Hamburg. 34 Länder in 16 Monaten: Was dieses Hamburger Paar auf ihren Reisen über Arbeitsweisen der Zukunft gelernt hat. Ihre weiteren Pläne.

Wer in Deutschland während der Arbeitszeit im Café sitzt und einen Cappuccino trinkt, der kann schon einmal Sprüche kassieren, wie „na, wieder am Chillen?“ oder „so, so, das nennt sich Arbeit“. Es ist also noch Luft nach oben in Sachen „Modern work“, modernem Arbeiten.

Wie die Menschen weltweit ihre Arbeit organisieren, wie sie Arbeit und Freizeit miteinander verknüpfen, kurz: Wie sie mit sich und ihrer Arbeit zufriedener sind, hat sich das Hamburger Paar Anna und Nils Schnell, Inhaber einer Beraterfirma, angeschaut. Zweimal waren sie unterwegs, haben 34 Länder auf vier Kontinenten und mehr als 130 Unternehmen besucht. Im Oktober geht es nach Süd- und Nordamerika auf eine Weltreise in die Zukunft unserer Arbeit.

New Work: Das Pärchen ist das Reisen gewohnt

Die Kartons müssen noch gepackt, Möbel eingelagert werden. Wieder werden Nils und Anna Schnell eine Wohnung aufgeben. 2018 haben sie das zum ersten Mal gemacht. Damals wohnten sie in Eppendorf und begannen ihre erste einjährige Reise in moderne Arbeitswelten.

Es folgten weitere vier Monate auf Tour, und nun heißt es wieder Abschied nehmen, dieses Mal von ihrer Wohnung in Barmbek. Dann geht es für ein Jahr nach Süd- und Nordamerika. Einpacken, einlagern, sich von Dingen trennen und eine neue Wohnung finden, ist für die beiden 37-Jährigen keine große Sache mehr.

Die Arbeit von unterwegs, der Kontakt zu so vielen anderen Menschen sowie Lebens- und Arbeitsweisen habe sie flexibler gemacht, sagen sie. Es gehört Mut dazu, diesen Schritt zu gehen. Und es gehört auch Mut dazu, sich in der Arbeitswelt zu behaupten, seinen Platz zu finden und sich auch einmal von Altem zu trennen und Neues zu wagen.

„Sie hat von Null wieder angefangen"

So wie die junge Unternehmerin Khulan Davaadorj aus der Mongolei. Weil sie Hautprobleme hatte und keine Naturkosmetik aus ihrem Heimatland fand, nahm sie die Sache selbst in die Hand und tüftelte an Rezepturen. Diese wurden ihr dann auch noch bei einem Einbruch gestohlen.

Aufgeben? Kam für Khulan nicht in Frage. „Sie hat von Null wieder angefangen, weil ihr der Sinn der Sache klar war“, sagt Nils Schnell. Hinfallen, sich wehtun, aufstehen und weitermachen. Das hat das Ehepaar Schnell beeindruckt.

Wichtig ist die Sinnhaftigkeit der Arbeit

Ausschlaggebend für das moderne Arbeiten seien unter anderem die Sinnhaftigkeit des Tuns (siehe Kasten rechts). „New Work bedeutet, dass jeder Mensch eine für sich sinnstiftende Arbeit findet“, so das Ehepaar Schnell. Dafür müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, Arbeitsprozesse in Unternehmen und feste Strukturen müssen dafür hinterfragt werden. „Modern Work bedeutet, moderne Arbeitswelten proaktiv zu gestalten und Arbeit für Menschen sinnvoll zu verbessern.“ Und das sei mehr als ein Kickertisch im Büro oder frisches Obst auf dem Schreibtisch.

Die neun Prinzipien moderner Arbeit

Die neun Prinzipien moderner Arbeit (aus „Die Modern Work Tour“).

1. Sinn ermöglichen: Warum tue ich etwas? Das Warum hilft, das eigene Verhalten und Bedürfnisse besser zu verstehen.

2. Mensch im Mittelpunkt: Ziel ist, dass die Mitarbeitenden Kraft und Motivation aus ihrer Arbeit ziehen, mitdenken und mitgestalten.

3. Wachstumsmindset stärken

bedeutet, eher das halb volle als das halb leere Glas zu sehen und Potenziale zu erkennen.

4. Fähigkeiten entfalten: Weniger Fremdbestimmung, mehr Stärkung durch Führungskraft.

5. Transparenz und Offenheit bedeutet, miteinander zu wachsen.

6. Selbstbestimmung und Verantwortung: Wer selbstbestimmt arbeiten möchte, muss auch Verantwortung übernehmen.

7. Lernen und Wissen teilen: Lernen und Weiterentwicklung sind lebenslanger Prozess.

8. Nachhaltigkeit

9. Vielfalt: Kulturelle Vielfalt. gen

Der Unterschied anderer Länder zu Deutschland? „Vielleicht geht es uns hier zu gut, und wir sind zögerlicher, wenn es um Veränderungen geht. In anderen Ländern sind wir mutigen Menschen begegnet, die auch keine Angst vorm Scheitern haben“, so Anna Schnell. Sie formuliert das umsichtig, denn natürlich gibt es auch hier mutige und inspirierende Menschen. Verallgemeinerungen sind schwer.

Ein Fünf-Sterne-Hotels in der Mongolei beraten – und dafür umsonst logiert

Auf ihren Reisen seien sie auf einer modernen Walz, sagt das Paar. „Wir sind neugierig, lieben es zu reisen und unsere Arbeit. Unsere Motivation war, sowohl unser Wissen weltweit zu teilen als auch neue Impulse, Ideen und Anregungen für unsere Arbeit hier in Deutschland zu finden“, sagt Nils Schnell. Die beiden haben sich während ihres Studiums der Erziehungswissenschaften in Bielefeld kennengelernt und arbeiten seitdem als Berater für modernes Arbeiten.

Sie schnuppern auf ihren Touren in Unternehmen hinein, kommen mit unterschiedlichen Menschen auf allen Kontinenten ins Gespräch. Und weil das keine Urlaubsreise ist, kümmern sich von unterwegs aus weiter um ihre deutschen Kunden, geben aber auch vor Ort Seminare und halten Vorträge. Mal gegen Geld, mal im Tausch.

So berieten sie eine junge Geschäftsführerin eines Fünf-Sterne-Hotels in der Mongolei und durften dafür eine Woche im Hotel wohnen, aus Versehen in zwei verschiedenen Zimmern. Ein Glücksfall: Denn wer ein Jahr lang als Paar gemeinsam reist, sich häufig eine kleine Wohnung oder nur ein Zimmer teilt, ist froh über ein wenig Freiraum zwischendurch.

„Es gibt eine Me-time und eine We-time“

„Es gibt eine Me-time und eine We-time“, sagt Anna Schnell. Abstand zueinander, Zeit für sich selbst seien wichtig, um miteinander auf engem Raum klar zu kommen. „Ich setze mir Kopfhörer auf, wenn ich allein sein möchte und höre Hörbücher oder lege mich in die Badewanne.“ Ihr Mann geht gern für sich spazieren. Als Paar haben sie ihre Reisen auf diese Weise sehr gut meistern können. Wie im Berufsleben auch, gilt: Miteinander im Gespräch zu bleiben.

Sie besuchten die Hotspots moderner Arbeit, nämlich Tel Aviv in Israel oder Sydney in Australien. Auch von Sarajewo waren sie ganz angetan: Dort herrsche eine Aufbruchstimmung. Typischerweise würde die Reise, wenn es um zukunftsweisendes Arbeiten geht, ins kalifornische Silicon Valley führen – dorthin, wo so viele Führungskräfte oder Start Ups ihre Inspirationen holen. Aber die Schnells wollten zunächst nicht dorthin, wo alle hinpilgern, auch weil der kalifornische „way of working“, die Art zu arbeiten, vielleicht nicht so leicht auf ihre Kunden aus dem deutschen Mittelstand übertragbar ist.

New Work: Eine neue Sicht auf Arbeitsweisen

Sie besuchten stattdessen die jüngste Verlegerin Ruandas, Dominique Alonga, konnten erleben, dass in Australien die Menschen tatsächlich während der Arbeit eine Runde surfen gehen und dass dort weniger von „work-life-balance“ die Rede ist, weil ein Ausbalancieren doch sehr schwer ist. Stattdessen heißt es Down Under „work-life-blending“: „Es geht darum, wie ich Arbeit in mein Leben einfügen kann, wie es sich überlappt“, so Anna Schnell. Und warum sollten die Hamburger nicht auch zwischendurch mit ihrem Stand-Up-Paddle auf die Alster gehen – wenn die Arbeit dennoch gemacht wird. Oder Cappuccino trinken im Café.

In ihrem Buch „Die Modern Work Tour“ schreibt das Paar über ihre Weltreise in de Zukunft unserer Arbeit. Es ist Fach- und Reiselektüre, Gabal-Verlag, 25,80 Euro.