Hamburg. Ein Ehepaar wird angeblich vom Sohn kontaktiert – doch eigentlich wollen Kriminelle die Bankdaten ausspähen. Was die Polizei rät.
Warum fallen immer wieder ältere Menschen auf Anrufe oder Nachrichten von Verbrechern rein, die sich als ihre Enkel oder Kinder ausgeben? Wieso lassen selbst Personen, die mit Freunden noch darüber gesprochen haben, dass man auf diese Tricks niemals reinfallen würde, plötzlich alle Vorsicht fallen und sind bereit, hohe Geldsummen zu überweisen?
Diese Fragen lassen sich schwer beantworten. Es gibt Erklärungsversuche wie jene, dass Menschen mit zunehmendem Alter gutgläubiger werden und dass sie mit der Technik und den Möglichkeiten des Internets überfordert sind. Ein Hauptproblem ist, dass viele, die auf einen Betrug hereingefallen sind, sich so schämen, dass sie niemandem davon erzählen. Das Hamburger Abendblatt dokumentiert einen Fall, der so jedem passieren könnte, der Kinder hat. Und der zeigt, wie die Sorge um den Sohn oder die Tochter Verstand und Erfahrung für wenige, aber entscheidende Minuten ausschalten kann.
Polizei Hamburg: Protokoll des WhatsApp-Betrugs
Die SMS kam am späten Abend: „Hallo Mama/Papa, mein Handy ist kaputt. Das ist meine neue Handynummer. Die kannst du dir einspeichern! Schickst du mir eine Nachricht auf WhatsApp? Vielen Dank!“ Gerade noch hatten Elisabeth und Josef Renner (Namen von der Redaktion geändert) mit ihrem Sohn WhatsApp-Kontakt wegen der kranken Enkelin gehabt. Als etwa eine Stunde später diese Nachricht aufploppte, reagierten sie deshalb sofort.
Elisabeth Renner speicherte die Nummer und schrieb ihrem Sohn zurück: „Hallo, mein Lieber. Kommt das an? Hast du die WhatsApp bekommen? Melde dich doch mal.“ Nur eine Minute später die Antwort: „Ok, wie geht’s dir?“ Und ein Smiley. Elisabeth Renner schrieb: „Super, also angekommen. Was macht die Kleine?“ Gemeint war die die Tochter ihres Sohnes. Die Antwort: „Ehrlich gesagt geht es mir nicht gut, ich bin sehr gestresst.“
"Ich habe eine ausstehende Rechnung, die ich bezahlen muss"
Die Mutter hakte nach: „Du Armer. Was ist denn los?“ Nächste Antwort: „Ich habe ein kleines Problem. Ich habe eine ausstehende Rechnung, die ich bezahlen muss, aber ich kann mein Onlinebanking nicht mit meinem neuen Telefon koppeln. Könntest du es für mich bezahlen? Ich überweise das Geld zurück, sobald ich mich in mein Onlinebanking einloggen kann.“
Elisabeth Renner: „Natürlich machen wir das, und du brauchst es nicht zurückzuüberweisen. Schick das per WhatsApp, was wir überweisen sollen, ich meine, schick ein Foto.“ Der „Sohn“: „Hast du eine Kreditkarte?“ Elisabeth Renner: „Papa hat eine. Soll ich dir das fotografieren? Du kannst doch die Rechnung schicken, und dann überweisen wir das.“ Die Antwort: „Kannst du mir ein Foto der Vorder- und Rückseite der Kreditkarte schicken, damit ich die Rechnung bezahlen kann?“ Die Mutter antwortete noch in derselben Minute: „Ja, einen Moment. Kann dann kein anderer dran? Papa sagt grad, es ist doppelt gesichert.“ Nächste Antwort: „Ja, sende mir Fotos, und ich bezahle die Rechnung.“
Die besorgten Eltern fotografieren ihre Kreditkarte
Die besorgten Eltern schickten ein Bild der Kreditkarte. Der „Sohn“ legte nach: „Und die Rückseite?“ „Gleich“, schrieb die Mutter und fotografierte auch den Sicherheitscode. „Auch angekommen und lesbar?“ Zweimal sogar, zur Sicherheit. Die Antwort: „Die Zahlung wird abgelehnt, sie war nicht erfolgreich. Kannst du Echtzeit bezahlen?“ Die Mutter: „Wir können es doch bezahlen, wenn du die Rechnung schickst, dann machen wir es online. Brauchen die Rechnung per WhatsApp.“ Sofort kam ein Bild mit den Kontodaten von D. Meier (Name von der Redaktion geändert), dazu folgender Text: „Schick mir bitte Bild von der Überweisung, wenn es geklappt hat. Kannst du es für mich machen? Ich zahle es dir übermorgen zurück.“
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Noch immer schöpften die Eltern keinen Verdacht. Nun mischte sich der Vater ein: „Hallo, lieber Sohn, wir kommen nicht in unser Onlinebanking. Ich gehe morgen zur Bank und überweise es vom Bankautomaten.“ Der „liebe Sohn“ hakte nach: „Hast du Paypal?“ Nun wieder die Mutter: „Muss es heute Abend noch bezahlt werden? Dann muss Papa jetzt zur Bank fahren.“
Der „Sohn“ ließ nicht locker: „Ja, aber es muss sich um eine Echtzeitzahlung handeln. Echtzeit/Sofortüberweisung.“ Die Mutter: „Ruf doch mal an. Ich kann den Ausdruck fotografieren. Papa überweist es da und fotografiert dann den Ausdruck, ist das okay? Macht man das sonst mit Echtzeit oder Sofortüberweisung?“ Die ungeduldige Antwort, in einem Deutsch, das Eltern normalerweise stutzig machen sollte: „Wenn du zur Bank gehen, ist es nicht in Echtzeit/Sofortüberweisung.“
4600 Euro wären beinahe weg gewesen
Die Mutter: „Was macht man denn?“ Antwort: „Ich mache das über das Onlinebanking.“ Die Mutter: „Machen wir sonst auch, aber es funktioniert nicht. Kann deine Frau es nicht machen?“ Wenig später: „Unser Onlinebanking macht es nicht. Wir haben es so lange nicht benutzt, und nun kriegen wir das nicht mehr hin. Melde dich doch mal.“
Weitere drei Minuten später: „So, wir können das offensichtlich übers Handy machen. Ist das okay, wenn es jetzt passiert?“ Nachdem das Ehepaar versucht hatte, den Sohn anzurufen, schrieb die Mutter noch einmal: „Es funktioniert nicht, weil es wahrscheinlich zu viel an einem Tag ist. Kann das angehen? Hat das Handy es jetzt gemacht? Melde dich doch mal, wir wissen nun gar nicht, was jetzt ist.“
Der vermeintliche Sohn meldete sich nicht mehr, nach anderthalb Stunden war der Kontakt abgebrochen – und die geforderten 4600 Euro auf dem Weg. Und sie wären weg gewesen, genauso wie die Einkäufe, die später mit der Kreditkarte der beiden, sie sind Mitte 70, bezahlt werden sollten. Zum Glück für das Ehepaar rief kurze Zeit, nachdem sie die letzte Nachricht verschickt hatten, ihr richtiger Sohn an: „In dem Moment, in dem ich mit ihm sprach, war mein Verstand wieder da“, so der Vater. Er ließ alle Konten und Karten sperren, gerade noch rechtzeitig.
"Hätten misstrauisch werden sollen"
Der Schock über den Vorfall blieb, er ist auch Tage später noch gegenwärtig: „Wir haben viel über diese Tricks gesprochen. Mit Freunden, mit der Familie. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich selbst darauf hereinfalle“, sagt Elisabeth Renner. Und ihr Mann ergänzt: „Wir waren im Helfermodus. Hatten uns um unsere kleine Enkelin gesorgt. Als dann die Nachricht kam, haben wir irgendwie den Verstand ausgeschaltet und wollten nur helfen.“
Verstehen können sie es heute nicht mehr. Zumal sie kurz mit ihrem echten Sohn noch per WhatsApp Kontakt hatten. „Uns hätte es doch misstrauisch machen müssen, dass er innerhalb einer halben Stunde am späten Abend ein neues Handy und eine neue Nummer hat.“ Hat es in diesem Moment aber nicht.
Betrug per Smartphone: Das rät die Polizei
Mit der „Neue-Handynummer-Masche“ werden derzeit viele Menschen kontaktiert. Laut Polizei handelt es sich bei der potenziellen Opfergruppe primär um Erwachsene, die – so vermuten die Täter – Kinder mit eigenem Bank-/Onlinebankingkonto haben. Verlangt werden laut Polizeisprecher Sören Zimbal in der Regel Beträge im niedrigen bis mittleren vierstelligen Bereich. „Hierdurch soll ein vermeintliches Misstrauen – welches durch zum Beispiel absurd hohe Summen bei Schockanrufen geschürt wird – minimiert oder vermieden werden.“ Die Täter würden teilweise aus einer Art Callcenter heraus arbeiten, sagt ein anderer Beamter.
Den Betroffenen rät Zimbal: „Kontaktieren Sie den angeblichen Verwandten oder Bekannten über die altbekannten Erreichbarkeiten, also die angeblich veraltete Handynummer.“ Unbekannte Kontakte sollten blockiert werden. „Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen. Überweisen Sie nichts, bevor Sie nicht mit Ihrem Angehörigen oder Freund gesprochen haben.“ Wichtig sei es auch, Bekannte, Verwandte und Freunde über die Masche zu informieren. „Sollten Sie bereits Geld überwiesen haben, kontaktieren Sie umgehend Ihre Bank. Bestenfalls kann die Überweisung noch gestoppt werden.“ Zudem sei es wichtig, Anzeige zu erstatten.
Polizei Hamburg sperrt Konto des Kriminellen
So eine Anzeige kann auch eine heilende Wirkung haben. Josef Renner fuhr am Morgen nach dem Vorfall zur Polizei. Erstattete Anzeige und legte die Chatprotokolle vor. Der zuständige Beamte entdeckte sofort, dass das angegebene Konto ein deutsches war. „Das ist ungewöhnlich“, sagte er. „Normalerweise sind die Konten bei Banken auf weit entfernten Inseln, und man bekommt sein Geld nicht zurück.“ In diesem Fall wurde am frühen Morgen das Konto gesperrt, auf dem sich bereits eine große Menge Geld befand.
Der Betrüger, der sich D. Meier nannte, hatte innerhalb von zwei Tagen mit dieser Masche eine niedrige fünfstellige Summe eingesammelt. „Nun kriegen vielleicht andere Menschen, die nicht so ein Glück hatten wie wir, zumindest ihr Geld zurück“, sagt Renner. Das freue ihn und seine Frau sehr. Dass die Täter gefasst würden, sei allerdings unwahrscheinlich. Das Konto war mit falschen Papieren eröffnet worden. Dennoch habe ihm der Schritt eine gewisse Genugtuung verschafft. Die Tatsache, etwas unternommen zu haben, helfe beim Verarbeiten: „Man kommt sich ja ansonsten wie ein seniler Mensch vor.“