Von Johann Georg Mönckeberg bis Klaus von Dohnanyi – vom scheuen Löwen zum Genossen im Nadelstreifenanzug: eine kleine Zeitreise.
Sie haben die Stadt während ihrer jeweiligen Regierungszeit ihren individuellen Stempel aufgedrückt. Sie waren sehr verschieden und haben zu völlig unterschiedlichen Zeiten regiert. Doch eines haben Hamburgs Bürgermeister seit 1900 gemeinsam: Sie alle hatten denselben Amtssitz. Es ist nicht möglich, sämtliche Amtsinhaber der Vergangenheit, vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die 1980er-Jahre, hier vorzustellen – zu vielschichtig waren ihre Persönlichkeiten, ihre Art der Amtsführung und auch die Erträge ihrer Arbeit.
Wollte man allen Regierenden dieser Jahre gerecht werden, würde das ganze Bücher füllen. Entsprechend folgt hier eine Auswahl einiger prägender Persönlichkeiten. Eingebettet sind diese Porträts in Beschreibungen der jeweiligen Zeitumstände. Dabei wird immer wieder deutlich: Leicht war das Amt des Hamburger Bürgermeisters nie.
Johann Georg Mönckeberg: der scheue Löwe
Der Schlaganfall traf den überarbeiteten Bürgermeister bei der morgendlichen Bibelstunde. Dr. Johann Georg Mönckeberg lebte noch vier Tage. Am 27. März 1908 starb er 69-jährig – nicht nur von Witwe Elise und den neun Kindern betrauert, sondern von der ganzen Stadt. Sage und schreibe 14 Mal (!) hatte Mönckeberg Hamburgs wichtigstes Amt zwischen 1896 und 1908 bekleidet (davon sechsmal als Erster Bürgermeister), was allerdings nicht an seiner großen Beliebtheit lag, sondern am damaligen Wahlverfahren.
Die Bürgermeister wurden bis zur Weimarer Republik jährlich vom Senat aus den eigenen Reihen ernannt. Und da niemand länger als zwei Jahre im Amt sein durfte, gab es einen regelmäßigen Wechsel, meist unter den ältesten Senatoren.
Johann Georg Mönckeberg entstammte einer angesehenen Hamburger Familie. Schon sein Großvater war Senator gewesen, der Vater Pastor an St. Nikolai. Seit 1871 gehörte er selbst der Bürgerschaft an, 1896 wurde er zum ersten Mal Erster Bürgermeister.
Von Anfang an erwies sich der promovierte Jurist als Finanzexperte, glänzender Organisator und unermüdlicher Arbeiter. Damit war er genau der Richtige auf diesem Posten, denn die Bevölkerungsexplosion der Gründerjahre stellte Hamburg vor fast unlösbare Probleme. Mönckebergs Verdienst ist es, diese Probleme, vor allem die Wohnungsnot, mutig und rücksichtslos angepackt zu haben. In seine Amtszeit fällt Hamburgs Entwicklung von einer alten Hansestadt zu einer der leistungsstärksten Metropolen des Reichs – mit der Speicherstadt, dem U-Bahn-Netz, dem Rathaus und dem Hauptbahnhof.
Sein ständiges Bestreben, nur das Nötigste auszugeben, sicherte Hamburgs Finanzen langfristig, brachte dem „Bürgermeister Pfennigfuchser“ aber andererseits den Ruf ein, für Kunst und Wissenschaft nichts übrig zu haben. Tatsache ist, dass Mönckeberg selten Geld für den Erwerb von Sammlungen bewilligte, die Gründung einer Universität in Hamburg lehnte er ab. Die Sanierung der berüchtigten Gängeviertel wurde unter seiner Regierung zwar in Angriff genommen – jedoch erst Jahre nach der verheerenden Cholera-Epidemie und nach massivem Druck von außen. Aus der Sanierungskommission, der Mönckeberg vorstand, war überdies das herbe Wort von den „hygienischen Luftschlössern“ zu vernehmen, die man nicht bauen wolle.
Mönckeberg leistete im Amt alles Menschenmögliche. Als Vorsitzender der Finanzdeputation trug er manchmal 30 bis 40 Punkte hintereinander vor. Legendär war seine Redekunst – für den notorischen Formulierungsakrobaten Kaiser Wilhelm II. soll er „der beste Redner Deutschlands“ gewesen sein. Der Kaiser, so ist überliefert, machte sich bei Schiffstaufen einen Spaß daraus, Mönckeberg erst im letzten Moment den Namen des Schiffes zu übermitteln, um dem Bürgermeister eine Stegreifrede abzunötigen. Sämtliche Akten bearbeitete Mönckeberg persönlich. Er diktierte nie, sondern schrieb alles selbst mit der Hand.
Mönckeberg, im Volksmund „der Löwe“ genannt, war in seinen Grundzügen konservativ, leistete sich aber sonst geistige Unabhängigkeit. So galt er zwar als Bismarck-Verehrer und war Vorsitzender der Kommission zur Errichtung des Bismarck-Denkmals in Hamburg, äußerte sich aber auch immer wieder kritisch über den Ex-Reichskanzler.
Mönckeberg verwirrte seine Zeitgenossen durch eine fast schon unnatürlich scharfe Trennung von Amt und Privatleben. Im persönlichen Umgang mit Kollegen und Mitarbeitern war er bestenfalls konziliant, meistens schroff und distanziert. Dagegen erlebten seine fünf Töchter und vier Söhne ihn als liebevollen Vater, der sie ungewöhnlich frei erzog und in endlosen Briefwechseln immer wieder aufforderte, nötigenfalls gegen seine Meinung Stellung zu beziehen.
Da er für Bürger und selbst für jahrelange Mitarbeiter aber letztlich spröde und unnahbar blieb, rankten sich viele Legenden um ihn. Er soll morgens mit gesenktem Kopf ins Rathaus gegangen sein – angeblich wollte er die Hamburger nicht zu einem ehrfurchtsvollen Gruß nötigen.
Mönckeberg wurde so zum Inbegriff des ehrbaren, arbeitsamen Bürgermeisters, der aber letztlich ohne Ausstrahlung blieb. Ein Selbstzeugnis ist überliefert, das kaum überrascht: „Im Grunde bin ich scheu und fühle mich unbehaglich im Verkehr mit Fremden.“
Ein Jahr nach seinem Tod benannte die Stadt die Einkaufsstraße, die unter seiner Oberaufsicht vom Rathaus zu dem 1906 fertiggestellten Hauptbahnhof geschlagen worden war, nach ihm. An dem kleinen Brunnen bei der Abzweigung zur Spitalerstraße wurde sein Porträtmedaillon angebracht, und über dem Ganzen prangt sinnigerweise eine Löwenskulptur.
Heinrich Burchard: der königliche Bürgermeister
Kein anderer Hamburger Bürgermeister verkörperte den schillernden Glanz der Wilhelminischen Ära so stark wie Johann Heinrich Burchard (1852 bis 1912). Der gebürtige Bremer war schon äußerlich zum Repräsentieren wie geschaffen: Wenn sich der Hüne mit dem kahlen Schädel und gigantischem Schnauzbart in Amtstracht durch die Stadt kutschieren ließ, verrenkten die Bürger sich den Hals, um einen Blick auf „Ihre Magnifizenz“ (so die offizielle Anrede) zu erhaschen.
Zwischen 1902 und 1912 war der promovierte Jurist viermal Erster Bürgermeister. Dass Hamburg in dieser Zeit von einem enormen konjunkturellen Aufschwung erfasst wurde, ist auch Burchard zu verdanken. Indem er sich bedingungslos zum Deutschen Reich bekannte und beständig die Nähe des Monarchen Wilhelm II. suchte, machte er Hamburg zur Drehscheibe für Flotten- und Kolonialpolitik – und zur Lieblingsstadt des Kaisers. Als Folge zog es immer mehr Firmen an die Elbe, Arbeitsmarkt und Bauwirtschaft boomten.
In Burchards Regierungszeit fielen die Eröffnungen von Elbtunnel, Hauptbahnhof, Musik- und Kunsthalle. Auch das Museum für Völkerkunde, Oberlandesgericht, Barmbeker Krankenhaus und Stadtpark wurden zwischen 1902 und 1912 fertiggestellt. Und: Mit Burchard an der Spitze fand Hamburgs bislang eher spröde Gesellschaft plötzlich Gefallen daran, sich im Glanz der Kaiserzeit zu sonnen.
Die zufriedenen Bürger, vordergründig nach wie vor stolz auf ihre Souveränität, feierten nun Kaiser Wilhelm II., und sie feierten sich selbst – bei Schiffstaufen, an Gedenktagen, Einweihungen und vor allem bei den regelmäßigen Kaiserbesuchen. „Die Hamburger und ich – wir verstehen uns“, sagte Wilhelm II. bei einem seiner vielen Besuche an der Alster, und er wusste, wem er das zu verdanken hatte.
Kein Wunder, dass er Burchard gerne höhere Weihen verliehen hätte und ihn sogar als Reichskanzler ins Gespräch brachte. Burchard wurde es nicht, er ließ sich nicht einmal adeln. Dafür blieb ein anderer Titel an ihm haften: Man nannte ihn nicht nur in Hamburg den „königlichen Bürgermeister“.
Im persönlichen Umgang war der charismatische Kosmopolit Burchard wesentlich gewandter als seine Vorgänger. Der französische Journalist Jules Huret, der den Bürgermeister 1906 interviewte, bezeichnete ihn als „kühl, von schlichter Vornehmheit, sehr Herr seiner Worte“.
Über das Sprachtalent Burchards, der schon als Schüler am ehrwürdigen Johanneum Klassenprimus war, schreibt Huret: „Dr. Burchard drückt sich sehr gut und akzentfrei auf Französisch aus, mag aber lieber Englisch sprechen, das ihm vertrauter ist.“ Zu seiner Beliebtheit trug auch bei, dass er Hamburg 25 Jahre lang im Bundesrat repräsentiert hatte. Das „Hamburger Fremdenblatt“ lobte ihn anlässlich dieses Jubiläums 1912 als „aufrechten, echt hanseatischen Mann, der das Wohl seiner Stadt und seines Staates mit Treue, Zähigkeit und Takt verfolgt“.
Burchards Taktgefühl war in der Tat sehr ausgeprägt. Der glühende Nationalist, der sich als 19-Jähriger freiwillig für den Krieg gegen Frankreich gemeldet hatte, vermied jedes kritische Wort über Wilhelm II. – Kaiser und Reich waren für ihn „gegebene Größen“. Dabei ist auszuschließen, dass der intelligente, hochgebildete Politprofi die Schwächen im Charakter und in der Politik des Kaisers nicht erkannt hat. Trotzdem stellte er diese nach eigenen Worten „unumstößlichen Tatsachen“ niemals öffentlich infrage und handelte selbst widersprüchlich. So unterstützte er, genau wie der mit ihm befreundete Hapag-Direktor Albert Ballin, Deutschlands massive Aufrüstung zur See, empfahl aber gleichzeitig die Annäherung an England – ein mühsamer, fast schon schizophrener politischer Spagat. Auch die Begeisterung der Hamburger für Wilhelm II. wurde von Burchard stark überzeichnet: „Nirgends wird für den Landesherrn herzlicher und überzeugter empfunden, als wir Hamburger für das Haupt des Reiches, für den Kaiser, empfinden“, behauptete er bei einer Tischrede 1903. Dabei gab es in Hamburg auch viele, die zwar reichsfreundlich waren, die Kaiser-Verherrlichung aber entschieden ablehnten. Und das waren nicht nur die immer einflussreicher werdenden Sozialdemokraten.
Auffällig auch, wie vehement Burchard in seinen Reden immer wieder vor einem Krieg warnte und den Kaiser – fast schon beschwörend – als Friedensbewahrer darstellte. Eine böse Vorahnung? Es ist gut möglich, dass Johann Heinrich Burchard im Spannungsfeld zwischen seinen Ahnungen und den Verpflichtungen des Amtes zerrieben wurde. Sein plötzlicher Tod im September 1912 kurz nach seinem 60. Geburtstag könnte auf den Druck zurückzuführen sein, dem er ausgesetzt war.
„Burchard ist tot – wie soll ich ohne ihn!“, soll der Kaiser theatralisch ausgerufen haben, als er die Nachricht erhielt. In seinen Memoiren 1922 lobt er die „klare, scharf pointierte, überzeugende Art“ seines „lieben Freundes“; er habe Burchard als „Urbild des aristokratischen Bürgers einer Hansestadt verehrt“.
Viele Hamburger waren von seinem Tod zuriefst erschüttert. Tausende säumten die Straßen, als der Trauerzug den Weg von der Petrikirche zur Familiengruft nach Ohlsdorf nahm. Viele ahnten wohl, dass mit ihm eine ganze Epoche zu Grabe getragen wurde. Zwei Jahre später war der von Burchard beschworene Frieden nur noch ein Traum vergangener Tage.
Carl Petersen: Zeit zwischen den Extremen
Die November-Unruhen 1918, bei denen während tagelanger Kämpfe in der Stadt acht Soldaten und zwei Zivilisten starben und ein Arbeiter- und Soldatenrat kurzfristig die Macht im Rathaus übernahm, hatten eines deutlich gemacht: Im Rathaus fehlt ein Mann, der den Ausgleich zwischen Großbürgertum und Arbeiterschaft herstellen kann. Der Ruf wird schließlich lauter, Carl Petersen, den Vorsitzenden der Linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP), in das Amt des Ersten Bürgermeisters zu berufen. 1906 hatte der Spross einer der angesehensten Hamburger Familien (sein Großvater war Bürgermeister Carl Friedrich Petersen) in Hamburgs feinen Kreisen einen Skandal ausgelöst, als er sich – im Sinne der Arbeiter – gegen die Verschärfung des ohnehin schon ungerechten Klassenwahlrechts aussprach.
Im Jahr 1924, als er Hamburgs höchstes Amt antritt, ist Petersen 56 Jahre alt und eher konservativ. Kritiker werfen ihm bald vor, die Sozialdemokraten insgeheim von der Regierung fernzuhalten, doch die Koalition zwischen SPD und Petersens Partei hält fast zehn Jahre – nicht zuletzt dank Petersens feinfühliger, toleranter Art. Mit SPD-Politikern wie Max Brauer (seinem Altonaer Amtskollegen) und dem Zweiten Bürgermeister Rudolf Roß verbindet den promovierten Juristen Freundschaft, und von 1930 bis 1932 tauschen er und der Zweite Bürgermeister Roß sogar die Ämter, sodass Hamburg in diesen Jahren erstmals von einem Sozialdemokraten regiert wird. Zwischen 1924 und 1928 stabilisiert sich die Wirtschaft in der Hansestadt, und es gelingen eine Reihe wichtiger Reformen. Doch als es nach der Weltwirtschaftskrise 1929 erneut bergab geht – in Hamburg später als in anderen Städten –, geben schon bald wieder extremistische Gruppen den Ton an. Politische Morde gehören zum Alltag. Carl Petersen wehrt sich bis zuletzt vehement gegen die Hassprediger von links und rechts, doch im Zuge der „Machtübernahme“ durch die Nationalsozialisten gibt es auch für Hamburgs Demokraten keine Chance mehr.
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Nach den Bürgerschaftswahlen im September 1931 und im April 1932, bei denen der Mitte-Links-Senat seine Mehrheit verliert, regiert Petersen noch eine Zeit lang als geschäftsführender Bürgermeister weiter. Doch zu viele Hamburger liebäugeln bereits mit den Nazis. Hinzu kommt, dass Petersen vermutlich schon seit Anfang der 30er-Jahre schwer krebskrank ist und seine Arbeit nur unter größten Mühen fortsetzen kann. Am 4. März 1933 gibt der zermürbte Bürgermeister sein Amt ab, nur knapp acht Monate später stirbt er. Rudolf Roß weint an seinem Sarg.
Carl Petersen, der Hamburg in schweren Zeiten fast sieben Jahre lang regierte, ist in der Stadt heute beinahe vergessen. Viele seiner Aufzeichnungen wurden vernichtet. Nur ein paar Fragmente überstanden den Krieg – hastig vergraben in einem Garten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird der Abdruck seiner verschollenen Bronzebüste aus einem Keller geholt und im Kaisersaal dem Senat übergeben – „zur Erinnerung an den großen Liberalen und bedeutenden Humanisten“. Was bleibt noch von Carl Petersen? Prof. Hans-Dieter Loose (Staatsarchiv) sagte 1997: „Er gehört in jedem Fall zu Hamburgs bedeutendsten Bürgermeistern. Und er war in der Weimarer Republik sicherlich auch der profilierteste Hamburger Politiker.“
Demokratisch gesonnene Hamburger weinen bittere Tränen, als sie nach Petersens Tod den weiteren Niedergang der politischen Kultur erleben müssen. Schon am 5. März 1933 besetzen SA und SS das Rathaus, Reichsinnenminister Frick erzwingt die Einsetzung von SA-Standartenführer Richter zum Polizeiherrn.
Nun werden Bürgerschaft und Parteien aufgelöst bzw. zur Selbstauflösung gezwungen. Auf dem Rathausmarkt, der jetzt Adolf-Hitler-Platz heißt, wehen Hakenkreuzfahnen. Von den Porträtmedaillons verdienter Hamburger in der Rathausdiele werden die Abbildungen der Juden Johann Gustav Heckscher, Gabriel Riesser, Agnes Wolffson, Felix Mendelssohn, Salomon Heine und des Halbjuden Heinrich Hertz abgeschlagen – man wird sie erst 1949 erneuern.
Am 8. März 1933 wird Carl Vincent Krogmann (NSDAP) von der Bürgerschaft zum „Regierenden“ Bürgermeister gewählt. Die eigentliche Macht liegt aber seit Mai 1933 in den Händen des „Reichsstatthalters“ Karl Kaufmann, der die „Gleichschaltung“ der Stadt kontrolliert. Mit ihm ziehen üble Korruption und vor allem der Terror in die Stadt ein. Es ist grotesk, dass über den fanatischen Nazi (der Hitler früh darum bat, die Stadt „judenfrei“ machen zu dürfen) später Legenden gestrickt wurden, er habe „Schlimmeres verhindert“. Und es ist ein Schandmal der Kustiz, dass er nach dem Krieg unbehelligt in Hamburg leben durfte, bis er 1969 als wohlhabender Mann starb.
Max Brauer: Freund der einfachen Leute
Hamburg 1945. Das Rathaus, noch keine 50 Jahre alt, hat jetzt schon den zweiten Krieg überstanden – rußgeschwärzt steht es in der ausgemergelten Stadt. Wie durch ein Wunder ist es mit ein paar kleineren Blessuren davongekommen: Die Schäden an der ausgebrannten Turmspitze sind gering – Experten werden später feststellen, dass sie sich um 36 Zentimeter geneigt hat.
Aber die Bürgerinnen und Bürger haben in dieser Zeit ganz andere Sorgen. Etwa 45.000 Menschen sind dem verheerenden Luftkrieg zum Opfer gefallen, rund die Hälfte aller Wohnungen wurde total zerstört. 42.000 ausgebombte Hamburger können nur mühsam untergebracht werden, und täglich strömen mehr Menschen in die Stadt – Ost-Flüchtlinge, Front-Heimkehrer, befreite Gefangene. Mindestens genauso schwer lastet die moralische Schuld auf Hamburg. Etwa 50.000 Menschen sind im Konzentrationslager Neuengamme und in dessen Außenstellen umgebracht worden, mehr als 2000 Hamburger starben durch Euthanasie. Unzählige wurden in die Emigration getrieben oder nach Unrechtsurteilen hingerichtet.
Hamburg zur Stunde Null, aus der Weltstadt ist eine von der Welt vergessene und auch verachtete Großruine geworden. Als der aus der US-Emigration zurückgekehrte Max Brauer in Planten un Blomen vor 80.000 Zuhörern eine donnernde Rede hält, wird er von Zwischenrufen gestört: „Hierbleiben“ und „Maxe, komm zurück.“ Brauer, der von 1924 bis 1933 Oberbürgermeister von Altona war und die Nazizeit nach seiner Ausbürgerung als Dozent an der Columbia-Universität verbrachte, bleibt tatsächlich. 1946 wird er zum ersten Mal Bürgermeister.
Mit ihm waren die Menschen in Hamburg schnell höchstzufrieden – warum? Brauer vereinigte Eigenschaften in sich, die ihn in den Augen vieler zum idealen Bürgermeister machten: Aufgewachsen als achtes von 13 Kindern eines armen Glasbläsers kannte er Sorgen und Nöte der einfachen Leute. Brauer verlor im Umgang mit Arbeitern zeitlebens nie seine ruppig-kumpelhafte Art. Soziale Themen standen bei ihm stets ganz oben auf der Tagesordnung, und auch als Bürgermeister saß er regelmäßig in seinem Elb-Schrebergarten und kloppte Skat. Zugleich hatte er in den Jahren als Altonaer Bürgermeister und Mitglied des Preußischen Staatsrates die Kunst des Repräsentierens gelernt. Brauer wusste politische Ämter zu schätzen, und er füllte sie gerne mit seiner ganzen Person aus; große Auftritte lagen ihm.
Aus beiden Extremen ergab sich eine ungewöhnliche Mischung, die in diesen schweren Zeiten zum Segen für Hamburg wurde. Brauer regierte so selbstbewusst, glanzvoll und autoritär, dass sich viele an längst verstorbene Bürgermeister wie Burchard und Mönckeberg erinnert fühlten. Gleichzeitig war er alles andere als ein Theoretiker, sondern oft irritierend hemdsärmlig und spontan. Politisch geschickt und moralisch integer trat er den britischen Besatzern energisch und selbstbewusst gegenüber: Er setzte – ohne Genehmigung – die Wrackbeseitigung im Hafen durch und ordnete an – wiederum ohne die Besatzer zu fragen –, dass die HEW während des schreckllchen Winters 1946/1947 (300 Menschen starben) zusätzlich Strom und Gas produzierten.
Über die Verdienste Brauers für Hamburg (er regierte zunächst bis 1953, später noch einmal von 1957 bis 1960) ließen sich dicke Bücher schreiben. Schlaglichter: Er verhinderte die Demontage von Blohm + Voss, ließ überall neue Wohnungen errichten und förderte die Wirtschaftskraft Hamburgs, unter anderem durch das energische Bekenntnis zum Hafen. „Ich baue lieber Wohnungen und Schulen als Gesetze“, soll Brauer einmal geraunzt haben, und die Hamburger, die ihren Bürgermeister „den Löwen“ nannten, verstanden ihn.
Brauer stellte die Stadt auch moralisch wieder auf die Füße – Altbundeskanzler Helmut Schmidt sagte später: „Er holte uns aus den Kellern, den Baracken, den Nissenhütten und aus den Schreberlauben, damit wir anpackten. Und wir sind diesem begnadeten Willensmenschen gefolgt.“ Doch so beliebt Brauer wegen seiner unschätzbaren Verdienste in der Stadt war, so bitter wurde ihm schließlich der Abschied von der politischen Bühne.
Paul Nevermann: Rücktritt nach dem Besuch der Queen
Anfang der 50er-Jahre hat der allgemeine Aufschwung Hamburg erfasst. Das macht sich auch bemerkbar, als es um die Neugestaltung der immer noch kriegsgeschädigten Rathaus-Spitze geht. Der Senat beantragt bei der Bürgerschaft 160.000 Mark, um die Turmspitze in einfacher Form wieder herzurichten. Doch die Bürgerschaft beschließt die Restaurierung des Turmhelms in alter Form – für 240.000 Mark.
Was das Rathaus auch bald hat, ist eine neue Regierungsmannschaft: 1953 übernimmt der bürgerlich-konservative Hamburg-Block die Geschäfte. Der 56-jährige Kurt Sieveking, Spross einer angesehenen Hamburger Familie, bleibt bis 1957 im Amt – als erster CDU-Bürgermeister der Hansestadt. In seine Amtszeit fallen die Eröffnung des Staatsoper-Neubaus und die Verabschiedung eines neuen Hafengesetzes. Mehr und mehr internationale Staatsgäste lassen sich an der Elbe blicken, und 1957 werden erste Bande zur künftigen Partnerstadt St. Petersburg geknüpft. Und: 600 Jahre nach der ersten Erwähnung (1356) gibt es im großen Festsaal des Hamburger Rathauses wieder die Matthiae-Mahlzeit des Senats.
Max Brauer, dem auch enge Freunde nicht nachsagen, ein guter Verlierer zu sein, hat in diesen Jahren keine Lust auf den Part als Oppositionsführer. Paul Nevermann übernimmt den undankbaren Posten, Brauer zieht sich enttäuscht in die USA zurück. Als Sieveking 1957 scheitert, wird aber Brauer erneut Bürgermeister.
Die Ära der einsamen Entscheidungen ist allerdings vorbei, für Teamarbeit hat der alternde Bürgermeister, den nicht nur Kritiker heimlich einen Barockfürsten nennen, nichts übrig. Nach Reibereien mit der Fraktion nimmt er seinen Hut, Nachfolger wird der Zweite Bürgermeister – Paul Nevermann.
1964 verliert Brauer seinen SPD-Vorstandssitz, später wird er auf dem Hamburger SPD-Landesparteitag auch nicht mehr für den Bundestag aufgestellt. Grollend zieht sich der schon zu Lebzeiten zur Legende gewordene Max Brauer – mit immerhin 78 Jahren – nach Holm-Seppensen zurück. Der Löwe leckt seine Wunden, er hätte gerne weitergemacht.
Max Brauer, der bei seinem Abschied Ehrenbürger, Ehrendoktor und Ehrensenator wurde und 1967 mit der Ehrengedenkmünze ausgezeichnet wurde, starb 1973. Er wurde 85 Jahre alt.
Paul Nevermann, Sohn eines Brauerei-Arbeiters, hatte sich genau wie sein Vorgänger von ganz unten hochgearbeitet. Über den zweiten Bildungsweg war ihm der Aufstieg vom Schlosser zum promovierten Juristen gelungen. Nevermann, vom Naturell viel hanseatischer als Brauer, konnte nur schwer aus dessen überlangem Schatten heraustreten. Während er für die Öffentlichkeit in vielem zunächst nur der Vollender von Brauers Wirken blieb, konnte er später die Ernte eigener Arbeit aufgrund seiner kurzen Amtszeit kaum noch einfahren. Der ehemalige Senatssprecher Paul Otto Vogel berichtete einmal, dass sich Nevermanns vornehme Zurückhaltung mit der Zeit auch immer stärker auf dessen Arbeitshaltung übertrug – verfrüht stellte sich eine gewisse Amtsmüdigkeit ein. Symptomatisch: Als Nevermann sich bei der Flutkatastrophe von 1962 einen Überblick verschaffen will, bekommt er von dem energiegeladenen Polizeisenator Helmut Schmidt zu hören: „Paul, halt mich jetzt nicht mit unwichtigen Fragen auf.“
Hinzu kamen bei Nevermann private Probleme. Die werden beim Besuch der britischen Queen Elizabeth II. 1965 öffentlich, als Grete Nevermann ihre Teilnahme verweigert. Paul Nevermann bekennt sich mutig zu einer neuen Frau in seinem Leben – und muss zurücktreten.
Nach etwas mehr als vier Jahren mit Nevermann muss sich die SPD nach einem neuen Bürgermeister umsehen. Zunächst scheint kein geeigneter Kandidat in Sicht, doch dann einigt sich die Findungskommission nach nur halbstündiger Beratung auf Finanzsenator Herbert Weichmann – damals immerhin schon 69 Jahre alt.
Die Entscheidung löst zunächst allgemeine Überraschung aus. Weichmann ist vor allem als geschickter Finanzpolitiker bekannt. Dass er sich angesichts seines vorgeschrittenen Alters aber als Bürgermeister bewähren wird, bezweifeln damals nicht wenige. In Hamburg macht das Wort von der „Übergangslösung“ die Runde – nie war es so fehl am Platze.
Herbert Weichmann: die Vaterfigur der Stadt
Alle, die Herbert Weichmann (1896 bis 1983) aus nächster Nähe erlebt haben, sind sich in ihrer Beobachtung einig: Der Wechsel vom Posten des Finanzsenators zu dem des Ersten Bürgermeisters schien bei ihm unsichtbare Fesseln zu lösen. Erst als Regierungschef konnte der 69-Jährige sein enormes Wissen, seine kosmopolitische Grundhaltung und seine schöpferische Kraft voll entfalten. Es schien, als habe er nur darauf gewartet, im Spätherbst seines Lebens noch einmal durchstarten zu können – zum Wohle Hamburgs.
Worin lag die Bedeutung dieses Mannes, der „nur“ sechs Jahre regierte, in der Stadt aber bis heute unvergessen ist? Da ist zunächst Weichmanns Nachlass, der heute noch überall in Hamburg zu sehen ist. Der Bürgermeister hatte persönlichen Anteil an Großprojekten wie dem Neuen Elbtunnel, der City Nord, dem CCH und der Köhlbrandbrücke.
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Dazu kam, dass Weichmann sein neues Amt mit der gesamten Fülle seines überragenden Intellekts prägte und so zum Ansehen Hamburgs nachhaltig beitrug. Ohne das Andenken an Weichmanns Vorgänger (und Nachfolger) zu schmälern, kann mit Helmut Schmidt gesagt werden: Herbert Weichmann war der geistig bedeutendste Hamburger Bürgermeister – mindestens in der Nachkriegszeit, vielleicht sogar des gesamten 20. Jahrhunderts. Seine grandiosen Reden wurden vielfach gedruckt, Millionen Abiturienten setzten sich mit seinen Gedanken als Schullektüre auseinander. Ein Kernsatz aus einer viel beachteten Rede, die er 1982 vor dem Bundestag hielt: „Falsche Duldsamkeit schafft falsche Vorstellungen über die Grenzen des Erlaubten.“
Dass Weichmann im Umgang mit seinen Mitarbeitern oft nur wenig Duldsamkeit aufbrachte, hat seinem Andenken nicht geschadet. Seine Donnerwetter waren im Rathaus gefürchtet, seine übertrieben strenge Kleiderordnung irritierte in den späten 60er-Jahren viele. Im Umgang mit politischen Journalisten konnte er – hier Max Brauer ähnlich – barsch sein, heimlich nannte man ihn auch den „Gottvater“. Doch seine vielen Freunde und Weggefährten erinnern sich, dass er ebenso schnell vergessen und ausgleichen konnte. Viele Menschen wünschten sich Weichmann als Bundespräsidenten – nicht nur Hamburger. Er hatte die Würde und die intellektuelle Kraft für dieses Amt, auch an Vitalität fehlte es nicht. Als ihn Senatssprecher Paul Otto Vogel darauf ansprach, bekam er von Weichmann eine nachdenklich stimmende Antwort: Er halte es nicht für gut, mit seiner Kandidatur die ungewisse Probe zu wagen, wie die Deutschen auf ein jüdisches Staatsoberhaupt reagieren würden ...
Herbert Weichmann, der aus einer angesehenen jüdischen Familie aus Schlesien stammte, hatte nach einigen Jahren als Journalist und Verwaltungsbeamter das politische Handwerk von der Pike auf gelernt. Schon in jungen Jahren war er persönlicher Referent des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun (SPD), wie dieser wurde er von den Nationalsozialisten in die Emigration getrieben. 1933 schlug sich Weichmann in den USA durch, wo er eine Ausbildung als Wirtschaftsprüfer absolvierte. Die Zeit des Exils prägte nicht nur Weichmanns überragende Finanzkenntnisse – sie zementierte für immer sein unbedingtes Bekenntnis zu Freiheit und Humanismus. Weichmann, dessen nächste Angehörige in Konzentrationslagern ermordet wurden, lernte in den USA Max Brauer kennen, der ihn nach der Rückkehr in die hamburgische Politik brachte.
Weichmann übertraf seine Vorgänger an Weisheit und Güte, konnte zugleich würdevoll und volkstümlich sein. Auch seine Frau Elsbeth trug zu seinem Ansehen bei, die engagierte Sozialpolitikerin und langjährige Bürgerschaftsabgeordnete war sicherlich die charismatischste aller Bürgermeisterfrauen.
Mit den Studentenunruhen der späten 60er-Jahre konnte Herbert Weichmann nichts anfangen, politisch motivierte Krawalle weckten in ihm böse Erinnerungen an die frühen 30er-Jahre. Als es beim Schah-Besuch 1967 rund um das Rathaus zu schweren Ausschreitungen kam, reagierte Weichmann, so erinnern sich enge Mitarbeiter, sehr verstört.
Es zeigte einmal mehr die Größe Weichmanns, dass er die Zeit für seinen Rücktritt selbst bestimmte. Im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger und Nachfolger verließ er das Rathaus im Frieden mit seiner Partei. Sein Abschied 1971 war glanzvoll (Weichmann wurde am selben Tag Ehrenbürger) und auch rührend, selbst hartgesottene Politprofis schämten sich ihrer Tränen nicht.
Mit Herbert Weichmanns Rücktritt 1971 endete die Epoche der „großen, alten Männer“, derjenigen Bürgermeisterspezies also, die die Weimarer Republik noch bewusst erlebt bzw. bereits damals schon selbst Politik betrieben hatten.
Mit der Amtsübergabe an den 40 Jahre alten Anwalt Peter Schulz (der damit der jüngste Bürgermeister seit 1678 war) wurde ein Generationswechsel vollzogen, der vielleicht schon überfällig war. Längst drängten junge Berufspolitiker überall in die Ämter der Stadt, ihr Selbstbewusstsein im Umgang mit dem Bürgermeister wuchs ständig. Hamburgs SPD entwickelte sich immer stärker zur Akademikerpartei, autoritäre Strukturen wankten – auch im Rathaus. Das Regieren wurde (wieder einmal) schwieriger.
Klaus von Dohnanyi: der Genosse im Nadelstreifenanzug
Nach dem Rücktritt von Hans-Ulrich Klose 1981 (Peter Schulz war 1974 nach schweren Wahlverlusten zurückgetreten) steckte die schon lange regierende Hamburger SPD in einer schweren Krise. Die Partei war in Flügelkämpfen aufgerieben. Für die Stadt sah es auch nicht rosig aus: Die Arbeitslosenzahlen und die Sozialausgaben stiegen, die Wirtschaftskraft sank, die Haushaltslage war prekär. „Hamburg war eine schrumpfende Stadt – in Bezug auf die Bevölkerung wie auf den Wohlstand und die Lebensqualität“, sagte Peter Tschentscher 2018 mit Blick auf diese Zeit. Hinzu kamen der Konflikt um die Hafenstraße und das Gezerre um den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf.
Bei einem Sonderparteitag wurde dann – eingefädelt von Herbert Wehner – ein neuer Bürgermeisterkandidat aus dem Hut gezaubert, mit dem kaum jemand gerechnet hatte: der ehemalige Bundesminister und Staatssekretär Klaus von Dohnanyi – ein Mann ohne sozialdemokratischen „Stallgeruch“, wie es damals hieß. Im Juni 1981 wählte die Bürgerschaft den „Nadelstreifengenossen“ ins Amt.
Bei den dann anstehenden Bürgerschaftswahlen erwies er sich, wie geplant, als der perfekte Gegenentwurf zu dem charismatischen CDU-Kandidaten Walther Leisler Kiep. Beide Kandidaten, elegant und weltgewandt, stammten aus angesehenen Hamburger Familien. Vom „Duell in Flanell“ war die Rede, die „taz“ spottete über die „Bügelmeisterkandidaten“. Die CDU wurde mit 56 Mandaten zwar stärkste Partei, konnte aber nicht regieren, weil ihr potenzieller Partner, die FDP, an der Fünfprozenthürde gescheitert war. Dohnanyi arbeitete ohne Mehrheit weiter, und die „Hamburger Verhältnisse“ machten bundesweit Schlagzeilen. Dabei agierte der Bürgermeister so selbstbewusst, als habe er die absolute Mehrheit.
Dohnanyis Stil verfing auch bei denjenigen, die eigentlich auf Kiep gesetzt hatten. Der kühl und sicher auftretende Bürgermeister, der internationale Erfahrungen und seine vielfältigen Kontakte ins Amt mitbrachte, sorgte auch für so etwas wie intellektuell getränkten Glamour im Rathaus, was in Hamburg traditionell immer gut ankommt.
Auch wenn sich der 1928 geborene Dohnanyi in Wahlkämpfen gelegentlich mit Elbsegler und Friesennerz fotografieren ließ, war er alles andere als volkstümlich. Dass man ihn nicht nur hinter seinem Rücken als arrogant bezeichnete, war ihm bekannt, und gelegentlich kokettierte er sogar damit. Er sei der Meinung, dass etwas, das er durchdacht habe, auch stimme, ließ er in einem Interview wissen und auch: „Meinungen lasse ich jede Menge zu, aber nicht Entscheidungen. Das sind zwei verschiedene Dinge.“
Bei den (Nach-)Wahlen im Dezember 1982 gelang der SPD tatsächlich ein Comeback. Dohnanyi war zwar kein „rechter“ SPD-Mann, aber einer, der stärker als sein Vorgänger auf eine enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft setzte. „Wenn die Wirtschaft nicht läuft, funktioniert auch kein Sozialstaat mehr – und am Ende auch keine Demokratie“, warnte er später anlässlich seines 90. Geburtstags.
So war es nicht zuletzt seiner zupackenden, energischen Arbeitsweise zu verdanken, dass Hamburg wieder stärker auf Kurs kam. Früh hatte er Themen wie die Finanzierung des Hafens, den Ausbau der Messe und des Medienstandorts auf dem Radar. Die Bedeutung der Wissenschaft war so etwas wie sein Lieblingsthema, und immer wieder verlangte er dabei von allen Beteiligten mehr Engagement. Als einen „Weichensteller“ hat ihn einer seiner Nachfolger, Peter Tschentscher, einmal mit Blick auf diese Zeit bezeichnet. Dass es – später – gelang, Hamburg wieder zu einer wachsenden Stadt zu machen, sei in der Ära Dohnanyi vorbereitet worden, wird heute gesagt.
Von diesen Weichenstellungen auf vielen Gebieten konnte dann Dohnanyis Nachfolger Henning Voscherau profitieren, dann aber auch bereits mit dem kräftigen Schub der Wiedervereinigung im Rücken. Diese Verdienste wurden während Dohnanyis siebenjähriger Amtszeit aber (noch) nicht überall gesehen: Bei der Bürgerschaftswahl 1986 fuhr seine Partei mit 41 Prozent ein unerwartet schlechtes Ergebnis ein – zehn Prozentpunkte weniger als bei den letzten Wahlen.
Die friedliche Lösung des Hafenstraßenkonflikts wird wohl am meisten mit Dohnanyis Regierungszeit in Verbindung gebracht. Der Bürgermeister erwies sich dabei nicht nur als nervenstark, sein selbstsicheres Auftreten flößten auch seinen Widersachern bei Verhandlungen Respekt ein. Es wurde damals allen deutlich, dass er von seinem Kurs nicht abrücken würde und dass die angedrohte Räumung ernst gemeint war. Schließlich setzte Dohnanyi die Lösung mit seinem Stellvertreter Ingo von Münch (FDP) gegen Widerstände in beiden Parteien durch.
Wegen innerparteilicher Machtintrigen und mangelnden politischen Spielraums trat Klaus von Dohnanyi im Juni 1988 zurück. Zur Begründung erklärte er unter anderem, dass sich nach 20 Jahren politischer Tätigkeit „Kreativität und Durchsetzungsfähigkeit abnutzen, sodass die Freude an der Arbeit verloren zu gehen droht“. Im Übrigen sei der Schritt so geplant und vorbereitet gewesen, sagte der Altbürgermeister später dazu.
Das Magazin „125 Jahre Hamburger Rathaus“ ist in der Abendblatt-Geschäftsstelle, unter abendblatt.de/magazine sowie im Handel für 9,50 Euro (Treuepreis 8 Euro) erhältlich.