Hamburg. Die Chat-Nachricht einer Finanzbeamtin befeuert den Skandal um Privatbank MM Warburg aufs Neue – Ausschuss will nun Akteneinsicht.

Es ist nur eine Chat-Nachricht und doch wirft sie neue Fragen im Cum-Ex-Skandal um die Hamburger Privatbank MM Warburg auf – womöglich auch an hochrangige SPD-Politiker wie Hamburgs Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher und Bundeskanzler Olaf Scholz. Wie berichtet, sind nach Recherchen des WDR Ermittler aus Nordrhein-Westfalen auf eine brisante Spur gestoßen – den WhatsApp-Chat-Verlauf einer Hamburger Finanzbeamtin.

Laut der Recherchen habe Daniela P. am 17. November 2016, nur wenige Stunden nachdem sich die Finanzbehörden überraschend dazu entschieden hatten, auf die 47 Millionen Euro aus Cum-Ex-Geschäften zu verzichten, einer Vertrauten geschrieben: Ihr „teuflischer Plan“ sei aufgegangen. Die Nachfrage ihrer bei der Hamburger Finanzbehörde angestellten Freundin, ob man verjähren lasse, bejahte sie – „wenn nichts dazwischenkomme“.

Cum-Ex: Tschentschers Amt in „teuflischen Plan“ verstrickt

Der Chat-Verlauf lege nahe, „dass weitere Stellen der Hamburger Finanzverwaltung mitgewirkt haben könnten – oder zumindest davon wussten“, heißt es auf tagesschau.de. Ihr Plan, schrieb die Beamtin weiter, sei mit freundlicher Unterstützung von S I und zur großen Freude von 5 aufgegangen. Es folgt ein vor Lachen tränender Smiley. S I bezeichnet innerhalb der Hamburger Finanzverwaltung eine Leitungsfunktion. Die 5 wiederum dürfte für das ,Amt 5‘ der Finanzbehörde stehen, also die Steuerverwaltung, die direkt dem damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher unterstand.

„Man fragt sich, wieso in Hamburg nicht ermittelt wird, während in Köln derartige Dinge zutage gefördert werden“, sagte der renommierte Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate dem Abendblatt. Hinter den Nachrichten gebe es eine versteckte Agenda. „Der teuflische Plan bestand darin, alle guten Argumente, die in einem 29-seitigen Papier zusammengeführt waren, um die Rückforderung der ertrogenen Steuer zu rechtfertigen, plötzlich fallen zu lassen.“ Daniela P. sei zudem die Frau, „die noch sechs Wochen zuvor klar dafür plädiert hat, das Geld zurückzuholen. Das ist auch ein logischer Baustein meiner Strafanzeige“, so Strate.

Vorwurf: Beihilfe zur Steuerhinterziehung

Am 14. Februar hatte der Hamburger Rechtsanwalt vor dem Hintergrund des Cum-Ex-Skandals Strafanzeige gegen Bundeskanzler Olaf Scholz und Bürgermeister Peter Tschentscher erstattet – wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung sowie uneidlicher Falschaussage durch Scholz. Nur knapp einen Monat später antwortete ihm die Staatsanwaltschaft, dass sie von einem Ermittlungsverfahren absehe, denn „auch die neuerlichen Ausführungen des bekannten Geschehens“ hätten „keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat“ ergeben. Beihilfe komme nicht in Betracht, weil die eigentlichen Taten des Betrugs durch Cum-Ex-Deals der Bank bereits vollendet waren.

Strate ließ die Sache aber nicht auf sich beruhen, sondern erhob am 22. März Beschwerde gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft – und beantragte erneut, ein Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigten einzuleiten. Seitdem warte er auf eine Antwort, sagt der Rechtsanwalt. Auch auf eine Sachstandsanfrage vom 27. Juni habe er keine Reaktion erhalten.

„Abschluss der Prüfung steht noch nicht fest.“

Unterdessen hat der CDU-Abgeordnete Richard Seelmaecker eine Schriftliche Kleine Anfrage zum Stand der Angelegenheit an den Senat gerichtet. „Derartige Verhaltensweisen erhöhen das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat nicht gerade“, schreibt Seelmaecker. Der Senat antwortete nun, dass „eine abschließende Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft noch nicht ergangen“ sei und fügte hinzu: „Ein Zeitpunkt für den Abschluss der Prüfung steht noch nicht fest.“

Zudem räumt der Senat in der Antwort ein, dass auch die Sachstandsanfrage von Anwalt Strate noch nicht beantwortet worden sei. „Die zuständige Dezernentin der Staatsanwaltschaft hat eine Vorlage der bei der Staatsanwaltschaft eingegangenen Sachstandsanfrage bei der Generalstaatsanwaltschaft verfügt“, heißt es in der Antwort auf die CDU-Anfrage. „Das Schreiben des Rechtsanwalts wird dort zeitnah bearbeitet werden.“

Chat stellt weitere Untersuchungen in Aussicht

In Hamburg geht derzeit ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) der Frage nach, ob Warburg auf politischen Druck hin, etwa von Tschentscher oder Scholz, zunächst die 47-Millionen-Euro-Steuerrückzahlung erlassen worden sei. Der nun aufgetauchte Chat-Verlauf sorgte für neuen Zündstoff in dem Skandal. „Es ist erschütternd zu sehen, dass einige wenige Personen auf Leitungsebene den guten Ruf unserer Finanzverwaltung und der vielen Kolleginnen und Kollegen so massiv beschädigen“, sagte Götz Wiese, Sprecher der CDU-Fraktion im PUA.

„Dafür trägt die SPD, die Senat und Finanzbehörde in der fraglichen Zeit geführt hat, schon jetzt die politische Verantwortung.“ Wenn nun Chat-Nachrichten darauf hindeuteten, „dass bei Beschäftigten der Finanzverwaltung ein ,teuflischer Plan‘ geschmiedet wurde, könne dies nur der Beginn weiterer Untersuchungen sein“, betonte Wiese.

Verdacht gegen Tschentscher verhärtet sich

Der AfD-Abgeordnete im PUA, Alexander Wolf, übte ebenfalls scharfe Kritik: „Das Verschweigen und Verschleiern der Verantwortlichen im Senat bröckelt. Der Chat-Verlauf und die mutmaßlich gelöschten E-Mails erhärten den Verdacht, dass der Senat und der Erste Bürgermeister eng involviert waren.“

Milan Pein, Obmann der SPD-Fraktion sprach hingegen von einer beschlagnahmten, privaten Chat-Nachricht, die öffentlich gemacht worden sei, „deren Hintergründe und Umstände nicht bekannt sind und deshalb zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht bewertet werden können“. Nach eineinhalb Jahren Aufklärungsarbeit im PUA gebe es laut Pein einen klaren Konsens: „Alle Befragten haben sehr deutlich und unabhängig voneinander erklärt, dass es keine Einflussnahme durch die Politik auf Steuerentscheidungen gegeben hat.“

Tschentscher bleibt bei seiner Aussage

Der Linken-Obmann Norbert Hackbusch hatte bereits am Donnerstag darauf hingewiesen, dass der PUA den „vom WDR zitierten Chat-Verlauf“ nicht kenne. „Wir können daher auch noch nichts zu der naheliegenden Vermutung sagen, dass weitere Stellen der Hamburger Finanzverwaltung an dem Sachverhalt mitgewirkt haben könnten.“

Ein Sprecher der Senatskanzlei betonte am Freitag auf Abendblatt-Anfrage, dass der Bürgermeister im Untersuchungsausschuss „bereits mehrfach öffentlich deutlich gemacht hat, als ehemaliger Finanzsenator grundsätzlich Wert darauf gelegt zu haben, dass die Entscheidungen der Steuerverwaltung ausschließlich unter rechtlichen Gesichtspunkten getroffen werden“. Kenntnisse über Einzelheiten der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln habe er nicht.

Ein Amtshilfeersuchen zum aktuellen Ermittlungsstand sei bereits an die Staatsanwaltschaft Köln gestellt worden, sagte Farid Müller, Obmann der Grünen-Fraktion, dem Abendblatt. „Zudem sind die in den Chat-Nachrichten erwähnten Verantwortlichen aus der Finanzverwaltung für eine erneute Befragung vor dem Untersuchungsausschuss am 9. und 11. August vorgesehen“, so Müller weiter.

„In diesem Zusammenhang werden wir ,S1‘ (also die Leiterin des Finanzamts für Großunternehmen und Vorgesetzte von Frau P.) sowie ,5‘ (also die Verantwortliche aus dem Amt 5 der Finanzbehörde) auch mit den neuen Erkenntnissen konfrontieren. Diese Befragungen gilt es nun abzuwarten.“