Hamburg. Lehrer, Eltern und Schüler monieren veraltete Lernstrukturen und warnen vor “kontinuierlichem Gehetze“. Die zentralen Kritikpunkte.

Das Aufbegehren gegen die neuen Bildungspläne von Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) wird massiver. Egal, ob Leitungen von Grund- und Stadtteilschulen oder Gymnasien, ob Schüler- oder Elternkammer: Sie alle wehren sich heftig gegen die neuen Standards und fordern den sofortigen Stopp der Pläne und eine Neuentwicklung unter Mitwirkung der Beteiligten. Die Entwürfe seien geprägt von veralteten Lernstrukturen mit bloßem Auswendiglernen von Fakten.

Es ist vor allem die inhaltliche Überfrachtung der Bildungspläne, die den Experten in der Hamburger Schullandschaft Sorgen bereitet. Sie befürchten eine sich drastisch verändernde Lernkultur. Das „Bündnis für zukunftsfähige Schulen in Hamburg“, das sich aus Schülern, Eltern, Lehrern, Schulleitungen aller Schulformen und Gewerkschaften zusammensetzt, ist alarmiert. Die neuen Bildungspläne böten demnach keine Grundlage dafür, die Gesellschaft, die Schüler und ihre Familien auf die modernen Herausforderungen vorzubereiten.

Schule in Hamburg: "Bildungspläne verhindern gute Unterricht"

Im Gegenteil: „Aus pädagogischer Sicht führen die geplanten Veränderungen zu einem Unterrichtsklima, das nicht lernförderlich ist und der individuellen Lernentwicklung nicht genügend Raum lässt. Sie verhindern guten Unterricht, anstatt ihn zu befördern“, so Kai Kobelt von der Lehrerkammer. Schüler, so die Schüler:innenkammer, würden das als „kontinuierliches Gehetze von Thema zu Thema zu Klausur“ empfinden. Lernmotivation und Leistungsbereitschaft blieben auf der Strecke.

Die zentralen Kritikpunkte: Die Entwürfe seien mit verbindlichen Fachinhalten und Faktenwissen, das schnell überholt sein kann, vollgestopft. Kritisches Denken, Kreativität, Zusammenarbeit und Kommunikation würden verhindert. „Diese Überfrachtung nimmt den Schülern die Zeit für das Experimentieren, für Erfahrungen in- und außerhalb der Schule“, heißt es in einer Stellungnahme der schulischen Akteure. Und sie nehme die Möglichkeit, Beziehungen und Bindungen zwischen Lehrern und Schülern aufzubauen.

Klausuren werden an Hamburgs Schulen wichtiger

„Die Pläne verhindern fachübergreifende Themen und Projekte“, so das „Bündnis für zukunftsfähige Schulen in Hamburg“. Die neuen Bildungspläne verlangen von den Schülern zudem mehr schriftliche Klausuren, und die schriftlichen Noten werden in Zukunft auch genauso stark bewertet wie die mündliche Leistung (bislang 40:60). Klausurersatzleistungen würden gar nicht mehr möglich sein.

„Stoffverdichtung und Betonung von Klausurleistungen werden, zusammen mit dem Wegfall von Klausurersatzleistungen, dazu führen, dass weniger Schüler die jeweiligen Übergänge und Abschlüsse werden bewältigen können“, so die Prognose von Alexandra Fragopoulos von der Elternkammer.

Andere Kompetenzen und Ausdrucksformen würden weniger berücksichtigt. „Wir stören uns nicht am Anspruch der Bildung und an der Einforderung von Leistung. Dies aber richtet sich nicht an der Menge der zu schreibenden Klausuren aus, sondern am Gehalt und Grad der Anforderungsbereiche, die Kinder und Jugendliche zu meistern haben. Diese Kompetenzen gilt es zu üben und zu festigen“, so Kirsten Nicklaus von der Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien und Studienseminare.

Schule: Bündnis fordert Stopp der Bildungspläne

Nicht Druck und die Menge an Klausuren sei entscheidend für den Lernerfolg und die Qualität der Bildung, sondern wie die Pädagogen Schülerinnen und Schüler unterstützen können. „Diese Entwürfe ermöglichen keine Entwicklung eines modernen Bildungsverständnisses und zukunftsgewandter Lernsettings.“

Die Digitalisierung komme viel zu kurz und müsse stärker berücksichtigt werden ebenso die Inklusion. „Themen wie Legasthenie, Lese-Rechtschreib-Schwäche und zieldifferenter Unterricht finden kaum Beachtung. Wie die Zielsetzung von inklusivem Unterricht – dass jeder Schüler mit der nötigen Unterstützung dem Regelunterricht folgen kann – erreicht werden soll, bleibt völlig offen“, kritisiert etwa die Gemeinschaft der Elternräte an Stadtteilschulen in Hamburg (GEST). Außerdem seien die durch die Pandemie entstandenen Lernrückstände noch gar nicht aufgearbeitet worden, da stehen bereits die nächsten grundlegenden Veränderungen und Anforderungen an.

Fazit: Die Umsetzung der Bildungspläne sei nicht mitgedacht worden, die Entwürfe blieben theoretisch. Das „Bündnis für zukunftsfähige Schulen in Hamburg“ fordert Politik und Schulbehörde auf, die Umsetzung der Entwürfe sofort auszusetzen und die Bildungspläne nach den Sommerferien zu überarbeiten unter Beteiligung eines Bildungsrates. Am 30. Juni endet die Frist für Stellungnahmen.

Sven Quiring, Vorsitzender der Gewerkschaft GEW Hamburg. „Es braucht Transparenz darüber, was mit den Rückmeldungen geschieht. Beteiligung darf nicht zum Schwarzen Loch verkümmern, in dem alles verschwindet!“ Dazu der Sprecher der Schulbehörde, Peter Albrecht: „Der Zeitplan sieht vor, dass die Schulbehörde die Stellungnahmen über die Sommerferien auswertet, danach mit Schulleitungen bis zum 30. September erörtert und überarbeitet. Die Endfassung soll dann zum Jahresende der Öffentlichkeit vorgestellt werden und zum nächsten Schuljahr 2023/24 offiziell in Kraft treten.“