Hamburg. Dr. Sara Sheikhzadeh ist die erste Frau im Asklepios-Vorstand. Sie fordert mehr Orientierung an Wirtschaftlichkeit und Qualität.
Als „Chief Medical Officer“ (CMO) bei Asklepios ist Sara Sheikhzadeh zu einer der einflussreichsten Frauen im deutschen Gesundheitswesen aufgerückt. In den Vorstand wurde sie „berufen“ – mit dem ausdrücklichen Segen des Asklepios-Gründers Bernard große Broermann.
Professorin könnte sie sein, denn sie hat nicht nur den Doktorgrad in Medizin erworben, sondern sich auch habilitiert. Mit Leib und Seele ging sie jeden Tag dorthin, wo es wehtut: Sara Sheikhzadeh leitete eine, dann alle Notaufnahmen des Krankenhausbetreibers in Hamburg. Das Abendblatt sprach mit ihr.
Hamburger Abendblatt: Chefärztin in einer Notaufnahme oder Vorständin eines Klinikkonzerns – was ist anstrengender?
Sara Sheikhzadeh: Beides ist herausfordernd, jeweils auf seine Art. Als gelernte Ärztin war die Notaufnahme natürlich 20 Jahre lang so etwas wie mein zweites Zuhause, der Kasak wie ein Pyjama. Hätte man mich also beispielsweise gebeten, noch eine neue Notaufnahme aufzubauen, dann wäre das für mich auf jeden Fall entspannter gewesen als der neue Vorstandsjob. Jetzt arbeite ich mich in Themen oder ökonomische Fragestellungen ein, mit denen ich als Ärztin bisher weniger zu tun hatte. Aber darüber hinaus beginnt mein Tag so früh wie eh und je, und er ist genauso durchgetaktet und spannend, nur eben mit anderen Aufgaben.
Fehlt Ihnen die Medizin, die Arbeit am Patienten?
Sheikhzadeh: Natürlich. Die Notaufnahme sucht man sich nicht aus, weil man Geld verdienen will. Das macht man aus Leidenschaft. Die Notaufnahme ist meine große Liebe, und sie zu verlassen, das hat sich tatsächlich ein bisschen wie Liebeskummer nach einer Trennung angefühlt. Deshalb habe ich auch länger überlegt, ob ich meinen Traumjob aufgeben sollte. Aber dann habe ich es mehr und mehr als Chance gesehen, den Blick der Basis und die medizinische Sicht in den Vorstand einbringen zu können. Wobei ich auch sagen muss, dass ich meine Karriere nie geplant habe, sie hat sich ergeben. Ich hatte nicht das unbedingte Ziel, Chefärztin zu werden, mein Ziel war es, eine gute Medizinerin zu werden. Es hat sich für mich glücklich gefügt.
Nun sind Sie 100 Tage im Amt. Was haben Sie schon erreicht?
Sheikhzadeh: Ich glaube, für eine solche Bilanz reichen 100 Tage nicht aus. Es heißt ja immer, man solle in den ersten Monaten vor allem beobachten. Das habe ich getan und mache das auch weiterhin. Ich bin gerade sehr viel unterwegs, um möglichst viele unserer 170 medizinischen Einrichtungen zu besuchen und mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu sprechen. Natürlich werde ich nicht alle 67.000 von ihnen persönlich kennenlernen, aber es geht mir darum, ein Gefühl für die Situationen und Bedürfnisse an den Standorten zu bekommen. Ich möchte nahbar sein, jeder darf mir schreiben und bekommt eine Antwort.
Worauf liegt denn Ihr Fokus im Vorstand?
Sheikhzadeh: Auf den Mitarbeitern, ganz klar. Der Fachkräftemangel ist ja auch bei uns in der Medizin ein sehr großes Thema. Wir müssen schauen, wie wir in manchen Bereichen mobiles Arbeiten besser ermöglichen, wie wir eine bessere Work-Life-Balance hinbekommen, wie wir als Arbeitgeber attraktiv bleiben, wie wir digitaler werden. An ländlichen Standorten, wo die Kitas eben nicht von sieben bis 19 Uhr geöffnet sind, müssen wir gucken, ob wir unseren Mitarbeitern betriebseigene Angebote machen können, damit gerade auch Mütter und Väter so arbeiten können, wie sie gern möchten. Und natürlich müssen wir die medizinische Qualität auf dem aktuell sehr hohen Niveau halten. Ich stehe zu all diesen Themen nach wie vor in engem Austausch mit meinen früheren Kollegen aus der Ärzteschaft.
Was fordert die Basis von Ihnen, was sagen die Ärztinnen und Ärzte und die Pflege?
Sheikhzadeh: Da geht es natürlich auch um das Thema Belastung. Allerdings sehe ich mich als Vermittlerin, als Übersetzerin in beide Richtungen. Ich bringe die Fragen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein, aber ich versuche auch, dorthin zu kommunizieren: Leute, wir im Vorstand haben die Probleme sehr gut verstanden. Aber es gibt eben nicht immer eine schnelle, einfache Lösung. Da wirken beispielsweise oft auch politische Zwänge. Mit den Details der Krankenhausfinanzierung beispielsweise habe ich mich in der Notaufnahme kaum beschäftigt, da ging es nur um das Wohl der Patienten. Jetzt merke ich, wie limitiert der Spielraum eines Krankenhauses manchmal einfach ist.
Die Lage der Krankenhäuser ist finanziell sehr angespannt. Corona, Fachkräftemangel, steigende Energiepreise. Fühlen Sie sich von der Politik ausreichend unterstützt?
Sheikhzadeh: Nein. Die Investitionen, die die Länder in die Krankenhäuser tätigen müssen, sind viel zu gering. Im Gesetz steht, dass die Länder die Krankenhausinvestitionen vollständig leisten müssen. In der Realität erfolgt es aber nach Kassenlage, und so klafft durchschnittlich jedes Jahr eine Unterfinanzierungslücke in Höhe von rund drei Milliarden Euro. Deutschland hat immer noch eines der besten Gesundheitssysteme weltweit, aber damit das so bleibt, ist die bundesweite Strukturreform, von der alle reden, längst überfällig. Wir haben einfach zu viele Krankenhäuser in Deutschland. Ich bin nicht die Erste, die das feststellt. Das wird ja auch ausreichend durch verschiedene Studien belegt. Wenn wir dieses gute System langfristig erhalten wollen, müssen wir darüber nachdenken, wo in Deutschland wir welche Krankenversorgung haben wollen. Klar, für einen Landrat aus einem Flächenland ist es natürlich politisch nicht besonders vorteilhaft, eine kleine Klinik zu schließen. Aber: Wenn sie nicht versorgungsnotwendig und wirtschaftlich nicht rentabel ist, belastet sie den Steuerzahler.
Ob ein Krankenhaus sich wirtschaftlich rechnet, ist den Patienten herzlich egal ...
Sheikhzadeh: Als Patient möchten Sie aber dort auch nicht unbedingt behandelt werden. Warum? Weil dort eine bestimmte Operation vielleicht nur zweimal im Jahr durchgeführt wird, während sie in einer spezialisierten Klinik zweimal am Tag gemacht wird. Niemand möchte doch in eine Klinik, die gerade die Mindestmenge einer bestimmten Operation durchführt, und somit einfach viel zu wenig Erfahrung und damit auch Qualität bei diesen medizinischen Eingriffen sicherstellen kann. Ich glaube, wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass alles fußläufig erreichbar sein muss. Es bringt niemandem etwas, ein Krankenhaus zu erhalten, nur um das Pseudo-Gefühl zu vermitteln, die Menschen seien gut versorgt, wenn aber in Wirklichkeit die medizinische Qualität gar nicht stimmt.
Das heißt, wenn Sie frei entscheiden könnten, würden Sie von den rund 70 Asklepios-Kliniken sofort einige schließen?
Sheikhzadeh: Wenn wir davon sprechen, dass rund 1900 Krankenhäuser in Deutschland zu viele sind, dann können wir uns davon natürlich nicht grundsätzlich ausnehmen. Es geht dabei aber nicht um Hamburg, sondern um kleinere Häuser. Wir haben zum Beispiel im Harz eine Klinik, die hat noch 28 Betten. Das macht gar keinen Sinn. Und jeder Patient, der besondere Hilfe benötigt, fährt ohnehin ein paar Kilometer weiter in die nächste größere Stadt. Aber eine Schließung ist nicht umsetzbar, weil die Politiker vor Ort die nächste Wahl fürchten. Ich sehe da in der Krankenhauspolitik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach leider auch keinen visionären Entwurf, der die medizinische Versorgung in Deutschland wirklich weiterbringt.
Experten und Krankenkassen fordern eine zunehmende Ambulantisierung der Medizin. Es muss also nicht jeder Patient stationär aufgenommen werden.
Sheikhzadeh: Für viele Untersuchungen brauchen wir tatsächlich keine stationären Betten. Insofern ist es in vielen Fällen eine gute Idee, Tageskliniken zu etablieren. Asklepios unterhält ja auch einige Medizinische Versorgungszentren. Aber die Struktur in Deutschland für diese Ambulantisierung ist noch gar nicht vorhanden oder zu Ende gedacht. Im Klartext: Sie glauben gar nicht, wie viele Diskussionen ich in der Notaufnahme schon geführt habe mit Patienten, die ich ambulant behandelt habe und dann nach Hause schicken wollte, die aber darauf beharrten, stationär aufgenommen zu werden.
Es wirkt ein bisschen bizarr, wenn ein Krankenhaus, das von stationärer Behandlung lebt, Patienten nach Hause schickt ...
Sheikhzadeh: Aber es stimmt einfach nicht, dass wir schnell jeden Patienten aufnehmen wollen und es uns rein um die Menge an Patienten geht. Diese Mär hält sich leider hartnäckig. In Harburg haben wir in der Notaufnahme beispielsweise schon früh einen gemeinsamen Tresen mit der Kassenärztlichen Vereinigung etabliert, um mit dem ambulanten Sektor enger zusammenzuarbeiten und viel mehr nach medizinischer Dringlichkeit zu priorisieren.
Nun explodieren die Energiepreise, eine Herausforderung auch für Kliniken. Was tut Asklepios? In anderen Häusern gibt es Überlegungen, die Raumtemperatur in den Patientenzimmern abzusenken.
Sheikhzadeh: Wir waren immer schon recht energiebewusst unterwegs und werden deshalb auch vergleichsweise gut durch dieses Jahr kommen. Wir haben viel in Blockheizkraftwerke investiert, haben früh auf LED-Lampen gesetzt, Bewegungsmelder eingebaut. Trotzdem müssen wir natürlich noch mehr einsparen. In den Fluren der Verwaltung wird jetzt weniger geheizt, da ziehe ich mir eben einen Pulli über. Aber, Entwarnung: Bei uns wird kein Patient frieren müssen. Die Preisentwicklung werden wir natürlich auch spüren: Ein Intensivbett hat einen Verbrauch von einem großen Einfamilienhaus, das lässt sich auch nicht ändern, denn die technischen Geräte und Maschinen brauchen wir, und sie werden selbstverständlich immer weiterlaufen.
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Haben Sie Angst vor einem Blackout?
Sheikhzadeh: Wir haben für solche Situationen umfassende Notfallpläne. Zudem sind wir Teil der kritischen Infrastruktur, und deshalb sorgt auch die Behörde dafür, dass wir versorgt sind. Das Licht in einem Krankenhaus wird so schnell nicht ausgehen.
Macht Ihnen der Corona-Herbst Sorgen?
Sheikhzadeh: Nein. Wir haben in ersten Studien gesehen, dass die neue Variante nicht mit mehr Hospitalisierungen einhergeht. Auf unseren Hamburger Intensivstationen etwa liegt derzeit kein Patient wegen Corona. Ich wünsche mir eine gesündere Normalität im Umgang mit Corona, einen etwas pragmatischeren Ansatz. Nicht falsch verstehen: Ich bin als Ärztin natürlich im „Team Vorsicht“. Aber ich denke, wir könnten mittlerweile ein bisschen entspannter werden und sollten uns angesichts unserer strengen Quarantäneregeln vielleicht etwas mehr an den Nachbarländern orientieren, die das lockerer handhaben.
Hat es bei der Besetzung des Asklepios-Vorstandspostens eine Rolle gespielt, dass Sie eine Frau sind? Oder ist das eine Frage, die nervt? Genau wie die Frage, wie Sie das als zweifache Mutter alles schaffen?
Sheikhzadeh: Ich weiß, dass ich allein wegen meiner Qualifikation und Eignung ausgewählt wurde. Klar, es gibt für alle Unternehmen Vorgaben, Frauen in den Vorstand zu holen, aber ich habe nicht den Eindruck, dass bei uns das Geschlecht in der täglichen Arbeit eine Rolle spielt. Wie ich alles unter einen Hut bringe, ist tatsächlich eher eine Frage, die mir in meinem privaten Umfeld oft gestellt wird. Übrigens vor allem von anderen Frauen. Das war aber auch schon so, als ich die Notaufnahme geleitet habe. Männliche Vorgesetzte oder Kollegen haben mich das nie gefragt. Ich glaube, es kommt auf eine gleichberechtigte Partnerschaft an und es braucht Organisationstalent. In einer Großstadt wie Hamburg habe ich aber natürlich auch sehr von der Infrastruktur, beispielsweise von Kitas mit langen Öffnungszeiten, profitiert.