Hamburg. Die seit 2020 erstarkte Fraktion fordert SPD bei Bildung und Klimaschutz heraus. Die reagiert “verwundert“ – und mit einer Warnung.
In der gut zweistündigen Debatte der Bürgerschaft über die Energiekrise am Mittwoch stand die rot-grüne Solidarität. Ein ums andere Mal wehrten sich Abgeordnete und Senatoren von SPD und Grünen gegen die zum Teil massiven Vorwürfe der Opposition – wie jenen, der Senat reagiere zu zögerlich oder handele überhaupt nicht. Zwischen Rote und Grüne, das war der Eindruck und sollte wohl die Botschaft sein, passt in dieser schwierigen Phase kein Blatt Papier.
Dabei gibt es ja durchaus energiepolitische Differenzen zwischen den Koalitionspartnern oder einzelnen Akteuren. Da ist die leidige Frage nach dem weiteren Betrieb der verbliebenen drei Atomkraftwerke. Oder das geplante Flüssiggas- (LNG-)Terminal im Hafen: Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) sind dafür, Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) ist strikt dagegen.
Das sind vielleicht nicht unerhebliche, aber doch eingehegte Dissonanzen: Über die Atomkraft wird nicht in Hamburg entschieden, und beim LNG-Terminal macht der Bürgermeister von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch. Das heißt, Hamburgs Bewerbung um ein solches Terminal bei Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) läuft weiter.
Grünen in Hamburg erhöhen bei Bildung und Klimaschutz den Druck
Ganz anders verhält es sich bei zwei Konflikten über zentrale Koalitionsthemen, bei denen die seit der Bürgerschaftswahl 2020 erstarkte Grünen-Fraktion nach der Politik gezielter Nadelstiche vor allem gegen SPD-geführte Behörden verfährt. Bereits in der vergangenen Woche hatte sich Ivy May Müller, die schulpolitische Sprecherin der Grünen, mit der Forderung nach „strukturellen Nachbesserungen“ der Bildungsplanentwürfe zu Wort gemeldet, die nach umfangreichen Stellungnahmen von Kammern, Verbänden, Elternräten und Kollegien derzeit gemeinsam mit den Schuleitern und -leiterinnen überarbeitet werden.
Müller befürchtet, dass die Entwürfe aus dem Hause von Schulsenator Ties Rabe (SPD) angesichts ihrer Leistungsorientierung und der Stofffülle der Curricula „eine veraltete Lernkultur manifestieren, die aktuellen Herausforderungen nicht gerecht wird“. Zwar sei die von Rabe bereits angekündigte Kompromissbereitschaft in Teilbereichen, etwa bei der Zahl der zu schreibenden Klausuren, „positiv“, reiche aber nicht aus. Es brauche eine „grundlegende Änderung der Entwürfe, um ausreichend Raum für eine individuelle und inklusive Pädagogik in der digitalisierten Welt zu schaffen“. Außerdem müsse es darum gehen, „die Kritik der Bildungsakteure ernsthaft einzubeziehen“, was nach Auffassung Müllers bislang offenbar nicht ausreichend geschieht.
SPD reagiert auf Grünen-Vorstoß „überrascht und verwundert“
Es ist nicht ganz verkehrt, von einer Breitseite Müllers und ihrer Fraktion gegen Schulsenator Ties Rabe (SPD) zu sprechen. Entsprechend fielen die Reaktionen aus. Man sei „überrascht und verwundert“ über den Vorstoß der Grünen, heißt es auf SPD-Seite. Das ist unter politischen Partnern die bemäntelnde Formulierung eben unterhalb der Schwelle, von der an ein interner Konflikt öffentlich ausgetragen wird. Die Sozialdemokraten weisen darauf hin, dass noch wenige Tage zuvor Konsens zwischen Roten und Grünen über das weitere Vorgehen in Sachen Bildungspläne bestanden habe.
Rabe selbst reagierte weniger konziliant. „Äußerungen von Abgeordneten klären wir intern“, hatte er schon vergangene Woche schmallippig mitgeteilt. Inzwischen haben Rabe und Müller miteinander gesprochen. Es sollen deutliche Worte gefallen sein. Aus der SPD ist zu hören, dass die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Senator und Fachpolitikerin infolge des „unfreundlichen Aktes“ Schaden genommen habe. Müller möchte sich derzeit zu ihrem Verhältnis zu Rabe nicht äußern, hält aber an ihrer inhaltlichen Position fest.
Dabei war Müllers Kritik an den Bildungsplanentwürfen kein Alleingang, sondern mit der grünen Fraktionsspitze abgestimmt. „Wir wollen den Prozess nicht komplett neu starten“, sagt Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg. Es gehe vor allem darum, dass am Ende auf die überarbeiteten Entwürfe geschaut werden könne, um zu sehen, auf welche Weise auch kritische Rückmeldungen eingeflossen seien. In der gemeinsamen Senatsvorbesprechung von SPD und Grünen am Dienstag erhielt Rabe jedenfalls Rückendeckung für sein Vorgehen. Jasberg meldete sich nicht zu Wort.
Rosa Domm setzt zweiten grünen Nadelstich
Aber die Sache ist keinesfalls ausgestanden zwischen Rot-Grün. Noch ist nicht geklärt, wie das weitere Verfahren aussieht, wenn Rabe seinen überarbeiteten Entwurf der Pläne vorgelegt hat. An den Rahmenvorgaben für den Unterricht zeigt sich, dass die Grünen – und keinesfalls nur die jungen, besonders forschen Abgeordneten wie Müller – ein grundlegend anderes Verständnis vom Zweck schulischer Bildung haben als weite Teile der SPD.
Rabe hat vor allem die Konkurrenzfähigkeit Hamburger Schülerinnen und Schüler im nationalen und internationalen Wettbewerb im Blick und will eine stärkere Leistungsorientierung und Wissensvermittlung in den Plänen verankern. Jeder fünfte Schüler erreicht am Ende von Klasse vier nicht das grundlegende Niveau im Lesen, Schreiben und Rechnen. Den Grünen geht es eher darum, im Unterricht genügend Raum für individuelle und inklusive Pädagogik zu schaffen, wie es Ivy May Müller ausdrückt. Schule solle jeder und jedem Einzelnen die Möglichkeit eröffnen, die besten Chancen zu ergreifen, das eigene Leben zu gestalten.
Anfang dieser Woche folgte dann der zweite grüne Nadelstich: Rosa Domm, mit 23 Jahren die jüngste Abgeordnete und klimapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, forderte den Senat auf, das Tempo zum Beispiel bei der CO2-Reduzierung deutlich zu erhöhen. Bis 2030 solle der Ausstoß von Kohlenstoffdioxid um 70 Prozent gesenkt werden und nicht nur um „mindestens“ 65 Prozent, wie es SPD und Grüne bislang vereinbart hatten. Und Hamburg solle bereits 2040 klimaneutral werden – statt 2045.
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SPD warnt grünen Koalitionspartner, „es nicht auf die Spitze zu treiben“
Für alle Behörden soll eine zweijährliche Berichtspflicht zum Stand der Umsetzung der CO2-Reduzierung eingeführt werden – mit Sanktionsmechanismen, falls die Ziele verfehlt werden. Das gilt zwar für den gesamten Senat, doch eine Behörde stand besonders im Blickpunkt der Kritik: die von Dorothee Stapelfeldt (SPD) geleitete Stadtentwicklungsbehörde. Noch immer steht die 2019 angekündigte Machbarkeitsstudie ihres Hauses zur energetischen Sanierung älterer Gebäude aus. Domm forderte jetzt unter anderem eine „schnelle Sanierung von Altbauten“.
Auf der SPD-Seite kam auch dieser Vorstoß der Grünen nicht so gut an. Hinter vorgehaltener Hand ist zu hören, dass die Fertigstellung der Studie wegen der Blockade der Behörde von Umweltsenator Kerstan (Grüne) so lange dauere, weil ihr die im Entwurf festgelegten Standards zur energetischen Sanierung nicht ehrgeizig genug seien. „Wenn es nach der Stadtentwicklungsbehörde ginge, wäre die Studie schon vor Monaten veröffentlicht worden“, sagt ein Sozialdemokrat.
Aufseiten des größeren Koalitionspartners macht die Runde, die Nickeligkeiten der Grünen könnten eine Art Revanchefoul sein. Bürgermeister Tschentscher (SPD) hatte in der vergangenen Woche nach Beratungen mit Wirtschaftsvertretern angesichts stark steigender Strom- und Gaspreise einen „Notfallfonds Energiekrise“ für Hamburgs Wirtschaft angekündigt. Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) präzisierte, dass der Senat den Fonds mit einem Startkapital von 125 Millionen Euro ausstatten wolle. Auf SPD-Seite wird nun gemutmaßt, der grüne Koalitionspartner könnte sich dabei „nicht richtig mitgenommen“ gefühlt haben.
Wie auch immer, in der SPD ist man pikiert. „Wir wollen keinen offenen Streit, aber die Grünen sollten das nicht auf die Spitze treiben, sonst sagen wir, was alles etwa in der Umweltbehörde nicht gut läuft“, sagt ein führender Sozialdemokrat. Klingt irgendwie nach einer Drohung.