Hamburg. Das Medizinhistorische Museum zeigt, was man aus früheren Seuchen lernen kann – und welche Verschwörungstheorien es schon immer gab.

Der Weg ist nicht weit von Donald Trump und Boris Johnson zu Prof. Marylyn Addo. Von Lüge und Fake News zu Wissenschaft und Forschung. Eng beieinander liegen hier auch die großen Menschheitsseuchen Pest und Cholera sowie die Spanische Grippe und das Coronavirus der aktuellen Pandemie. Und wer zwischen diesen Wänden einst lag, der konnte nur noch hoffen oder war bereits amtlich beglaubigt tot.

Der hohe, lichtdurchflutete Raum in einem der schönsten historischen Gebäude des Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) hat etwas Mythisches, Ergreifendes. Hier kauerten im Jahr 1918 Kranke in einem Notlazarett, die an der Spanischen Grippe litten. Eine Seuche, die lange totgeschwiegen wurde und zum Prototyp der modernen Pandemie avancierte. Und über Jahrzehnte war hier später der Sektionssaal der UKE-Pathologie.

Von den Toten lernen: Schlüssel im Kampf gegen jede Pandemie

Von den Toten lernen, wie der inzwischen beinahe ebenfalls schon legendäre Gerichtsmediziner Prof. Klaus Püschel und sein Nachfolger Prof. Benjamin Ondruschka betonen, das ist auch ein Schlüssel im Kampf gegen jede Pandemie. „Rückblicke in die Gegenwart“ heißt die Ausstellung, die hier auf faszinierende Weise zeigt, wie sich Geschichte wiederholt.

Was bei Künstlern ein Werk im Entstehen ist, nennt sich hier „unvollendet“ – denn Corona will noch nicht weichen. In unregelmäßigen Abständen kommen Exponate dazu. Mal die ersten Vials von Biontech, aus denen der Impfstoff für Mediziner gezogen wurde, mal ein weißer Kapuzenpullover, wie ihn alle Mitarbeiter des Impfzentrums in den Messehallen getragen haben. „Hier sind die historischen Bezüge“, sagt Institutsdirektor Prof. Philipp Osten vom Medizinhistorischen Museum. „Aber die Gegenwart ist noch gar nicht abgeschlossen.“

Pest, Cholera, Corona: Schau sorgt für Aha-Effekte

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Es wäre eine Ausstellung für ein Fachpublikum, für Detailverliebte, wenn wir nicht gerade in dieser Pandemie wären. Die sonnabends und sonntags geöffnete (13 bis 18 Uhr) und über die Frickestraße zugängliche Schau am Rande des UKE-Areals sorgt für verblüffende Aha-Effekte und holt die Besucher dort ab, wo sie sich pandemisch befinden. Handhygiene, Viren und ihre Mutanten; Inzidenzen, medizinische versus FFP-2-Masken, mRNA-Impfstoffe und Namen wie Marylyn Addo oder Christian Drosten (der früher in Hamburg am Bernhard-Nocht-Institut forschte) – all das gehört zur Alltagskommunikation einer viruswunden Gesellschaft. Addo ist in einer Videosequenz am Eingang zur Ausstellung zu sehen. Hier befindet sich der Vorraum zum Sektionssaal. In diesem tageslichtdurchfluteten Mini-Hörsaal besprachen die UKE-Koryphäen ihre Leichenschau.

Man wird gleich konfrontiert mit dem britischen Noch-Premier Johnson und dem amerikanischen Nicht-Mehr-Präsidenten Trump und ihren wirren Corona-Aussagen. Johnson behauptete anfangs, das Händeschütteln lasse er sich nicht verbieten, auch nicht mit Infizierten. Trump hatte das Malariamittel Hydroxychloroquin als Corona-Heilung angepriesen. Das verbindet die Ausstellung geschickt mit dem Mythos, der sich um Chinin rankt, das früher als (nutzloses) Mittel gegen Cholera und die Grippe empfohlen wurde.

Pandemien: Parallelen zwischen Geschichte und Gegenwart

Eine der wichtigsten Corona-Forscherinnen weltweit: Prof. Marylyn Addo vom UKE.
Eine der wichtigsten Corona-Forscherinnen weltweit: Prof. Marylyn Addo vom UKE. © Michael Rauhe

Gleichzeitig werden Parallelen offenkundig zwischen der Seuchenbekämpfung einst mit der körpereinschneidenden Gewinnung und Verabreichung von Impfstoff und heutigen Verfahren, zwischen Impfgegnern von anno dunnemals und Corona-Leugnern heute. Erstaunlich, wie Seuchen den immer gleichen Unsinn heraufbeschwören.

Die Ähnlichkeiten der Legenden sind frappierend. In Karikaturen ist zu sehen, wie man dereinst glaubte, dass sich Menschen durch die Pockenimpfung in eine Kuh verwandeln, wenn sie das Serum verabreicht bekommen. Und schon weit vor der Nazi-Zeit ziehen sich antisemitische Motive durch die Volkserzählungen großer Seuchen.

Professor Dr. Philipp Osten vom Medizinhistorischen Institut des UKE in der Pandemie-Ausstellung.
Professor Dr. Philipp Osten vom Medizinhistorischen Institut des UKE in der Pandemie-Ausstellung. © Roland Magunia

Medizinhistoriker Osten weist darauf hin, dass die Spanische Grippe von 1918 fast 1:1 ein Vorbild ist für den letzten Vor-Corona-Pandemie-Plan des Robert-Koch-Institutes aus dem Jahr 2017 und unsere Eindämmungsmaßnahmen heute. Was aktuell Maskenpflicht und „social distancing“ sind, entspricht den Isolierungsideen von damals.

Grüffelo-Erfinder will mit Kinderbuch das Virus erklären

In einer – gewollten – Analogie zum Ende der biblischen Sintflut hat der in Hamburg geborene, international renommierte Illustrator Axel Scheffler („Das Grüffelo“) sein Corona-Buch für Kinder mit dem Bild eines Regenbogens abgeschlossen. Nach dem Alten Testament erfand Gott den Regenbogen, um Noah (der mit der Arche) zu signalisieren, dass das Schlimmste vorüber sei. Eine solche Prüfung sollte die Menschheit nicht mehr auferlegt bekommen.

Das fakten- und wissenschaftsbasierte Kinderbuch illustriert auch den britischen Forscher Graham Medley, eine Art Christian Drosten von der Insel. Schefflers Werk ist Teil der UKE-Ausstellung. Der Illustrator bietet es zum kostenlosen Download auf seiner Internetseite an. Mit der Pandemie will der Grüffelo-Erfinder keinen Profit machen, sondern Kindern das Virus erklären. Professor Osten blättert das Buch bis zur letzten Seite auf. Er zeigt auf den Regenbogen, die Antwort auf eine sehnsuchtsbeladene Frage: „Wann ist es vorbei?“ Das wüsste Osten auch gerne.

Die Ausstellung

Pandemie. Rückblicke in die Gegenwart. UKE, Medizinhistorisches Museum Hamburg, Fritz-Schumacher-Haus, Gebäude N30.b, Eingang Frickestraße.

Am Wochenende von 13 bis 18 Uhr geöffnet.

Besucherinnen und Besucher, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, sind verpflichtet, eine FFP2-Maske zu tragen. Zwischen sechs und 14 Jahren ist eine medizinische Maske erforderlich.

www.uke.de/museum