Hamburg. Auch Geschäfte anderer Banken sollen untersucht werden. Wurden belastende Informationen einfach “geschreddert“?

Wenn an diesem Dienstag um 13.30 Uhr die Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Cum-Ex-Affäre im Sitzungssaal der Bürgerschaft zusammenkommen, dann wird die Situation etwas Paradoxes haben. Denn während in den vergangenen Tagen immer neue Enthüllungen die politische Szene in Hamburg – und längst auch in Berlin – in Atem halten, wird sich der Ausschuss mit Fragen befassen (müssen), die zurzeit nicht im Mittelpunkt des Interesses stehen. Die Tagesordnung ist seit Wochen festgelegt. Und in der wird es weder um Bundeskanzler Olaf Scholz gehen, dessen dienstliche E-Mails zu seiner Zeit als Bürgermeister von der Staatsanwaltschaft als Beweismittel durchsucht wurden, noch um Johannes Kahrs.

Bei der Durchsuchung von Kahrs’ Bankschließfach hatten die Fahnder, wie berichtet, 214.800 Euro Bargeld gefunden, dazu 2400 Dollar. Seither machen Spekulationen die Runde, woher dieses Geld stammt, und ob es etwas mit der Cum-Ex-Affäre zu tun hat. Der langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete und Chef der SPD-Mitte hatte sich auf Bitte des Warburg-Bank-Mitinhabers Christian Olearius für ihn eingesetzt, nachdem das alteingesessene Geldhaus sich im Kontext von Cum-Ex-Geschäften mit Steuerrückforderungen in Höhe von 47 Millionen Euro konfrontiert sah.

Cum-Ex-Affäre: Vier ehemalige Mitarbeiter der Finanzbehörde werden vernommen

Aber statt Kahrs oder Scholz werden heute vier ehemalige Mitarbeiter der Finanzbehörde vernommen, darunter die frühere Chefin der Steuerverwaltung und der früher für die in den Skandal verwickelte Warburg-Bank zuständige Abteilungsleiter. Dass sie gehört und die Sitzung nicht verschoben wird, hatten die Abgeordneten von SPD und Grünen durchgesetzt – gegen den Willen der Oppositionsfraktionen.

CDU und Linke beklagen, sie hätten angesichts der Masse der nun vorliegenden Akten und der vielen neuen Enthüllungen nicht ausreichend Zeit, sich seriös vorzubereiten – deshalb mache auch die Befragung von Olaf Scholz zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn. Der Bundeskanzler ist für den 19. August als Zeuge geladen.

CDU: Auch andere Geschäftspraktiken sollen untersucht werden

„Uns ist es wichtig, die neuen Unterlagen der Staatsanwaltschaft gründlich und vollständig auszuwerten. Das braucht einige Zeit“, sagte CDU-Fraktionschef Dennis Thering. „Es ist daher unverantwortlich, dass SPD und Grüne mit ihrer Mehrheit die Aufklärung im Ausschuss bewusst torpedieren wollen. Das wird ihnen aber nicht gelingen. Stattdessen wird es un­nötig teuer und langwierig, da wir die fraglichen Zeugen – d .h. auch den Bundeskanzler und den Bürgermeister – gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal werden vorladen müssen.“

Die CDU will den Untersuchungsauftrag des Ausschusses nun sogar erweitern und hat einen entsprechenden Antrag gestellt. Demnach soll der PUA auch die Cum-Ex-Geschäfte anderer Banken untersuchen – insbesondere der HSH Nordbank. Aber auch andere Praktiken, wie die sogenannten Cum-Cum-Geschäfte sollen nun untersucht werden.

Sind in der Finanzbehörde E-Mails zum Warburg-Komplex gelöscht worden?

„Immer neue Enthüllungen sowie die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft Köln bringen Licht ins Dunkel“, sagte Thering. „Die Schlinge um die politisch Verantwortlichen in der Cum-Ex-Steuergeldaffäre wie Scholz, Tschentscher und Kahrs zieht sich langsam zu. Es verdichten sich die Hinweise, dass die ‚Nachlässigkeit‘ der Finanzverwaltung unter der Verantwortung des damaligen Finanzsenators Peter Tschentscher nicht nur Cum-Ex-, sondern auch Cum-Cum-Geschäfte und andere missbräuchliche Aktientransaktionen umfasste.“ Die CDU-Fraktion beantragt daher die entsprechende Erweiterung des Unter­suchungsauftrags.

Spannung verspricht auch die Frage, ob in der Finanzbehörde E-Mails zum Warburg-Komplex gelöscht worden sind. Diesen Verdacht hegt die Staatsanwaltschaft. Sie hat kaum Mails führender Mitarbeiter finden können. Interessant ist dabei die Mail eines führenden und für Cum-Ex zuständigen Mitarbeiters der Behörde an Finanzsenator Andreas Dressel aus dem März 2021, die Staatsanwaltschaft und PUA vorliegt. Darin schreibt der Mitarbeiter an den Senator, dass niemand mit dem Gefühl aufstehen wolle, gleich gebe es bei ihm eine Hausdurchsuchung. Und weiter: Es sei doch auch klar, dass – wenn es etwas Belastendes gäbe – dieses spätestens nach den jüngsten Abendblatt-Berichten über mögliche Durchsuchungen „geschreddert worden wäre“.

Unterschiedliche Aufbewahrungsfristen von zwei bis 30 Jahren

Die offizielle Regelung zur Archivierung von dienstlichen Mails scheint eindeutig. „E-Mails, die zum normalen Geschäftsverkehr gehören, müssen in der Finanzverwaltung in jedem Fall aufbewahrt werden“, sagte der Rechtswissenschaftler Prof. Ulrich Karpen dem Abendblatt. Da sich Steuergesetze änderten, müsse rückwirkend nachvollziehbar sein, was zu welchem Zeitpunkt angewandt wurde. Die Dauer der Aufbewahrungspflicht sei eine Frage von Verarbeitungsinteresse und Wirtschaftlichkeit und in Paragraf 147 der Abgabenordnung für Steuersachen geregelt.

„Es gibt unterschiedliche Fristen, die von zwei bis zu längstens 30 Jahren gelten.“ Wer dagegen verstößt, mache sich nach Paragraf 274 Strafgesetzbuch der Urkundenunterdrückung schuldig. „Die Strafen reichen von Geldstrafen bis zu fünf Jahren Gefängnis“, so Karpen. Dabei komme es darauf an, wie wichtig die betreffenden Unterlagen seien. „In diesem Fall ist das Interesse sehr hoch, das musste Sender und Empfänger klar sein.“

Weder Aktenbestandteile noch E-Mails dürfen gelöscht werden.

„Für diese E-Mails, sofern sie dienstliche Belange betreffen, und davon darf man bei fast allen ausgehen, die in der Finanzbehörde ausgetauscht worden sind, gilt der Grundsatz der Vollständigkeit der Aktenführung“, sagt auch der Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate. „Das Bundesverfassungsgericht verlangt für Akten der Behörden das Prinzip der Aktenvollständigkeit. Weder Aktenbestandteile noch E-Mails dürfen gelöscht werden. Wer sich daran nicht hält, begeht eine strafbare Urkundenunterdrückung.“

Aus der Finanzbehörde heißt es auf Abendblatt-Anfrage, dass die Aktenordnung, „also die Definition der aktenführenden Stelle sowie das Ablegen von Dokumenten“ in der Geschäftsordnung geregelt ist. „Aktenrelevante E-Mails sind mit einem Aktenzeichen zu versehen und der Akte/dem Vorgang elektronisch hinzuzufügen und damit entsprechend archiviert“, so Sprecher Claas Ricker.

Das persönliche Postfach liege im eigenverantwortlichen Verfügungsbereich des Mitarbeitenden, betont Ricker. „Die Kapazitäten (Datenvolumen) solcher Postfächer sind begrenzt, sodass Beschäftigte eine entsprechende Aufforderung erhalten, ihre Postfächer aufzuräumen. Andernfalls wäre das Postfach für den Versand/Erhalt von E-Mails gesperrt.“

Cum-Ex-Affäre: Kahrs schweigt weiter zur Herkunft der 214.800 Euro

Unterdessen schweigt Johannes Kahrs – zumindest öffentlich – weiter zur Herkunft der 214.800 Euro in seinem privaten Schließfach. Rein rechtlich muss er auch nicht nachweisen, woher der Betrag stammt. Anders verhält es sich nach Angaben der Bundesanstalt für Finanzaufsicht (BaFin) bei Bargeldeinzahlungen: Einzahler, die kein Konto bei einer Bank haben (Gelegenheitskunden), müssen bei Einzahlungen über 2500 Euro immer die Herkunft des Bargelds nachweisen. Reguläre Kunden müssen das ab 10.000 Euro tun – und die Bank ist verpflichtet, das zu kontrollieren. Diese Vorgaben sollen der Geldwäsche entgegenwirken, also verhindern, dass Bargeld aus Straftaten in den legalen Geldkreislauf gelangt.

Bei der Vermietung eines Bankschließfachs ist das anders. „Die Vorgaben zum Herkunftsnachweis finden nur auf Bartransaktionen Anwendung.“ Denn: „Bei der Einlieferung von Bargeld in ein angemietetes Schließfach handelt es sich mangels Vermögensverschiebung nicht um eine Bartransaktion.“ In einem Schließfach gelagertes Bargeld werde ja auch nicht in den Geldkreislauf eingebracht.