Hamburg. „Versorgung akut gefährdet“: Viele haben große Beschwerden nach Corona – doch es fehlen Kinderärzte. Was Patienten jetzt droht.
Die körperliche und seelische Verfassung von Hamburgs Kindern hat sich durch die Corona-Pandemie und ihre langfristigen Folgen erheblich verschlechtert. Zu bekannten Phänomenen wie Angst- und Entwicklungsstörungen sowie Depressionen kommen nunmehr Schulverweigerung und soziale Auffälligkeiten hinzu. Gleichzeitig können die Wellen an Atemwegsinfekten und chronischen Erkrankungen wie Allergien nicht mehr adäquat behandelt werden.
Der Grund: In der Hansestadt gibt es viel zu wenige Kinderärzte. In einem Brandbrief an den Senat, der dem Abendblatt vorliegt, hat der Verband der Kinder- und Jugendärzte Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) jetzt zum Handeln aufgefordert. Die medizinische Versorgung sei „akut gefährdet“, heißt es darin.
Kinderärzte in Hamburg: Aufnahmestopp, Wartelisten
Verbandssprecherin Dr. Charlotte Schulz sagte dem Abendblatt, die Lage in den Praxen und somit für kranke Kinder und ihre Eltern sei noch dramatischer geworden. „Die Politik tut so, als blieben Kinder immer Kinder. Aber sie werden älter und brauchen eine nachhaltig stabile Gesundheit für ihre Entwicklung und die der Gesellschaft.“ Die Kinderärzte hätten kaum Zeit für sozialpädiatrische Gespräche, weil der Andrang in den Praxen so groß sei.
In dem Brief an Leonhard heißt es außerdem: „Zähneknirschend“ habe man hingenommen, dass 20 Prozent aller Leistungen überhaupt nicht bezahlt würden. Aber die politisch versprochene „Entbudgetierung“, also die hundertprozentige Bezahlung aller Leistungen, komme nicht.
An den Senat und die Kassenärztliche Vereinigung gerichtet, fordern die Kinderärzte eine „Anpassung der Bedarfsplanung“ für die ambulante Versorgung mit Bereitstellung der dafür erforderlichen finanziellen Mittel“ sowie eine „vollständige Vergütung“ der erbrachten Leistungen“ und einen Ausgleich für Lohnsteigerungen, höhere Mieten und Energiekosten.
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Ärzte-Brandbrief: „Lauterbach ignoriert die Praxen“
Das Hamburger Ärzteparlament, die Vertreterversammlung der KV, forderte am Montag ein Unterstützungspaket von der Bundesregierung. Deren Vorsitzender Dr. Dirk Heinrich sagte: „Aufgrund explodierender Energiepreise und einer historisch hohen Inflation steigt der Kostendruck in vielen Praxen extrem an. Daher fordern wir eine Energiekostenentlastung, einen Inflationsausgleich und die volle Auszahlung der Honorare.“ Der bisherige „Zwangsrabatt“ auf Kosten der Praxen müsse beendet werden.
Das Bundesgesundheitsministerium von Karl Lauterbach (SPD) ignoriere die Praxen der Ärzte und Psychotherapeuten. Für die Krankenhäuser sollten acht Milliarden Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds bereitgesellt werden, die Belastung der Praxen werde mit keinem Wort erwähnt. Die niedergelassenen Ärzte, die zuletzt bereits einen halben Tag „streikten“, drohten: „Es wird zwangsläufig zu längeren Wartezeiten, Wartelisten, Energiespartagen bis hin zu Praxisschließungen kommen, da eine wirtschaftliche Praxisführung nicht mehr gewährleistet werden kann.“
Die Sozialbehörde erklärte, die von den Kinderärzten aufgeworfenen Probleme sehe man auch. Erster Ansprechpartner zum Beispiel bei Arztsitzen sei aber die KV. Honorare würden mit Bundesgesetzen geregelt. Auf jener Ebene gebe es bereits Gespräche.