Hamburg. AOK-Umfrage spricht von “Aggressionen“ und sogar “Handgreiflichkeiten“ in betroffenen Familien. Der Bedarf an Psychotherapie steigt.

Je tiefer man forscht, desto alarmierender sind die Ergebnisse: Die Corona-Pandemie mit ihren Folgen wie Lockdown und Homeschooling hat nicht nur die körperliche und seelische Gesundheit von Kindern nachhaltig beeinträchtigt. Vor allem die Familien, in denen nur Mütter sich um den Nachwuchs kümmern und die auf beengtem Raum leben, litten unter erheblichem Corona-Stress. Nach einer Erhebung des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (Wido) waren Alleinerziehende und Geringverdiener überproportional davon betroffen, dass ihre Kinder nicht wie gewohnt Schule oder Kita besuchen und Gleichaltrige treffen konnten.

Für die Ergebnisse wurden 3000 Mütter von Drei- bis Zwölfjährigen befragt. Als Konsequenz daraus will die AOK Rheinland/Hamburg sich um diese Gruppen besonders kümmern.

Corona-Stress: Alleinerziehende in Hamburg überproportional betroffen

Jede dritte Mutter hatte von psychischen Auffälligkeiten bei den Kindern berichtet, aber nur etwa jede sechste von körperlichen Folgen. Bislang hatten mehrere Untersuchungen und Einschätzungen beides etwa gleichrangig betont. An körperlichen Folgen war zum Beispiel eine Neigung zur Adipositas genannt worden, die vor allem infolge von Bewegungsmangel auftrat. Bei den seelischen Leiden standen Angst- und Essstörungen sowie depressive Phasen im Vordergrund bis hin zu Selbstmordgedanken.

Die AOK-Erhebung fokussiert den Alltag der Familien, aus dem jede zweite Mutter von einem Mehr an Meinungsverschiedenheiten berichtet. Es habe „nervenzehrenden Diskussionen“ gegeben (47,9 Prozent der Mütter), Streit und sogar „Handgreiflichkeiten“ (30,9 Prozent). Alleinerziehende, Geringverdiener und Mütter „die mit ihren Kindern auf weniger als 20 Quadratmetern Wohnfläche je Person leben“, seien überproportional betroffen, so die AOK. Dass die Kinder (und die Mütter) leichter reizbar und die Kinder aggressiver geworden seien, nannten die meisten.

Corona-Folgen: Hamburger Kinderärzte überlastet

Der Lockdown hatte offenbar auch Auswirkungen auf die generelle Motivation. So nannten die Befragten einen Antriebsmangel (25,3 Prozent), Ängstlichkeit (24,5 Prozent), eine „gedrückte Stimmung“ (23,8 Prozent) und „starke Unruhe“ (23,1 Prozent) als auffällige Befunde. Drei von vier Müttern beklagten zudem eine „übermäßige“ Mediennutzung, mehr als sechs von zehn einen Mangel an Bewegung. Für Kinder von Alleinerziehenden und sozial Schwächeren wurde häufiger als bei anderen eine Empfehlung für eine Kinder-Psychotherapie ausgesprochen.

AOK-Rheinland/Hamburg-Vorstand Rolf Buchwitz sagte: „Nun gilt es, die pandemiebedingten Belastungen zu bewältigen und die betroffenen Kinder und Familien gezielt zu unterstützen.“ Dabei wird die Krankenkasse von einem „Beirat Kindergesundheit in Hamburg“ unterstützt, zu dem Kinderärzte und Bewegungs-Experten zählen.

Vor allem auf den gestiegenen psychotherapeutischen Bedarf für Kinder und Jugendliche hatten bereits Hamburger Experten aufmerksam gemacht. Aktuell ist es jedoch so, dass die Kinderärzte, die für eine Ersteinschätzung zuständig sind, als überlastet und überlaufen gelten. Junge Eltern aus allen Hamburger Quartieren beklagen gleichzeitig, dass sie Probleme haben, überhaupt Kinderärzte für ihren Nachwuchs zu finden.