Das Childhood-Haus am UKE soll missbrauchten Kindern einen geschützten Raum bieten – und hat eine prominente Schirmherrin.
Die vielen Plüschtiere, das Spielzeug, die Bilderbücher. Und alles in greifbarer Nähe. Die kleine Annika (Name geändert) schnappt sich einen Teddy und drückt ihn fest an sich. Er fühlt sich so weich an und kuschelig. Er gibt der Fünfjährigen zugleich Wärme und Halt. Sie hat zuletzt von beidem viel zu wenig bekommen. Statt dessen hat das Mädchen Ablehnung erlebt, Schläge und Schmerzen. Jemand hat ihr großes Leid zugefügt. Nun soll ihr geholfen werden.
Kinder wie Annika werden demnächst in Hamburg in einer speziellen Einrichtung umsorgt. Die Hansestadt bekommt ein Childhood-Haus für Kinder und Jugendliche, die Opfer oder Zeuge von Misshandlungen, sexualisierter Gewalt oder Vernachlässigung geworden sind. Das „Childhood-Haus Hamburg – Kompetenzzentrum für Kinderschutz am UKE“ vereint Elemente einer Klinik und eines Gerichts. Hier können die jungen Patienten in kindgerechter Umgebung und interdisziplinär unter einem Dach untersucht, beraten und befragt werden.
Childhood-Haus Hamburg war "Herzenswunsch"
Diese neue Institution bezeichnet der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, Prof. Benjamin Ondruschka, als „Herzenswunsch. Kinderschutz geht uns alle an. Ich finde es wichtig, mit unserer Arbeit etwas für die zu leisten, die sich am wenigsten gegen Gewalteinwirkungen wehren können“.
Das Childhood-Haus stehe für Objektivität und Gerechtigkeit. „Für alle Beteiligten ist es das oberste Ziel, eine Retraumatisierung der Kinder zu vermeiden und die Untersuchungsprozesse so kinderfreundlich und effizient wie möglich zu gestalten. Wir können nicht verhindern, was jungen Opfern an schlimmen Dingen passiert ist. Aber wir können helfen zu vermeiden, dass es wieder geschieht.“
Childhood-Haus bietet missbrauchten Kindern Schutz
Das Childhood-Haus Hamburg ist unter der Trägerschaft des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) in Zusammenarbeit mit der World Childhood Foundation sowie dem Hamburger Senat entstanden. Die Einrichtung wird am 6. Dezember 2021 an der Hoheluftchaussee 18 eingeweiht. Mehr als zwei Jahre lang war nach einer geeigneten Immobilie gesucht worden, nachdem Hamburg mit seinem Kinderkompetenzzentrum im Institut für Rechtsmedizin von der Childhood Foundation Deutschland als neuer Standort für ein „Kinderhaus“ favorisiert wurde.
Die Childhood-Stiftung wurde im Jahr 1999 von der schwedischen Königin Silvia gegründet und setzt sich für die Rechte von Kindern ein, die von Vernachlässigung, Gewalt und sexuellem Missbrauch betroffen oder bedroht sind. „Die belasteten Kinder erhalten dort einen geschützten Raum“, hatte Königin Silvia bei der Eröffnung eines anderen Childhood-Hauses in Deutschland gesagt.
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Schwedische Königin Silvia ist Schirmherrin
Der Mietvertrag für die Immobilie an der Hoheluftchaussee läuft vorerst für zehn Jahre. An der Umsetzung des Großprojekts beteiligt sind die Hamburger Sozialbehörde, Justizbehörde, Behörde für Inneres und Sport und die Wissenschaftsbehörde. „Unser klares Statement ist: Der Moment, an dem das erste Kind untersucht wird, ist der Augenblick, an dem sich zeigt, dass sich die Arbeit gelohnt hat“, betont Ondruschka. Die schwedische Königin Silvia als Schirmherrin wird zur Eröffnung in Hamburg wahrscheinlich eine Videobotschaft senden.
„Kinder sollen frei von Gewalt aufwachsen. In Fällen, in denen ihr Wohl gefährdet wird, müssen alle Beteiligten sehr aufmerksam hinsehen und den Schutz der Kinder allen Anforderungen voranstellen. In Hamburg arbeiten wir schon seit vielen Jahren sehr eng zusammen und bekräftigen die Absicht, diese Zusammenarbeit noch darüber hinaus auszubauen“, sagt Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD).
Missbrauch: Jährlich etwa 850 Verdachtsfälle in Hamburg
Und Dr. Astrid Helling-Bakki, Geschäftsführerin der World Childhood Foundation Deutschland und selbst Kinderschutzmedizinerin, betont: „Es besteht in Hamburg bereits ein sehr gutes Kinderschutznetzwerk. Wir freuen uns daher umso mehr, dass mit dem Childhood-Haus-Konzept nun noch ein weiterer Mehrwert für die Fachkräfte in der interdisziplinären Zusammenarbeit und Koordination im Alltag geschaffen werden kann.“ Bislang werden Kinder, bei denen der Verdacht auf Misshandlung oder Vernachlässigung besteht, im Kinderkompetenzzentrum der Rechtsmedizin am UKE untersucht. Es sind in Hamburg jährlich etwa 850 Fälle.
Im Childhood-Haus gibt es Untersuchungs- und Befragungsräume. Ärzte, Case-Manager, Psychologen, Jugendamt-Mitarbeiter, Polizisten, Richter arbeiten dort zusammen. Durch die Bündelung der unterschiedlichen Professionen an einem Ort soll erreicht werden, dass die jungen Opfer in kindgerechter Umgebung untersucht und befragt werden können. Zudem geht es darum, dass ein Kind — sollte es zu einem Ermittlungsverfahren kommen — möglichst nur eine einzige Aussage machen muss, die vor Gericht vollständig verwertet werden kann.
Hoheluftchaussee: Childhood-Haus hat großzügigen Spielbereich
Die Immobilie an der Hoheluftchaussee mit zehn Räumen und insgesamt 430 Quadratmeter Fläche liefere eine besondere Großzügigkeit, betont der Chef-Rechtsmediziner Ondruschka. Im Childhood-Haus gibt es zwei Untersuchungszimmer, ferner unter anderem einen Raum für die Psychologen sowie einen Konferenzraum. In einem weiteren Raum wird das Kind in einer wohnzimmerähnlichen Atmosphäre befragt, durch besonders geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Schutznetzwerkes. Die Vernehmung wird videographiert und in weitere Räume übertragen, in dem beispielsweise andere Prozessbeteiligte oder weiteres Fachpersonal die Befragung über Video verfolgen können.
Wichtig sei bei den Planungen ebenfalls gewesen, so Rechtsmediziner Ondruschka, für die Kinder einen großzügigen Spielbereich einzurichten. Hier wurden nautische Elemente ausgesucht. So hat ein Spieltisch beispielsweise die Form eines Leuchtturms, die Sitzgelegenheiten erinnern an Strandkörbe. Zentral in dem Raum ist ein Schiff mit beweglichem Lenkrad platziert. Ondruschka: „Da sollen die Kinder symbolisch das Heft des Handelns in die Hand nehmen können.“