Hamburg. Melanie Schlotzhauer soll zwischen Kliniken und niedergelassenen Ärzten vermitteln. Werden Hamburger Notfallpraxen sogar eingedampft?
Die äußerst angespannte Situationen in den Notaufnahmen der Hamburger Krankenhäuser und in vielen Arztpraxen soll am Dienstag auf einem Krisengipfel unter Führung des Senats thematisiert werden. Die Behörde der neuen Sozial- und Gesundheitssenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) erklärte auf Abendblatt-Anfrage, dass man „sehr kurzfristig“ so ein unter anderem von den Asklepios-Kliniken gefordertes Treffen möglich mache.
Wie berichtet, sehen sich viele Krankenhäuser wegen der Welle mehr oder weniger schwerer Infekte kaum noch in der Lage, alle Notfälle zu behandeln. Einige Patienten mussten daher schon ins Umland verlegt werden. Die Kliniken kritisieren unter anderem, dass oft Patienten mit Erkältung oder Grippe in die Notaufnahme kommen, anstatt eine Arztpraxis aufzusuchen. Die niedergelassenen Ärzte sehen sich jedoch selbst an der Grenze zur Überlastung und weisen den Vorwurf zurück, in ihren Notfallpraxen nicht genügend Notfälle zu behandeln.
Notaufnahmen Hamburg: Was Asklepios fordert
Asklepios-Medizinvorständin Dr. Sara Sheikhzadeh sagt: „Einmal mehr werden die Krankenhäuser in die Verantwortung genommen, die Gesundheitsversorgung zu sichern, während niedergelassene Haus- und Fachärzte keinen zusätzlichen Anteil an der Versorgung der Notfälle – oder scheinbaren Notfälle – beitragen müssen.“ Der Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung, John Afful, entgegnet: „Der Asklepios-Konzern soll bitte seine ureigenen Aufgaben selbst erfüllen und nicht versuchen, diese auf andere abzuwälzen.“
In diesem Konflikt soll und will die neue Senatorin vermitteln, die zuvor Gesundheits-Staatsrätin war und der die Thematik daher vertraut ist. Ihre Behörde hatte den Notaufnahmen verboten, sich von der Leitstelle abzumelden, auch wenn sie überlastet sind. Rettungswagen sollen stets die nächstgelegene Klinik anfahren. Aus der Behörde hieß es, es könne nicht sein, dass einige Häuser „Schönheits-OPs“ machen, aber Notfälle abweisen. Die Senatorin muss nun ausloten, wie die Belastungen von Kliniken und Praxen verteilt werden können und welche kurzfristigen Maßnahmen möglich sind.
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Arztpraxen in Hamburg: Aufnahmestopp und Wartelisten
Die Stimmung unter den Haus-, Fach- und Kinderärzten ist explosiv. Da sie keine Corona-Boni, Inflationsausgleiche oder Energiehilfen bekommen, setzen sie ihre Proteste gegen die Politik von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) fort. Er wurde auf der Hamburger Vertreterversammlung als „Krankenhausminister“ bezeichnet. Die Mediziner drohen: „Wir werden unsere Leistungen dem Geld anpassen.“ Das bedeutet weiter Aufnahmestopp in vielen Praxen und längeres Warten auf Termine. Als „Reaktion auf sinkende Einnahmen“ wollen die Praxisärzte diskutieren, ob sie sich den 20 Millionen Euro teuren Notdienst in dieser Form und mit acht Notfallpraxen noch leisten wollen.
Das System heißt Ivena und ist mal wieder der Beweis dafür, dass es irgendwie verhext ist mit Notaufnahmen und Notfallpraxen. In anderen Bundesländern ist dieser „Interdisziplinäre Versorgungsnachweis“ Standard, in Hamburg wird zeitaufwendig abtelefoniert: Mit Ivena weiß die Leitstelle, wissen die Rettungswagen in Echtzeit, welches Krankenhaus Kapazitäten für Notfallpatienten hat. Die Notärzte sehen, ob im Haus ein Schockraum frei ist, ob ein Herzkatheter, wie die Auslastung der Intensivstation ist. Das spart allen Zeit und Nerven.
Können Notrufnummern 112 und Arztruf 116 117 vernetzt werden?
Asklepios-Vorständin Sheikhzadeh hat selbst in Notaufnahmen gearbeitet, sie geleitet und fordert heute unter anderem: Dieser digitale Kapazitätsnachweis sollte kurzfristig in Hamburg eingeführt werden. Dass die Sozialbehörde den Notaufnahmen derzeit verbiete, sich wegen des enormen Patientenandrangs von der Leitstelle abzumelden, kritisierte sie: „Das gefährdet eine sichere Versorgung und setzt unser Personal zusätzlich unter Stress.“ Sheikhzadeh und ihr Vorstandskollege Joachim Gemmel hatten die Überlastung beklagt und von der Kassenärztlichen Vereinigung verlangt, die Öffnungszeiten der Notfallpraxen auszuweiten. Außerdem regten sie eine Vernetzung der Notrufnummern 112 und 116 117 (Arztruf) an, um Patienten genauer zu steuern.
Die Vertreterversammlung der KV, das Parlament der Niedergelassenen, verfasste zur Situation der Notdienste eine eigene Resolution: „Die Behauptungen, dass die Krankenhäuser die aktuelle Ausnahmesituation überwiegend alleine stemmen würden und nur überlastet wären, weil die Niedergelassenen ihre Sicherstellungsauftrag nicht nachkommen würden, sind weltfremd und grotesk.“ Die Praxen behandelten „viel mehr Fälle“ als in den vergangenen Jahren.
Hamburger Ärzte gegen Karl Lauterbach
Die Versorgung in den eigenen acht Notfallpraxen (sieben an Krankenhäusern) sei bereits massiv ausgebaut worden. Fast schon aus Trotz gegenüber der Gesundheitspolitik und nicht ausreichender Honorierung äußerten mehrere Ärzte in der Vertreterversammlung Ideen, die Zahl der Notfallpraxen in Hamburg auf die Hälfte einzudampfen.
Asklepios-Vorstand Gemmel sagte dem Abendblatt vor dem Krisentreffen mit Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer in der kommenden Woche: „Fakt ist: Die Versorgung ambulanter Patientinnen und Patienten in der Stadt – sofern sie kein Notfall für die Klinik sind – ist ureigene Aufgabe der Haus- und Fachärzte. Offensichtlich sind die Praxen durch die extrem hohe Inanspruchnahme und Krankheitsfälle beim Personal derzeit überlastet, wofür auch die Kliniken Verständnis haben, da auch die Kliniken aktuell einen höheren Krankenstand verzeichnen müssen.“
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Krisengipfel beim Senat: "Konstruktive" Lösungen gefordert
Das „Gesamtgefüge“ der Notfallversorgung könne nur funktionieren, wenn sich alle Beteiligten ihrer Kernaufgabe stellten. „Die Notaufnahmen gewährleisten die bestmögliche Versorgung von Herzinfarkten, Schlaganfällen, Unfallverletzten und anderweitig notfallmäßig Erkrankten. Die ambulante ärztliche Versorgung ist durch die KV Hamburg sicherzustellen.“
Es sei im Interesse aller, dass bei dem von Asklepios angeregten Krisengipfel in der Behörde „konstruktiv“ über die Lage gesprochen werde. Die Praxisärzte sehen diesen Punkt ähnlich. Aus ihren Kreisen hieß es: „Mit Lauterbach haben wir ein echtes Problem. Melanie Leonhard und Melanie Schlotzhauer verstehen uns wenigstens.“