Hamburg. Prof. Dirk Pette war international renommierter Biochemiker. Er wies den Gutachtern für die NS-Geschichte seines Vaters Fehler nach.
Er wurde groß an der Hamburger Rothenbaumchaussee, verbrachte den dramatischen Teil seiner Kindheit im Zweiten Weltkrieg mit den Geschwistern und der Mutter in Garmisch-Partenkirchen, lebte in München und lehrte als Professor für Biochemie viele Jahre an der Universität Konstanz am Bodensee. Seine Forschung war international gefragt. Um Hamburg drehten sich viele seiner letzten Gedanken. Am 4. Juni ist Dirk Pette im Alter von 89 Jahren gestorben – für viele überraschend.
Denn Dirk Pette, der Sohn des legendären und wissenschaftlich immens erfolgreichen Hamburger Forscherpaares Edith und Heinrich Pette, setzte sich bis zuletzt ein für eine faktengerechte und geschichtstreue Darstellung zum Schaffen seiner Eltern. Das tat er mit derselben wissenschaftlichen Akribie, die der Leitstern seines Lebens war. Natürlich war er familiär befangen. Aber es war kein blinder Eifer.
Prof. Dirk Pette mit 89 Jahren gestorben
Dirk Pette wurde im deutschen Schicksalsjahr 1933 geboren und konnte sich in hohem Alter nach eigenen Angaben noch daran erinnern, wie die Nazis 1938 durchs jüdische Grindelviertel und Teile Harvestehudes zogen. Bei den Pettes ums Eck lag die „Tempel“ genannte Synagoge in der Oberstraße. Heinrich Pette war da bereits Hamburger Medizin-Professor, Experte für Neurologie und später Virologie. Seine Frau schickte er bei Kriegsbeginn mit den vier Kindern ins Ferienhaus nach Garmisch. Er hatte Angst vor feindlichen Angriffen. Die kamen mit Verlauf des Zweiten Weltkrieges extrem heftig über Hamburg.
Dirk Pette machte nach dem Krieg am Wilhelm-Gymnasium Abitur, studierte Medizin und war als Arzt approbiert, da war er gerade 25. Der Forscher-Sohn wollte mehr, begeisterte sich für Biochemie. Er schlug die akademische Laufbahn ein, wurde Professor und schließlich nach Konstanz berufen. Obwohl er dort Wurzeln schlug und auf der bezaubernden Insel Reichenau inmitten von Seewiesen lebte, bestand auch sein Leben weiter aus Lernen, Lehren und Forschen. Zwei Sonderforschungsbereiche der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) leitete er. Er hielt noch nach seiner Emeritierung eine Grundsatzvorlesung.
Dirk Pette heiratete eine Griechin, sie bekamen zwei Kinder. Seine Frau starb plötzlich vor einigen Jahren, was ihn schwer traf.
Vergangenheitsbewältigung und Kontroverse um Heinrich Pette
Dirk Pette erholte und entspannte sich beim Geigenspiel und Hausmusik mit Freunden. Vor seinem Haus stand ein mächtiger Nussbaum, auf den er stolz war. Der Baum strahlte wie er eine – heute würde man sagen: Resilienz aus. Eine Stärke aus Besonnenheit, eine Unerschütterlichkeit und quasi zeitgemäße Lässigkeit, ohne überheblich zu wirken. Und alles kommt von innen.
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So ging er die Vergangenheitsbewältigung um seinen Vater an, die er in Hamburg für gescheitert erklärte. Ja, sein Vater war ganz früh NSDAP-Mitglied. Aber, wie der Sohn sagte, aus Karrieregründen und angetrieben von der Gattin. Die habe sich, als Halbjüdin (das ist nicht eindeutig belegt) und Schwester eines ausgebürgerten und von den Nazis entrechteten Wissenschaftlers, um die neuen politischen Verhältnisse nach Hitlers Machtübernahme gesorgt. Heinrich Pette hatte keinen Sinn für Politik. Er war nicht an Kriegsverbrechen beteiligt wie andere Mediziner. Ein glühender Nazi war er ohnehin nicht.
Heinrich-Pette-Institut legt Namen ab
Doch in einigen Fällen hat er als Gutachter Zwangssterilisierungen befürwortet, in anderen nicht. Das lasteten ihm zwei Gutachten an, die dazu führten, dass das Heinrich-Pette-Institut den Namen im Jahr 2021 ablegte. Dirk Pette konnte den Gutachtern mehrere Fehler nachweisen. An der Institutsentscheidung hat das nichts geändert. Pette suchte mehrfach den Kontakt zu Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne). Zuletzt soll er ein Gespräch mit einer hochrangigen Behörden-Verantwortlichen geführt haben.
Ein weiterer, mit unbekannten Dokumenten runderneuerter Blick auf seinen Vater Heinrich und seine Mutter Edith Pette, die als Ärztin und Institutsgründerin maßgeblich am späteren Forschererfolg zu Polio und Multipler Sklerose beteiligt war, ist Dirk Pette nicht mehr vergönnt gewesen. In Düsseldorf arbeitet eine Nachwuchsforscherin gerade an einer Doktorarbeit über die Pettes.