Hamburg. Ist die Herbstwelle schon vorbei? Was Ärzte und Sozialsenatorin Leonhard (SPD) sagen – und was jeder bedenken sollte.

Die Welle läuft bereits aus, doch die neue Lässigkeit im Umgang mit dem Coronavirus im Herbst 2022 kann verfrüht sei. Zwar sehen viele Hausärzte und Experten die Gefahr schwerer Covid-Erkrankungen mittlerweile auf einer Stufe mit anderen ernsten Atemwegsleiden. Doch auch für die muss man gewappnet sein. So sagte Hamburgs Hausärztechefin Dr. Jana Husemann im Gespräch mit dem Abendblatt: „Wir plädieren sehr für eine Grippe-Schutzimpfung.“

Das betrifft zunächst Ältere, die sich schon vor der Corona-Pandemie regelmäßig im Herbst gegen die Influenza immunisieren lassen haben. Es kann sogar für vorbelastete Kinder und Jugendliche sinnvoll sein. Wegen des Verlaufs der in Australien beobachteten Grippewelle scheint es in diesem Jahr besonders wichtig. Für eine „Twindemie“, eine gleichzeitige Corona- und Grippewelle, gibt es derzeit keine Anzeichen. Man sollte sie auch nicht herbeidramatisieren – sondern sich impfen lassen. Doppelt hält besser: Für über 60-Jährige generell und für Risikogruppen rät die Ständige Impfkommission zum vierten Piks gegen Sars-CoV-2. Alle anderen sollten sich bei Unsicherheit an ihre Ärzte wenden.

Vierte Corona-Impfung? Das sagen Hamburger Ärzte

Husemann sagt: „In den Hamburger Hausarztpraxen gibt es einen Anstieg bei den Infekten der Atemwege. Man sieht immer wieder, dass Menschen dadurch mehrere Tage ausfallen.“ Das mag Corona sein (und dann braucht es bei Verdacht einen PCR-Test), Husten und Fieber können ebenso aus anderen Infekten resultieren.

Wer sich ein drittes oder viertes Mal gegen Corona impfen lassen will, sollte jetzt einen Termin ins Auge fassen. Dr. Jana Husemann, Vorsitzende des Hamburger Hausärzteverbandes, gibt Tipps.
Wer sich ein drittes oder viertes Mal gegen Corona impfen lassen will, sollte jetzt einen Termin ins Auge fassen. Dr. Jana Husemann, Vorsitzende des Hamburger Hausärzteverbandes, gibt Tipps. © Marcelo Hernandez

Doppelt Geimpfte, die sich mit Corona infiziert haben, genießen eine Art Booster-Schutz. Doch auch sie alle sollten mit Ärzten Rücksprache halten, ob und wann eine „Auffrischung der Auffrischung“ sinnvoll ist. Man kann das nicht „objektiv“ messen. Darauf macht HNO-Arzt Dr. Dirk Heinrich aufmerksam. „Ein Antikörpertest zur Überprüfung des Immunstatus ist wenig sinnvoll. Denn es gibt keinen Grenzwert, der anzeigen könnte: Jetzt sollte wieder geimpft werden oder auch nicht.“

Hausärztin Husemann sagte außerdem: „Eine vierte Impfung kann jetzt sehr sinnvoll sein, ist aber auch abhängig vom Risikoprofil eines Menschen, der vor mir sitzt.“ Das Risiko einer Corona-Infektion sei nach wie vor höher als das einer Impfung. „Ob wiederholte Booster dem Immunsystem schaden können, ist in der Fachwelt umstritten. Man kann also nicht sagen: Ich muss mich alle drei oder sechs Monate boostern lassen. Impfen sollte man aber bei einer Indikation.“

Was bedeuten die Omikron-Varianten BA.4 und BA.5?

HNO-Arzt Dirk Heinrich.
HNO-Arzt Dirk Heinrich. © Roland Magunia/Funke Foto Services

Es bleiben bei den meisten Impfkandidaten zwei Fragen: Wogegen genau wird eigentlich geimpft und mit welchem Erfolg? Gegen die Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 gibt es einen offenbar gut geeigneten Impfstoff, der in den Arztpraxen und den Impfzentren verfügbar ist. Infizieren kann man sich dennoch mit Corona, auch wenn der Verlauf dann als „mild“ erwartet wird. Manche haben null Symptome.

Schützt dieser Impfstoff gegen mögliche neue Varianten? „Das kann man noch nicht sagen, weil unbekannt ist, welche Eigenschaften die künftigen Varianten haben“, sagt Husemann. Ist man weniger ansteckend gegenüber anderen, wenn man sich als Geimpfter infiziert? „Dazu gibt es für Omikron wenige Daten. Es scheint so, dass die Übertragungswahrscheinlichkeit bei Geimpften noch immer geringer ist.“

Laut Leibniz-Institut für Virologie wurde in 95 Prozent aller Hamburger Fälle BA.5 sequenziert. 32 Prozent aller Proben waren die „Unterlinien“ BF.7 und BQ.1.1. Das ist ein – erwarteter – Anstieg gegenüber den vergangenen Wochen. Corona mutiert also fröhlich weiter, bislang mit wenig besorgniserregendem Potenzial. Zur Erinnerung: Auch der Grippeimpfstoff wird jedes Jahr angepasst.

"Viele Corona-Schrecken saind überwunden"

Corona Hamburg: Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) im Kinder-Impfzentrum in der Pasmannstraße (Archivbild).
Corona Hamburg: Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) im Kinder-Impfzentrum in der Pasmannstraße (Archivbild). © picture alliance/dpa | Christian Charisius

Vor zwei Jahren zu dieser Zeit waren Restaurants und Cafés in Hamburg geschlossen, eine nächtliche Ausgangssperre sollte folgen. In diesem Jahr aber scheint die Herbstwelle bereits hinter uns, ohne dass Verschärfungen notwendig geworden wären. „In Jahr drei der Corona-Pandemie sind viele Schrecken der Infektion überwunden“, sagte Sozial- und Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD) auf Abendblatt-Anfrage. „Es ist bei Weitem keine so schlimme Nachricht mehr, wenn ein Test mal positiv ausfällt – für die meisten bedeutet das, sich zu Hause mit hoffentlich überschaubaren Symptomen für fünf Tage zu erholen“

Und die Zahl der Infektionen ist deutlich zurückgegangen. Ihren Höhepunkt hatte die Herbstwelle in Hamburg nach Zahlen aus dem Pandemieradar des Robert Koch Instituts (RKI) Mitte Oktober. Am 12. Oktober lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei einem Wert von 425. Er fiel, stieg dann wieder ein wenig – vermutlich bedingt durch die Herbstferien-Urlaubsrückkehrer – und sank dann nachhaltig auf jetzt 192,7 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen. Andere Indikatoren weisen in dieselbe Richtung: Auch der Hospitalisierungsindex ist gesunken, ebenso wie der Positivanteil bei den Corona-Tests.

So viele über 60-Jährige sind bereits viermal geimpft

„Dass jemand als unmittelbare Folge einer Infektion in einem Krankenhaus behandelt werden muss, ist sehr selten geworden“, sagte auch Leonhard. Die Lage sei deutlich besser als in den Vorjahren, „weil wir inzwischen mit Geschwindigkeit den Immunschutz der gesamten Bevölkerung auf ein sehr hohes Niveau gebracht haben. Durch Impfungen und Auffrischungen, aber auch Infektionen haben wir mittlerweile vielfach Kontakt mit dem Virus gehabt und eine Abwehr aufbauen können“, so Leonhard.

98 Prozent der über 60-Jährigen hätten einen Impfschutz, mehr als 92 Prozent seien auch mit einer (ersten) Auffrischungsimpfung versorgt. „Das sind zugleich die Grundlagen dafür, dass weite Teile unseres gewohnten Lebens ja schon seit Monaten wieder zurück sind, und wir auch für die kommenden Monate derzeit keinen Anlass haben, Einschränkungen vorbereiten zu müssen. Wie sich die Lage gerade darstellt, beobachten wir in der Sozialbehörde Tag für Tag – und bewerten im Senat regelmäßig auf der Basis von Fakten und wissenschaftlichen Empfehlungen, wie reagiert werden muss.“

Bei den über 60-Jährigen liegt die Impfquote beim vierten Piks laut RKI in Hamburg bei 41,3 Prozent (bundesweit 34,6).

Was sagen die Sieben-Tage-Inzidenzen in Hamburg noch aus?

Vor einem Jahr lag die Sieben-Tage-Inzidenz in Hamburg um diese Zeit bei 177,9, im Jahr 2020 bei 162,3. Das Virus war aber deutlich gefährlicher und diese Zahlen wurden trotz intensiver Schutzvorkehrungen und -regeln erreicht.

Völlige Entwarnung mag Gesundheitssenatorin Leonhard aber nicht zu geben: „Wir stehen am Anfang des Winters, und es ist völlig normal, dass in dieser Zeit mehr Menschen eine Erkrankung der Atemwege haben – auch Corona gehört dazu, und auch hier werden wir mehr Fälle haben, wenn auch möglicherweise keine große Welle. Auch weiterhin wollen wir natürlich verhindern, dass ganze Belegschaften ausfallen, weil sie infiziert und krank sind. Deswegen gilt auch weiter, dass man zu Hause bleibt, wenn man krank ist – weil man so am besten verhindert, andere anzustecken.“

In dieser Phase, in der das Land die Pandemie langsam hinter sich lasse, brauche es nur noch wenige staatlich vorgegebene Regeln. Aber: „Die, die es noch gibt, haben eine Funktion als klare, verlässliche, und planbare Ansage“, sagte die Senatorin. „Deswegen haben wir am Anfang des Herbstes eine Verordnung vorgelegt, mit der die Hamburgerinnen und Hamburger rechnen können und wissen, woran sie sind. Änderungen gibt es, wenn die Lage das zwingend erforderlich macht, sonst nicht. Das hilft allen, die in Betrieben und in Einrichtungen Verantwortung tragen, um sich nicht ständig wegen wechselnder politischer Stimmungen an irgendwelche Neuerungen bei den Corona-Regeln anpassen zu müssen.“

Die Aufhebung der fünftägigen Isolationspflicht von Corona-Infizierten, die die schleswig-holsteinische Landesregierung kürzlich beschlossen hat, hatte Hamburgs Sozialbehörde als „nicht zweckdienlich“ bezeichnet. Auch in Schleswig-Holstein gehen die Coronazahlen zurück, liegen allerdings auf einem höheren Niveau als in Hamburg. Die Sieben-Tage-Inzidenz für das nördlichste Bundesland liegt bei 237,2 (12. Oktober: 728,8).