Hamburg. Die Lage in Hamburg ist derzeit angespannter als zu schlimmsten Corona-Zeiten. Patienten werden bereits ins Umland gefahren.
- Die Notaufnahmen in Hamburg sind völlig überlastet
- So angespannt wie jetzt war die Lage nicht einmal während schlimmster Corona-Zeiten
- Trotzdem müssen sie weiter Patienten aufnehmen
Die Situation in den Notaufnahmen der Hamburger Krankenhäuser hat sich derart verschärft, dass Patienten bereits ins Umland gefahren werden müssen, weil für sie kein Platz mehr gefunden werden kann.
Die aktuelle Lage sei schlimmer als in den heißesten Phasen der Corona-Pandemie, hieß es beim größten Klinikbetreiber Asklepios. Das Unternehmen, das jedes zweite Bett in Hamburg betreibt, forderte den Senat auf, sofort eine Taskforce einzusetzen, um gemeinsam mit niedergelassenen Ärzten die dramatische Lage in den Griff zu bekommen.
Krankenhaus Hamburg: "Sichere Versorgung gefährdet"
Asklepios-Medizinvorständin Dr. Sara Sheikhzadeh beklagte, die Sozialbehörde habe es den völlig überlasteten Notaufnahmen seit Montag nicht einmal mehr erlaubt, sich für wenige Stunden von der Leitstelle abzumelden. Die Rettungswagen müssten „auf Anweisung der Behörde“ grundsätzlich die nächstgelegene Klinik anfahren. Auch in dem Fall, dass dort alle Schockräume oder die Betten der Intensivstation komplett belegt seien „Das gefährdet eine sichere Versorgung und setzt unser Personal zusätzlich unter Stress“, so Sheikhzadeh, die früher selbst die Notaufnahmen in Harburg und St. Georg geleitet hatte. Die Anordnung gilt vorerst unbefristet.
Sheikhzadeh sagte: „Einmal mehr werden die Krankenhäuser in die Verantwortung genommen, die Gesundheitsversorgung zu sichern, während niedergelassene Haus- und Fachärzte keinen zusätzlichen Anteil an der Versorgung der Notfälle – oder scheinbaren Notfälle – beitragen müssen.“ Es kämen immer mehr Patienten in die Notaufnahmen, die „offensichtlich“ in eine Arztpraxis gehörten.
Sheikhzadehs Vorstandskollege Joachim Gemmel, Sprecher der Asklepios Kliniken Hamburg, forderte: „Wir brauchen in Hamburg unverzüglich eine Taskforce unter Teilnahme aller, die in der medizinischen Versorgung Verantwortung tragen – und zwar unter Führung der Stadt –, um eine weitere Eskalation zu stoppen.“ Die Situation der Notfallversorgung sei bedrohlich. Wie berichtet, kommen aktuell strukturelle Probleme wie der Fachkräftemangel vor allem in der Pflege und eine Welle an RSV- und Grippeviren sowie leichtere Atemwegserkrankungen in der späten Phase der Corona-Pandemie zusammen.
Behörde beschwichtigt: Patienten werden immer "Hilfe finden"
Die Sozialbehörde erklärte dem Abendblatt, man stehe für eine gemeinsame Runde zur Verfügung. „Hamburg verfügt als Metropole über ein breites Versorgungsangebot von niedergelassenen Ärzten, Notfallpraxen und Krankenhäusern. Wer in eine medizinische Notlage kommt, wird in diesem dichten Netz von Angeboten Hilfe finden und versorgt werden.“ Auch Asklepios machte klar, dass Menschen mit mehreren Erkrankungen oder Verletzungen, Herzinfarkten und Schlaganfällen immer aufgenommen würden.
Die Behörde erklärte weiter zur Situation in den Praxen und Notfallpraxen der KV: „Die Kassenärztliche Vereinigung bemüht sich nach Aufforderung der Behörde gegenwärtig darum, hier weitere Verbesserungen umzusetzen, etwa durch zusätzliche Angebote. In den Krankenhäusern können daneben Handlungsspielräume entstehen, indem planbare Eingriffe zu einem anderen Zeitpunkt durchgeführt werden.“
Kassenärzte fordern Reform der Notfalldienste
Der Vorsitzende der Vertreterversammlung in der KV, Dr. Dirk Heinrich, sagte dem Abendblatt: Die Notfallpraxen seien nicht voll ausgelastet. Die Kritik von Asklepios könne er nicht ganz verstehen. Im Integrierten Notfallzentrum am Marienkrankenhaus sei es gelungen, an einem Tresen zu entscheiden, wer ins Krankenhaus müsse, wer ambulant behandelt und wer nur einen Termin für eine Praxis brauche, um sich dort am nächsten Tag behandeln zu lassen.
„Wir brauchen eine Reform der Notfalldienste. Am Marienkrankenhaus konnten wir schon 60 Prozent der Patienten aus der Notaufnahme weglocken.“ Ob eine Task Force jetzt „alle Probleme auf einen Schlag löst“, da sei er skeptisch. Heinrich sagte jedoch, die KV nehme an allem teil, was einen sinnvollen Ansatz hervorbringe.
Patienten gehen in Notaufnahmen statt in die Praxis
Die Krankenhäuser sind verschnupft, weil sie überlaufen werden von Patientinnen und Patienten, deren Erkrankung oft auch in einer niedergelassenen Praxis behandelt werden könnte. Doch auf der anderen Seite beklagen sich die Praxisärzte, dass sie aufgrund der frühen Grippewelle und gehäufter Atemwegsinfekte selbst kaum noch Luft holen können. Da Ärzte selbst krank ausfallen und Termine wegen des Andrangs blockiert sind, suchen viele Patienten sofort den Weg in die Notaufnahmen der Krankenhäuser.
Viele kennen den Arztruf 116 117 nicht oder wissen nicht, dass ihnen dort Termine oder Hausbesuche vermittelt werden können. In ganz dringenden Fällen raten die Mitarbeiter des Arztruf auch, den Notruf zu wählen. Die Notfallpraxen der Kassenärztlichen Vereinigung in Altona, in Harburg, am UKE, am Bundeswehrkrankenhaus und in Reinbek (für den Hamburger Osten, direkt hinter der Stadtgrenze) sind in diesen Tagen ebenfalls überlaufen. Die KV mühte sich zuletzt, dort ausreichend Ärzte für die Notdienste zu verpflichten.
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Asklepios: Rettungswagen sollen Notfallpraxen anfahren
Asklepios schlägt unter anderem vor, weitere Notfallpraxen einzurichten und die Öffnungszeiten dort auszuweiten. Der Rettungsdienst solle außerdem diese Notfallpraxen der KV sowie Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in Hamburg anfahren, um dort Patienten zu versorgen, die „absehbar einer ambulanten Behandlung bedürfen und nicht zwingend in eine voll ausgestattete zentrale Notaufnahme gehören“. Das betreffe zum Beispiel kleine und ältere Wunden oder Beschwerden, die bereits seit Längerem bestehen.
Die Kinder-Notaufnahmen wie am Wilhelmstift oder am Altonaer Kinderkrankenhaus sind ebenfalls überlastet und mussten bereits Patienten weitertransportieren (das Abendblatt berichtete). Wegen der Welle an für Babys gefährlichen RSV-Viren hatten Ärzte und Pflegekräfte dort ebenso wie die Kinderärzte in Hamburg Alarm geschlagen. In Brandbriefen machten sie ihrem Unmut Luft. Die Behörde hat auf das Schreiben der Kinderärzte an Sozialsenatorin Melanie Leonhard, ihre Nachfolgerin Melanie Schlotzhauer (beide SPD) und KV-Chef John Afful bisher nicht reagiert.
Kinderkrankenhaus Wilhelmstift: Kinder bis nach Flensburg gefahren
Das Katholische Kinderkrankenhaus Wilhelmstift in Rahlstedt konnte zeitweise kranke Kinder nicht aufnehmen, weil Pflegekräfte fehlten. Das allerdings war ein strukturelles Problem und hatte sich dadurch verstärkt, dass die aktuelle Welle an Infekten besonders die Kleinen traf. In einem Brief an den Senat und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) beklagte die Mitarbeitervertretung unhaltbare Zustände im Gesundheitswesen.
„Dass Kinder und ihre Familien aus Hamburgs Osten dann nach Itzehoe, Neumünster, Lübeck oder sogar bis nach Flensburg verlegt werden müssen, ist kaum zu ertragen und kann nicht im Sinne der Gesundheitspolitik sein. Wir haben nachweislich bis Oktober dieses Jahres, 329 Patienten erfasst, die nicht hier stationär betreut werden konnten.“ Und weil die aufnehmenden Ärztinnen und Ärzte die Patienten in einer Reihenfolge nach medizinisch eingestufter Fallschwere behandeln (Triage), kommt es aufgrund der aufgeheizten Atmosphäre zu „psychischer und physischer Gewalt“ gegenüber Ärzten und Pflegekräften. Diesen Hilferuf Richtung Politik unterstützte die Geschäftsführung des Wilhelmstift ausdrücklich.
Krankenhaus Hamburg: Asklepios fordert bessere Notfallversorgung
Am Dienstag erklärte Asklepios, man müsse auch die älteren Patientinnen und Patienten betrachten, die aus den Heimen in die Notaufnahmen gebracht werden. Sie kämen wegen der fehlenden hausärztlichen Versorgung in den Heimen oft mit Bagatellfällen und belasteten die Kliniken zusätzlich. Es sei zudem schwierig, diese Patienten schnell in die Heime zurückzubringen. Die KV müsse einen eigenen ärztlichen Heimdienst einrichten, schlug Asklepios vor. Ein sogenanntes „UroMobil“ solle helfen, bei Pflegeheimbewohnern Katheter anzulegen oder zu wechseln. Die Krankenkassen könnten somit Transportkosten sparen, Rettungsdienste und Kliniken würden entlastet.
Grundsätzlich müsse die Notfallversorgung in Hamburg verbessert werden, indem alle Notaufnahmen und die Leitstelle digital sehen müssten, wer sich wo abgemeldet habe und wie die Belastungen in den einzelnen Häusern sei. Ein Ampelsystem wäre hilfreich, sagte Asklepios-Vorständin und Notärztin Sheikhzadeh. In anderen Ländern gebe es bereits einen Bettennachweis in Echtzeit.