Hamburg. Das Camp hinter dem Altonaer Volkspark füllt sich immer mehr: Was am Wochenende geplant ist und warum die Aktivisten hier sind.
Das Klimacamp Hamburg hinter dem Altonaer Volkspark: Eine Versammlung von vermummten, extremistischen Klimaaktivisten, die das Stadtgebiet mit ihren radikalen Aktionen lahmlegen wollen? Eher nicht: Beim Betreten der Grünflache an der Elly-See-Straße in Lurup werden Besuchende von einer entspannten Atmosphäre begrüßt.
Indie-Musik tönt aus den Musikboxen, Kaffeegeruch liegt in der Luft, die Sonne scheint. Alternativ aussehende Menschen holen sich den veganen Frühstücks-Porridge von der Soli-Küche, schlendern zu verschiedenen Workshops oder informieren sich bei Vorträgen über Klimagerechtigkeit.
Klimacamp: 6000 Teilnehmende am Wochenende in Hamburg erwartet
Junge Menschen, Familien mit Kindern, ältere Pärchen und Hunde: Die unterschiedlichsten Gruppen kommen im sogenannten System Change Camp zusammen. Seit vergangenem Dienstag treffen sich Klimaaktivisten aus ganz Deutschland, aber auch aus anderen Ländern Europas hier, um sich auszutauschen, zu vernetzen und für Klimagerechtigkeit zu demonstrieren.
Mittlerweile sind mehr als 1500 Teilnehmende vor Ort, am Wochenende werden laut Veranstalter bis zu 6000 erwartet. „Ich bin begeistert davon, was die verschiedenen Bündnisse hier alles auf die Beine gestellt haben“, sagt die 21 Jahre alte Sprecherin des Klimacamps, Toni Lux.
Schwerpunkte: Fossile Energien und Klimagerechtigkeit
Das System Change Camp wurde geplant und organisiert von über 40 politischen Gruppen, darunter Ende Gelände, Fridays For Future und der Interventionistischen Linken – letztere wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Finanziert wird das Camp über Spenden.
In der Woche vom 9. bis 15. August ist ein breites Programm an Workshops, Podiumsdiskussionen, Protestaktionen und Demos geplant. Neben massiver Kritik an fossilen Energien liegt der Fokus auch auf Klimagerechtigkeit und Neokolonialismus: Viele Aktivisten aus dem Globalen Süden sind vor Ort.
Ende Gelände: Protestaktionen in Hamburg geplant
Am Mittwoch hat eine große Demo mit rund 1500 Teilnehmenden stattgefunden, von den Landungsbrücken bis in die City. In den nächsten Tagen sind auch mehrere Protestaktionen, vor allem von der Organisation Ende-Gelände geplant: Angefangen hat es mit der Blockade des Düngemittelkonzerns „Yara“ am Donnerstagmorgen.
Etwa 50 Klimaaktivisten blockierten das Haupttor des Konzerns in Brunsbüttel. Die geplanten Protestaktionen von Ende Gelände richten sich gegen das Vorhaben der Bundesregierung, an der norddeutschen Küste zwölf Terminals für Flüssiggas zu bauen und bis 2043 zu betreiben. Das Unternehmen Yara liegt an einem der geplanten Terminalstandorte und verbraucht viel Gas, um Düngemittel herzustellen.
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Dietz: "Es braucht einen radikalen Wandel"
„Uns wird immer in den Mund gelegt, dass wir jemanden etwas verbieten wollen. Darum geht es nicht. Wir wollen gegen die fossile Infrastruktur kämpfen“ so Charly Dietz, Sprecherin von Ende Gelände. Um die Klimakrise in den Griff zu bekommen, brauche es einen "radikalen, gesellschaftlichen Wandel", so Dietz. „Großkonzernen muss der Gashahn zugedreht werden – die steigenden Energiepreise sind Ergebnis einer kapitalistischen Verteilungskrise."
Alles nur Utopie? Nein, so Dietz: „Wir glauben daran, dass unsere Gesellschaft sich wandeln kann.“ Ende Gelände fordert einen sofortigen Gasausstieg und das Ende fossiler Energien. Durch Aktionen des Zivilen Ungehorsams, wie sie auch in Hamburg geplant sind, wollen sie Aufmerksamkeit erregen.
Ziviler Ungehorsam: Zu extrem?
Auf die Frage, ob solch extreme Aktionen nicht auch dazu führen könnte, Menschen zu vergraulen und für das Klima-Thema zu verlieren, hat sie eine klare Antwort: "Um Druck auszuüben auf die Entscheidungstragenden reicht es nicht aus, brav zu demonstrieren – in dieser dramatischen Lage ist jedes Mittel, das kein Menschenleben gefährdet, legitim.“
Dietz: "Uns werden Steine in den Weg gelegt"
Unzufrieden ist Sprecherin von Ende Gelände mit der Hamburger Polizei: „Wie fordern die Beamten auf, sich deeskalierend zu verhalten“. Dass Vergleiche zum dem eskalierenden G20-Gipfel gezogen worden seien, findet sie äußerst problematisch. Im Vorfeld des Klimacamps hat es einen Konflikt zwischen den Veranstaltern und der Stadt gegeben: Das Camp sollte eigentlich im Hamburger Stadtpark stattfinden, wurde aber nach gerichtlicher Entscheidung hinter den Altonaer Volkspark verlegt.
Zudem sollte auch ein Verbot von Schlaf- und Versorgungszelten aufgestellt werden – womit das Camp nicht hätte stattfinden könne. Dieses Verbot hat das Verwaltungsgericht als nicht zulässig angesehen.„Ich verstehe nicht, warum uns solche Steine in den Weg gelegt werden. Wir sind enttäuscht darüber, dass das Camp nicht im Stadtpark stattfinden kann – unser Ziel war es, auch Hamburgerinnen und Hamburger anzubieten, an unseren Workshops und Vorträgen teilzunehmen", so Dietz.
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Nachhaltige Lebensweise im Camp
Das bunte Treiben im Camp scheint dadurch nicht getrübt zu sein: Die Teilnehmenden versuchen hier möglichst nachhaltig zu leben. Auf dem Zeltplatz stehen Solarpanels, die das Camp mit Strom versorgen. Am Eingang des Camps stehen Listen, in die man sich eintragen kann, um Dienstschichten zu übernehmen: Müll einsammeln, in der Küche aushelfen, Toiletten putzen. Ein Blick auf die gefüllten Listen zeigt: Es funktioniert.
Aus der Soli-Küche, die den einprägsamen Namen Knoblauchfahne trägt, wird für alle Teilnehmenden gekocht: Vegane Gerichte wie Currys oder Salate mit regionalen, frischen Produkten. Die Lebensmittel kämen zum größten Teil aus Spenden oder von Food-Sharing – an der Essensausgabe steht einen Spendenbox für alle, die einen Taler übrighaben.
„Im Kleinen leben wir hier genau das vor, für was wir einstehen: Eine solidarische Welt, in der alle mitgestalten und mithelfen können, ohne Hierarchien“, so Lux. Zudem gibt es auch ein Hygienekonzept, viele Teilnehmende tragen Maske. Kritik aus den eigenen Reihen gibt es auch: „Uns ist bewusst, dass hier im Camp überwiegend weiße, privilegierte Menschen teilnehmen – daran muss sich was ändern“, so Lux.
Luisa: Klimakrise vom "apokalyptischen Ausmaß"
An Aktionen des Zivilen Ungehorsams teilzunehmen, ist nicht für alle was im Klimacamp: Zum Beispiel für Lucie (18) und Luisa (19) aus Potsdam. Die Beiden sind am Dienstag mit einer Busgemeinschaft aus Berlin angereist. Im letzten Jahr hat Luisa noch sehr kritisch auf solche radikalen Protestaktionen wie von Ende Gelände geblickt.
“Dann habe ich realisiert, in welchem apokalyptischen Ausmaß wir uns mit der Klimakrise befinden – und gemerkt, dass friedliche Demos alleine einfach nicht ausreichen“, so Luisa. Die Beiden haben am Donnerstagvormittag an einem Aktionstraining teilgenommen, wo man lernt, wie man sich aus Sitzblockaden wegtragen lassen kann. „Ich persönlich kann mir noch nicht vorstellen, an solchen Aktionen teilzunehmen – aber vielleicht nächstes Jahr, nach mehreren Trainings.“
Klimaaktivisten: Angst vor der Zukunft
Die jungen Mädchen machen sich große Sorgen um ihre Zukunft – sie diskutieren darüber, ob sie angesichts der Klimakrise überhaupt einmal Kinder bekommen wollen. „Wie sieht die Welt aus, wenn ich 30 bin?“, fragt sich Luisa. „Hier im Camp zu sein, gibt mir Hoffnung. Mir persönlich hilft die Gemeinschaft, um mit meiner Trauer, meiner Angst und der Frustration über die aktuelle Lage umzugehen“. Die 19-Jährige ist beeindruckt von dem Bildungsangebot des Camps, von der ehrenamtlichen Organisation. „So kommt man mal raus aus der passiv-hilflosen Position, in der man sonst steckt.“