Hamburg. Senatsanfrage der Linken zeigt mehr Beschwerden als bei Gemeinnützigen. Machen sich Investoren in der Pflege breit?

Für Kinder oder Enkel von Pflegebedürftigen ist es eine der kniffligsten Fragen: Kann ich und wie kann ich im Heim oder beim Pflegedienst ansprechen, wenn ich den Verdacht habe, da läuft etwas schief? Wenn Vater oder Mutter oder Omi nicht so gepflegt aussieht wie sonst. Wenn eine Socke nur halb angezogen scheint. Wenn die Medikamentenschachtel unberührt auf dem Tisch liegt.

Sollten sich Angehörige gleich beschweren, droht das Verhältnis zu denen belastet zu werden, die sich meist besonders engagiert um unsere Liebsten kümmern, wenn wir es nicht (mehr) können: die Pflegerinnen und Pfleger, deren Arbeit die alternde Gesellschaft in Zukunft noch mehr schätzen wird.

Und doch braucht es Informationen über Beschwerden, Versäumnisse oder Mängel in der Betreuung Älterer. Sie werden selten systematisch erfasst. Deshalb ist es schon eine verdienstvolle Arbeit, dass die Fraktion der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft in einer Großen Anfrage mal den Status quo erforschen wollte und dass der Senat das so akribisch wie möglich beantwortet hat. Die Ergebnisse und eine Analyse liegen dem Abendblatt vor.

Pflege Hamburg: Das sind die Schwachstellen

Sie zeigen, dass es Pflegemängel gibt, die von der unzureichenden Körperpflege bis zur Ernährung und möglicherweise nicht angemessenen Behandlung reichen. Bei überregionalen Ketten von Pflegeanbietern war zudem auffällig, dass Mitarbeiter überdurchschnittlich häufig Mängel in ihrer Qualifikation hatten. Diese Ergebnisse fußen nicht nur auf Beschwerden, die abgefragt und dokumentiert wurden, sondern auch auf Kontrollen und Ergebnissen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK).

Für die Fragesteller um den Linken-Gesundheitspolitiker Deniz Celik stand im Vordergrund, ob eine „Kommerzialisierung des Pflegesektors“ zu mehr privatwirtschaftlichen, also nicht gemeinnützigen, wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen geführt hat – und ob sich das auf die Qualität der Pflege auswirkt. Das Bild ist nicht ganz eindeutig, doch Celik sagt: „Es zeigt sich in Hamburg deutlich, dass insbesondere bei größeren, überregional aufgestellten Pflegeheimketten im Verhältnis zu gemeinnützigen Einrichtungen und Einzelunternehmen deutlich mehr Beschwerden und deutlich mehr Mängel festgestellt werden. In der ambulanten Pflege sind sogar ausschließlich gewinnorientierte Einrichtungen von Mängeln betroffen.“

Pflege: Gemeinnützige oder private Anbieter?

Nach der Antwort des Senates gibt es in Hamburg mit Stand vom Oktober 2022 insgesamt 145 zugelassene vollstationäre Pflegeeinrichtungen mit 16.836 Plätzen. 59 dieser Heime (6822 Plätze) sind von gemeinnützigen Trägern wie etwa der Diakonie oder von Stiftungen. 86 Einrichtungen sind gewerblich orientiert (10.014 Plätze), 34 von ihnen in überregionalen Unternehmen, die mehr als einen Standort haben. Das ist im Vergleich zum Referenzzeitpunkt 1995 ein erheblicher Zuwachs an privaten Anbietern (damals 47).

Als aussagekräftiger Maßstab für eine gute Pflege gilt unter anderem die Zahl der Pflegefachkräfte. Der Senat kann anhand von Prüfungen zeigen: In mehr gemeinnützigen Heimen liegt die Fachkraftquote unter 50 Prozent als in privaten mit nur einem Standort. Heißt: So gut sieht es hier bei den Gemeinnützigen nicht aus im Vergleich. Allerdings weisen noch mehr überregionale Pflegeketten eine noch schlechtere Fachkraftquote auf.

Steht der Profit im Vordergrund?

Bei den ambulanten privaten Pflegeketten sind außerdem überdurchschnittlich viele Mängel in der Qualifikation der Mitarbeiter vom Medizinischen Dienst festgestellt worden. Bei den meisten weiteren Mängeln liegen die ambulanten privaten Anbieter mit nur einem Standort „vorn“, sind also häufiger auf der Negativliste aufgetaucht als die Pflegeketten. Das betrifft insbesondere die Behandlung, die Körperpflege und die Ernährung.

Celik sagte: „Mängel im Hinblick auf zum Beispiel Behandlungspflege oder Körperpflege sind klare Hinweise auf Qualitätsdefizite bei profitorientieren Pflegeeinrichtungen. Es darf nicht sein, dass zu Gewinnzwecken am falschen Ende gespart wird und die Pflegebedürftigen am Ende die Leidtragenden sind.“

Mehr Kontrollen bei Pflegeketten

Die Zahl der Mängel und Beschwerden ist nach der Senats-Auswertung bei den privaten Anbietern höher als bei den gemeinnützigen. Bei den überregionalen Trägern ist die Zahl doppelt so hoch (bezogen auf die zur Verfügung stehenden Plätze). Von den 407 ambulanten Pflegediensten befinden sich zwei in gemeinnütziger Trägerschaft, 84 werden von Wohlfahrtsverbänden betrieben, 305 von privaten Anbietern, 16 von überregionalen privaten. In den vergangenen vier Jahren hat der Medizinische Dienst in keiner der gemeinnützigen ambulanten Einrichtungen eine „anlassbezogene Qualitätsprüfung“ durchgeführt. Dagegen gab es 14 Prüfungen bei den privaten mit einem Standort und zwei bei den Pflegeketten.

Die Linken-Anfrage will vom Senat wissen, ob sich „angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre eine tendenzielle qualitative Differenz zwischen den Trägern der Senioren-Pflegeeinrichtungen beziehungsweise der ambulanten Pflegedienste der genannten Kategorie erkennen“ lasse. Die Antwort ist kurz wie klar: nein. So eindeutig ist der Zusammenhang von Pflegemängeln und Trägerschaft der Anbieter augenscheinlich nicht herzustellen, auch wenn es Hinweise gibt.

Welche Rolle spielt Zeitarbeit in der Pflege?

Beim Anteil der Zeit- und Leiharbeiter wird das besonders deutlich. Er liegt bei den gemeinnützigen Einrichtungen bei 4,85 Prozent, bei den privaten mit einem Standort zwar bei doppelt so hohen 11,16 Prozent. Allerdings rangieren die überregionalen Pflegeketten mit 2,69 Prozent weit darunter. Hierbei muss man außerdem genau betrachten, in welchem Bereich die Zeitarbeiter beschäftigt sind. Exakt vergleichbare Daten dazu liegen ebenso wenig vor wie Erhebungen über die Gründe für den Einsatz der Zeitarbeiter.

Gerade aus dem Pflegebereich im Krankenhaus weiß man, wie vertrackt die Lage ist: Hier wechseln etablierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Zeitarbeit, um flexibler nach ihren Vorstellungen eingesetzt werden zu können. Für die Krankenhäuser wird es dann zum einen teurer, weil sie für die Zeitarbeit mehr ausgeben müssen. Zudem ist die Dienstplangestaltung komplizierter.

Pflege Hamburg: Investoren wie bei Medizinischen Versorgungszentren?

Gesundheitspolitiker Celik warnt vor einer Privatisierung in der Pflege und hat dabei sicher auch die Trends in der „gewöhnlichen“ haus- und fachärztlichen Versorgung mit inhabergeführten Arztpraxen vor Augen. Denn hier haben sich in Hamburg längst Medizinische Versorgungszentren etabliert, die von Finanzinvestoren kontrolliert werden. Das verändert die Versorgung der Patienten.

Celik meint, das „Eindringen“ der Investoren in die Pflege müsse begrenzt werden. „Hier bedarf es mehr Transparenz, Regulierung und Kontrolle. Wir fordern den Senat auf, sich auf der Bundesebene für die Renditebegrenzung im Pflegebereich sowie für die Aufhebung der gesetzlichen Vorrangregelung für private Pflegeeinrichtungen und eine damit verbundenen Stärkung von kommunalen Pflegeeinrichtungen einzusetzen.“