Hamburg. ...wenn man die Bundesländer vergleicht. Bei Drogen und im Städtevergleich sieht es anders aus. Was neue Krankenkassen-Daten zeigen.

Alt plus arm gleich häufiger krank. Diese schreckliche Gleichung kann man tatsächlich aufmachen, wenn man sich die neuen Zahlen des Barmer Morbiditäts- und Sozialatlas anschaut, der am Mittwoch in Hamburg vorgestellt wurde. Es gibt zwar keine nach Bezirken oder Stadtteilen aufgefächerten Daten für Hamburg. Doch die Altersangaben, Zahlen zum Einkommen und zu Berufen der Erkrankten legen das deutlich nahe.

Umgekehrt hat sich herausgestellt: In keinem anderen Bundesland leben so viele so gesunde Menschen wie an Alster und Elbe. Das lässt sich aus der sogenannten „Krankheitslast“ ableiten, also die Zahl der Patienten für ausgewählte Befunde.

Dabei hat die Barmer, die in Hamburg 175.000 Versicherte hat (bundesweit knapp neun Millionen), einen Bundesdurchschnitt mit 100 festgesetzt und herausgefunden: Hamburgerinnen und Hamburger liegen im Ländervergleich bei einem Wert von 87, Bremen und Baden-Württemberg bei 88. Das heißt, dass diese Länder als die Top drei unter den gesündesten gelten können. Am schlechtesten schneiden Thüringen (131), Sachsen (128) und Sachsen-Anhalt (122) ab.

Gesundheitsatlas: Wo Hamburg glänzt – und wo nicht

Die einfachste Erklärung für dieses Ranking liegt auf der Hand: Hamburg gilt als „junges“ Bundesland, weil es erheblich mehr Kinder und Jugendliche gibt als andernorts. Zudem ist die Hansestadt eine der wohlhabendsten in Europa. Barmer-Landeschefin Susanne Klein sagte mit Blick auf die chronische Krankheit Diabetes: „Bei höheren Einkommen sehen wir, dass Diabetes eine wesentlich geringere Rolle spielt.“

Weiteres Element in der „Morbidität“ ist die immer wieder vorgebrachte Verbreitung von Fitnessstudios und aktiv Sportbegeisterten. Auch das trägt zur Spitzenstellung Hamburgs bei. Dass sportliche Aktivität zu weniger und weniger schweren und chronischen Krankheiten führt, ist eine Binsenweisheit.

Alkohol und Drogen: Bremen trauriger Spitzenreiter

Andererseits zeigen die Barmer-Zahlen, dass beim Missbrauch von Drogen und Alkohol Hamburg eine beunruhigend hohe Krankheitslast aufweist. Der Wert liegt klar über dem Bundesdurchschnitt, wird aber noch übertroffen von Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Sachsen und dem Drogen-Schlusslicht beziehungsweise der Hochburg Bremen. Die Hansestadt an der Weser ist trauriger Spitzenreiter bei den unmittelbar mit der Sucht verbundenen Krankheitsbildern.

Die Barmer hält den Alkohol- und Drogenmissbrauch in Hamburg besonders unter den 12- bis 17-Jährigen für besorgniserregend. Der Anteil der Mädchen unter den Betroffenen liegt hier höher als der der Jungen. Mit zunehmendem Alter dreht sich dieses Verhältnis um. Die am stärksten betroffene Altersgruppe sind hier die 60- bis 69-Jährigen.

Männer (54 von 1000 Einwohnern) haben eine stärkere Neigung zur Sucht als Frauen (30). „Die Krankheit hat eindeutig mit dem Einkommen und dem sozialen Status zu tun“, sagte Klein. Die unteren drei Einkommensgruppen hätten hier die höchste Morbidität. Die Krankheitslast unter den Sozialhilfeempfängern ist fast sechsmal so hoch wie in der Gruppe der Selbstständigen. Klein: „Der Sozialstatus beeinflusst die Gesundheit und auch die Lebenserwartung der Menschen."

Auffällig ist weiterhin die hohe Zahl an HIV-Infektionen und Aids-Erkrankungen, die in Hamburg um 150 Prozent über dem Mittel liegt und der zweithöchste Wert hinter Berlin ist.

Hamburger mit den gesündesten Herzen

Bei den Herzerkrankungen zeigt sich: Hamburg hat die gesündesten Herzen ganz Deutschlands. Auch das dürfte mit den günstigen Alters-, Einkommens- und Fitnessfaktoren zusammenhängen. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gibt es im Vergleich bei Herzerkrankungen Werte, die zum Teil um 55 Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegen.

Es gibt einen weiteren Bestwert bei chronischen Schmerzen. Hier liegt Hamburg um 37 Prozent unter dem deutschen Mittelwert und ist somit das am geringsten davon geplagte Bundesland. Klein sagte: „Chronischer Schmerz verteilt sich nicht gleichmäßig auf die Geschlechter. Mädchen und Frauen in Hamburg sind ab zwölf Jahren deutlich stärker betroffen als Jungen und Männer.“

Die Branchen sind besonders gesundheitsgefährdend

Kurios erscheinen die Zahlen für die Krankheitslast für Arbeitnehmer der verschiedenen Branchen. Verwaltungsberufe tauchen häufiger auf als zum Beispiel das Gastgewerbe mit Hotels und Restaurants. Dabei gelten gerade Jobs in der „Gastro“ als besonders herausfordernd und damit potenziell gesundheitsgefährdender. Es ist unklar, ob die geringere Krankheitslast hier bereits mit der Corona-Pandemie zu tun hat.

An der „Volkskrankheit“ Diabetes (Typ-2) lässt sich zudem aus den Barmer-Zahlen lesen, wie sehr Verwaltungsberufe und auch das Gesundheits- und Sozialwesen betroffen sind. Hier könnten die Krankenkassen mit ihren Präventionsprogrammen sicherlich auch eine Nabelschau betreiben. Auffällig dabei ist, dass hier wie bei den Erziehungsberufen (Kita, Schule) auch der Frauenanteil sehr hoch ist. Grundsätzlich sind über alle Branchen immer mehr Männer von Diabetes betroffen, vor allem im verarbeitenden und im Verkehrsgewerbe.

Wie Corona die Vorsorge veränderte

Die Corona-Pandemie hatte allgemein für eine geringere Inanspruchnahme von Ärzten und Krankenhäusern gesorgt. Die Barmer sieht für das Jahr 2021 bereits tendenziell eine leicht höhere Zahl an Neubildungen (Tumore). Das heißt, dass die Zahl der Krebserkrankungen zugenommen haben dürfte. Der Grund liegt nach Angaben der Kasse darin, dass die potenziellen Patienten wegen Corona das Krankenhaus gemieden hätten.

Überhaupt scheint die Vorsorge eklatant gelitten zu haben. Neue Daten, die die AOK am Mittwoch vorlegte, zeigen: Beim Hautkrebs-Screening brachen die Zahlen des ersten Quartals 2022 gegenüber 2019 um 20 Prozent ein. Beim Mammografie-Screening habe sich die Situation nach Einbrüchen in der ersten Pandemie-Phase wieder verbessert. Die Rückgänge bei der Prostata-Früherkennung waren laut AOK nicht so dramatisch (drei Prozent). Bei der Darmspiegelung, mit der Tumoren und Auffälligkeiten entdeckt und möglicherweise sofort entfernt werden können, ist sogar ein Anstieg zu beobachten. Ärzte verweisen darauf, dass bei einer Darmspiegelung ohnehin aufwendige Hygienemaßnahmen gelten.

Wer arm ist, stirbt früher

Das „Corona-Argument“ in der Vorsorge-Müdigkeit dürfte hier also keines sein. AOK-Rheinland/Hamburg-Vorstand Günter Wältermann sagte: „Hier macht sich bemerkbar, dass der Kreis der anspruchsberechtigten Versicherten erweitert worden ist. Seit 2019 können Männer bereits ab 50 Jahren eine Darmspiegelung in Anspruch nehmen, die von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt wird.“

Barmer-Landeschefin Klein sieht in den Zahlen auch erstmals einen Indikator für Präventionsprogramme. Und: „Gesundheit ist eine Frage der Bildung.“ Umgekehrt gilt offenbar auch in Hamburg weiter der Satz: Wer arm ist, stirbt früher. Das hatten zuletzt auch Ergebnisse gezeigt, die die Poliklinik auf der Veddel im Abendblatt thematisiert hatte.

Für die Gesundheits- und Sozialpolitik des Senates und der zuständigen Senatorin Melanie Leonhard (SPD) muss das ein weiterer Puzzlestein sein, sich um die Belange vernachlässigter Stadtteile stärker zu kümmern, um das Gefälle innerhalb der Stadtgrenzen nicht zu extrem werden zu lassen.

Und wenn man die Altersstruktur Hamburgs als Faktor für Gesundheit herausrechnet, ist der Spitzenplatz passé. Darauf machte Klaus Stein vom Barmer Institut für Gesundheitsforschung aufmerksam. Dann fiele die Hansestadt hinter Bremen und Baden-Württemberg zurück. Bei einem Städtevergleich läge Hamburg im Gesundheitsranking zwar noch knapp vor München, doch die Spitzenreiter hier wären Freising (Bayern) und Tübingen (Baden-Württemberg).