und anhand gezielter und strukturierter Fragen ermittelt, ob eine Behandlung im Krankenhaus oder ambulant erfolgen sollte“, erläutert Notfall-Chefarzt Wünning.
Das erfolgt mit einer Software, die als offiziell geprüftes Medizinprodukt bereits in der Telefontriage eingesetzt wird. Der Vorteil liege auf der Hand. „Uns bleibt dadurch mehr Zeit für die wirklichen Notfälle und akut Verletzten.“ Das Innovationsprojekt habe sich bereits bei den vielen Unfallopfern des Blitzeises kürzlich bewährt – und werde sicherlich auch an Silvester helfen.