Hamburg. Zirkus-Legende wagt Gastro-Experiment am Rathaus – und hofft auf die Wiederbelebung einer schmerzlich vermissten Hamburgensie.
Bratwurst und Glühwein, das ist alle Jahre wieder der Duft von Weihnachtsmarkt. Doch in diesem Jahr lässt Bernhard Paul, der 1975 mit André Heller den legendären Circus Roncalli gründete, auf „seiner“ historisch anmutenden Hüttenwelt auf dem Rathausmarkt erstmals auch Austern und Champagner servieren. Eine schöne Bescherung. Aber passt das zu Krakauer und Kunsthandwerk?
„Ich fürchte schon“, sagt der 75-jährige Österreicher lachend, der mit seiner Tochter Lily, Artistin, Model und 2020 Gewinnerin der RTL-Tanzshow „Let’s Dance“, den Weihnachtsmarkt eröffnete. Die Hamburger hätten eben Stil, auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, vertraut Bernhard Paul. „Und sie lieben die Tradition. Wie ich.“ Denn mit Schümanns Austernkeller, so der Name der edlen Hütte, erweckt Paul eine wahre Hamburgensie zu neuem Leben.
Weihnachtsmarkt Hamburg: Roncalli erinnert an legendäres Restaurant
Mit sechs liebevoll dekorierten Séparées erinnert Bernhard Paul an das legendäre Fischrestaurant am Jungfernstieg, das 1884 von der Gastronomie-Dynastie Schümann gegründet wurde und im Jahr 2000 für immer schloss. Doch der Mythos lebe weiter, im Internet tauche Schümanns Austernkeller mitunter noch immer als Ausgehtipp auf. „So wehrt sich der Laden gegen das Vergessen.“
Und wenn es nach Bernhard Paul geht, der einst auf einer Auktion die Namensrechte und einen Großteil des Original-Inventars – von den Speisekarten über das Geschirr bis hin zu den Gästebüchern – ersteigerte, dann sollte der Austenkeller bald wieder eröffnen. „Am liebsten in einem feinen Hotel. Oder als eigenständiger Laden in einem schönen alten Hamburger Backsteingebäude“, sagt die Zirkus-Legende. Wer Interesse habe, könne sich gern bei ihm melden.
Schümanns Austernkeller war in Hamburg die erste Adresse
„Vom Biedermeier-Zimmer bis zur Mahagoni-Bar habe ich alles eingelagert. Es wartet nur darauf, wachgeküsst zu werden.“ Schümanns Austernkeller am Jungfernstieg sei für Generationen von Hamburgern die erste Adresse gewesen, „wenn man mal ganz groß ausgehen wollte“ – Austern, Kaviar, Hummer und Champagner inklusive. „Auch ich sehe dieses Restaurant und insbesondere den Eingang noch vor meinem geistigen Auge.“
Gründer August Wilhelm Schümann hatte jede der einzelnen kleinen Stuben, in denen die Gäste sich fühlen sollten wie im Wohnzimmer, in einem ganz eigenen Stil eingerichtet. Auf Reisen hatte er dafür seltene Möbel erworben, die er geschickt zu diese Themenzimmern arrangierte.
So soll Richard Strauß gern im „Jagdzimmer“ gespeist haben, während Opernsänger Enrico Caruso das „Maurische Zimmer“ bevorzugte. Später waren unter anderem die Schauspielstars Peter Ustinov, Romy Schneider, Marlene Dietrich und Vicco von Bülow alias „Loriot“ zu Gast in dem Restaurant, in dem Schalentiere nur in Monaten mit „r“ (nur dann sind sie einem Mythos nach frisch) serviert wurden. Hamburgs Ehrenbürger Udo Lindenberg hinterließ ein Selbstporträt mit Gitarre, das jetzt in Schümanns Austernkeller auf dem Weihnachtsmarkt ein Séparée ziert.
Von Richard Strauß über Marlene Dietrich bis Loriot waren viele Stars zu Gast
Bis zum 23. Dezember gibt es diesen temporären „Testlauf“. „Mal schauen, ob die Hamburger sich gern erinnern“, sagt Bernhard Paul, der in Wien, Köln und auf Mallorca lebt, aber zur Eröffnung seines Marktes selbstverständlich stets an die Elbe kommt. „Hier auf dem Rathausmarkt hat uns immer ein kleiner Rückzugsort gefehlt. Eine schöne Bude, in die man sich mal auf ein Gläschen zurückziehen kann.“
Ein Gläschen (0,1 Liter) Champagner kostet 13 Euro, die einzelne Auster gibt es für sechs Euro, sechs Stück werden für 35,50 Euro gereicht. Aber auch Hamburger Labskaus gibt es für 14,50 Euro. „Top-Qualität hat für uns Priorität“, sagt Bernhard Paul. „Ist es teurer, als man es vom Weihnachtsmarkt gewohnt ist? Ja! Aber es macht auch mehr Spaß.“
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Nur Tochter Lili Paul-Roncalli wird nicht unbedingt in Schümanns Austernkeller einkehren. „Ich mag leider keinen Fisch, seit ich als Sechsjährige mit meinen Eltern essen war und uns vorab am Tisch der noch lebende Fisch präsentiert wurde“, sagt die 24-Jährige, die mit dem österreichischen Tennisprofi Dominic Thiem liiert ist. Dafür freue sie sich umso mehr, dass der Weihnachtsmann mit seinem Schlitten nach drei Jahren Pause in diesem Jahr endlich wieder über den Rathausmarkt fliegt.
„Da ist mein erwachsenes Kind nicht anders als alle anderen Kinder“, sagt Vater Bernhard Paul.