Hamburg. Zumindest bei einer Sitzung hatte der heutige Bundeskanzler die Treffen mit dem Warburg-Chef doch nicht vergessen.
Erinnert er sich wirklich nicht mehr? Oder ist das nur vorgeschoben? Bevor Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an diesem Freitag ein zweites Mal vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) der Bürgerschaft zu den Cum-ex-Geschäften der Warburg-Bank aussagt, bringen ihn neue Enthüllungen in Bedrängnis.
Bei seiner ersten Vernehmung im Frühjahr 2021 sowie bei weiteren Anlässen hatte Scholz stets beteuert, dass er an die Inhalte von insgesamt drei persönlichen Treffen sowie ein Telefonat mit dem Warburg-Mitinhaber Christian Olearius in den Jahren 2016 und 2017 – damals war Scholz noch Bürgermeister in Hamburg – überhaupt keine Erinnerungen mehr habe. Wenn aus seinem Terminkalender sowie aus den Tagebüchern des Bankiers hervorgehe, dass man sich getroffen habe, werde es wohl so gewesen sein – aber er selbst könne sich halt nicht erinnern, so Scholz, der damit auch alle weiteren Nachfragen abgebügelt hatte.
Cum-Ex: Erinnert sich Scholz doch? Neue Enthüllungen
Wie der „Stern“ jetzt berichtet, hatte Scholz in einer vertraulichen Sitzung des Finanzausschusses des Bundestages im Juli 2020 hingegen sehr wohl noch Erinnerungen an mindestens eines der Treffen. Demnach habe der damalige Bundesfinanzminister den Abgeordneten berichtet, mit Olearius sei ein Gesprächstermin vereinbart worden und man habe über viele Dinge gesprochen. „Er habe sich lediglich die Sicht der Dinge von Christian Olearius angehört“, heißt es dem Bericht zufolge in dem bislang unter Verschluss gehaltenen Protokoll der Sitzung.
Nachdem kurz darauf bekannt wurde, dass es sogar drei und nicht nur ein Treffen gab, war bei einer weiteren Sitzung des Finanzausschusses im September 2020 die Erinnerung aber wieder verschwunden. Ausweislich dieses Protokolls, das dem Abendblatt vorliegt, berief sich Scholz dort mehrfach darauf, dass er sich nicht an die Treffen mit Olearius erinnern könne. Auch im Hamburger PUA blieb er später dabei: keine Erinnerung.
Cum-Ex: Oppositionspolitiker fühlen sich nun bestätigt
Oppositionspolitiker, die diese Form der Amnesie bereits scharf kritisiert hatten, fühlen sie sich nun bestätigt. „Wenn er Zeuge vor Gericht wäre, dann wäre seine Glaubwürdigkeit damit massiv erschüttert“, sagte Fabio De Masi (Linkspartei) dem Abendblatt. Er hatte als Bundestagsabgeordneter die Auftritte vom Scholz im Finanzausschuss mitverfolgt. Dennis Thering, Vorsitzender der CDU-Fraktion in der Bürgerschaft, sagte: „Dass sich ein detailverliebter Olaf Scholz nicht an ein Treffen erinnert, wo es um die Existenz einer der wichtigsten Banken am Standort Hamburg und unzählige Arbeitsplätze ging, glaubt ihm doch kein Mensch.“
Mit Hilfe von Cum-ex-Geschäften hatten sich Finanzinstitute Steuern erstatten lassen, die sie nie gezahlt hatten. Bundesweit ging der Schaden für den Fiskus in die Milliarden. Der PUA untersucht, warum die Finanzbehörden in Hamburg 2016 darauf verzichtet hatten, rund 47 Millionen Euro an Steuern von Warburg zurückzufordern und ob die Politik darauf Einfluss genommen hat. Sowohl Scholz also auch der damalige Finanzsenator und heutige Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) bestreiten das und verweisen darauf, dass das Geld im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen von der Bank erstattet worden sei.
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Cum-Ex: Verdächtige E-Mail von Scholz' Büroleiterin
Ebenfalls unangenehm für Scholz: Wie der NDR, „Stern“ und „Manager Magazin“ berichten, sind die E-Mails seiner Büroleiterin Jeanette Schwamberger durchsucht worden. Besonders eine Mail aus dem April 2021 komme den Ermittlern – bundesweit federführend ist die Staatsanwaltschaft Köln – verdächtig vor, heißt es: Nachdem der Hamburger Untersuchungsausschusses angefragt hatte, ob im Kalender von Scholz Termine mit den SPD-Politikern Johannes Kahrs, Alfons Pawelczyk und Peter Tschentscher verzeichnet seien, die im Zusammenhang mit der Warburg-Bank standen, soll Schwamberger Wolfgang Schmidt, den jetzigen Chef des Bundeskanzleramtes und damaligen Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, per Mail geschrieben haben, es sei „mit Olaf zu diskutieren“, wie man die Termine „einsortieren“ wolle.
Aus Sicht der Staatsanwaltschaft könnte das auf „Überlegungen zum Löschen von Daten“ hindeuten, so der „Stern“. Laut NDR wies eine Regierungssprecherin diesen Verdacht zurück: „Es hat keine ,Auswahl’ von Kalenderdaten gegeben.“