Hamburg. Warum dieser Trend sowohl die Hansestadt als auch die Umlandkreise vor enorme Herausforderungen stellt.
Die vergangenen Jahre haben eine Trendumkehr bewirkt. Schon länger verzeichnen die Umlandgemeinden der Metropolen einen positiven Wanderungssaldo. Bisher war die Zuwanderung aus dem Ausland eine tragende Säule des Städtewachstums. Seit dem Höhepunkt im Jahr 2015 und 2016 zeigt diese Zuwanderung stark nachlassende Tendenzen.
Ende 2021 lebten 1.853.935 Menschen in der Hansestadt. 2020 hatte wie auch in den Jahren davor eine positive Differenz von 4057 Menschen aus Zu- und Fortzügen zum Bevölkerungswachstum beigetragen. Zuletzt waren laut Statistikamt Nord im Jahr 1998 mehr Menschen aus Hamburg weggezogen als zugezogen. Im vergangenen Jahr war das nun erneut der Fall.
Menschen wandern ins Umland ab
Wie Zahlen des Wirtschafts- und Immobiliendatenanbieters empirica regio für das Jahr 2021 zeigen, wandern immer mehr Menschen aus Hamburg ins Umland ab. Die meisten zogen in die nächstgelegenen Kreise in der Metropolregion – am häufigsten in den Kreis Harburg mit 2213 Einwohnern. Dicht dahinter kommt der Kreis Pinneberg, in den 2211 Hamburger umsiedelten. Ebenfalls fast gleichauf liegt Segeberg. In diesen Kreis zogen 2209 Hamburger. Von Hamburg in das benachbarte Stormarn wanderten 1932 Menschen ab.
Aber auch weitere Kreise verzeichneten einen Zuwachs an ehemaligen Hamburger: Im Kreis Herzogtum Lauenburg fanden 1601 Menschen ein neues Zuhause. In den Kreis Stade siedelten 979 Hamburger um, in den Kreis Lüneburg 610.
Ostholstein ist ebenfalls ein beliebter Kreis
Wer von Hamburg in das weitere Schleswig-Holstein umziehen wollte, entschied sich am ehesten für einen neuen Wohnsitz im Kreis Ostholstein mit 331 Abwanderungen. Mit einigem Abstand dahinter folgt der Kreis Steinburg mit 268 Wegzügen und der Kreis Rendsburg-Eckernförde mit 243. In den Kreis Rotenburg-Wümme wanderten immerhin noch 217 Hamburger ab, in den Heidekreis 206. Im Kreis Lübeck wohnten im vergangenen Jahr 98 Ex-Hamburger.
Anders sah die Situation noch 2017 aus. Damals war die Abwanderung aus Hamburg ins Umland mit einem Minus von 7239 Menschen lange nicht so ausgeprägt wie im vergangenen Jahr. Doch ein Trend zeichnete sich damals bereits ab. Und auch seinerzeit lagen die Landkreise Harburg und Pinneberg mit einem Zuzug von Hamburgern vorn — mit einem Vorsprung für Pinneberg mit 1780 Bewohnern, die der Kreis aus der Hansestadt hinzubekam, im Vergleich zu 1669 Zuwanderungen nach Harburg. I
n dem Kreis Stormarn siedelten 1372 Menschen mehr aus Hamburg um als in die umgekehrte Richtung. Und in Segeberg bezogen 1033 Hamburger ihren neuen Wohnsitz. Die Kreise Herzogtum Lauenburg (mit einem Plus von 1005), Stade (mit 380 mehr Zuwanderungen) und Lüneburg (mit 233) hatten damals nur etwa ein Drittel der Zuzüge im Vergleich zum Vorjahr.
Hamburg steuert auf zwei Millionen zu
Harburg freut sich über den Zuwachs
Für das direkte Umland Hamburgs bedeutet der Zugewinn an Bewohnern sowohl eine erfreuliche Entwicklung als auch strukturelle Herausforderungen. Man beobachte „seit Jahren einen Bevölkerungszuwachs“, sagt eine Sprecherin des Kreises Harburg. Jedes Jahr kämen etwa 2000 bis 3000 Einwohner hinzu. Dass die Bevölkerungszahl wächst, sehe man positiv. „Viele andere Gemeinden schrumpfen eher.“
Allerdings bedeute ein Mehr an Bewohnern, dass sich die Nachfrage nach Wohnraum auf die Preisentwicklung auswirke. Zudem stelle der Zuzug insbesondere von Familien die Kommunen vor „strukturelle Herausforderungen“. So würden beispielsweise mehr Kita-Plätze benötigt.
Stormarn spricht von 110.000 Pendlern
Der Kreissprecher von Stormarn, Michael Drenckhahn, sagt: „Die Einwohnerzahl steigt jährlich. Viele Menschen, die in Hamburg arbeiten, leben in Stormarn. Jeweils rund 55.000 Menschen aus Stormarn pendeln zur Arbeit nach Hamburg, aber das gilt auch umgekehrt.“ Der Wohnraum im Kreis werde zusehends knapper. Das merke man ganz deutlich z.B. bei der Unterbringung von Flüchtlingen – und das schon seit Jahren. Die Kommunen könnten auf diese Entwicklung gar nicht so schnell reagieren.
Segebergs Landrat Jan Peter Schröder sagt: „Es überrascht mich nicht, dass immer mehr Menschen der Großstadt den Rücken kehren wollen, da sie bei uns im Kreis Segeberg sowohl von den Vorteilen des Stadt- als auch des Landlebens profitieren können. Mehr als 12.000 Unternehmen bieten Arbeitsplätze in allen wichtigen Wirtschaftsbereichen. Wir haben ein gut ausgebautes Straßennetz und einen leistungsstarken ÖPNV. Die Städte Hamburg, Lübeck und Neumünster sind gut zu erreichen. Außerdem sorgen vielfältige Angebote in den Bereichen Sport, Erholung, Natur, Kultur und Freizeit für zusätzliche Lebensqualität.“
Pinneberg verzeichnet seit Jahren einen Zuzug
Im Kreis Pinneberg lasse sich der „der kontinuierliche Bevölkerungszuwachs der vergangenen Jahre allein auf den Zuzug von Personen außerhalb des Kreisgebietes“ zurückführen, sagte eine Sprecherin. „Der Zuzug betrifft alle Altersgruppen, ist aber besonders stark durch junge Familien geprägt. Der Kreis Pinneberg ist demnach auch vom Phänomen der ,Suburbanisierung’ durch die Hansestadt Hamburg betroffen. Das heißt: Ehemalige Großstädter ziehen in der Familiengründungsphase in den Randbereich der Metropole, um mehr Wohn- und Grünfläche zur Verfügung zu haben oder die Wohnkosten zu senken, teils auch um Wohneigentum zu erwerben.“
Für den Kreis bedeute dies eine zunehmende Verdichtung, also insgesamt mehr Menschen pro Quadratkilometer. Auch die Pendlerströme zwischen Hamburg und dem Kreis Pinneberg nähmen zu. Dementsprechend müssten Mobilitätsangebote ausgebaut werden, ebenso wie die sozialen Infrastruktur, etwa Betreuungsplätze für Kinder.
Gleichzeitig bedeute der Zuzug jüngerer Personen, dass der Kreis nur abgeschwächt vom demografischen Wandel betroffen ist. Durch den Zuzug nehme auch die Kaufkraft im Kreis zu.
Abwanderung von Familien ist problematisch
„Insbesondere die Abwanderung von Familien muss den Städten Sorgen bereiten, da diese finanziell meist gut aufgestellt sind und eine Stadt beleben“, sagt Jan Grade, Geschäftsführer von empirica regio. Das sieht auch Dirk Schubert, emeritierter Professor für Wohnen und Stadtteilentwicklung an der HafenCity Universität, so: Dass Menschen aus Hamburg wegziehen, sei kein neues Phänomen, sagt er. Auch in den 1920er-Jahren seien einkommensstarke Haushalte ins Umland abgewandert.
„Hamburg hat dann versucht, neue Flächen auszuweisen, etwa am Alsterlauf, wo dann vorwiegend Einfamilienhäuser mit Wasserbelegenheit errichtet wurden“. Jetzt seien es wieder die Besserverdienenden, die wegzögen. „Es sind die ,Falschen‘, die aus Hamburg weggezogen sind und es sind die ,Falschen‘, die zuziehen, nämlich sozial Schwächere und Flüchtlinge“, sagt Schubert.
Suburbanisierung am Stadtrand sorgt auch für Probleme
Günstigere Baugrundstücke und Immobilien am Stadtrand und im „Speckgürtel“ hätten die Suburbanisierung befeuert, nicht ohne Probleme für die Umlandgemeinden. Hamburg befinde sich in einem Zielkonflikt: „Auf der einen Seite ist Hamburg „voll“ und wer weiter Geschosswohnungsbau will, muss akzeptieren, dass wertvolle Grün-und Freiflächen geopfert werden. Die Kooperation mit Schleswig-Holstein und Niedersachsen müsste verstärkt werden“, sagt Schubert.
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Dann könne man auch im Umland mehr sozialen Wohnungsbau forcieren, möglicherweise gefördert von Hamburg. Doch auch diese engere Zusammenarbeit sei bezogen auf den Wohnungsbau bereits in den 1920er-Jahren diskutiert worden, so Schubert.
Einbürgerungsanträge in Hamburg gestiegen
Unterdessen ist die Zahl der Einbürgerungsanträge in Hamburg so hoch wie seit 22 Jahren nicht mehr. Bisher sind rund 8100 Einbürgerungsanträge gestellt worden, bis Ende des Jahres werden es laut Amt für Migration etwa 10.500 Anträge sein. Mehr Anträge (12.300) seien zuletzt im Jahr 2000 gestellt worden.