Hamburg. Der Fotograf bereist seit vielen Jahren die Ukraine, gerade ist er von dort zurückgekehrt – mit Bildern, die viel erzählen.
Am Tag, als Russland in die Ukraine einmarschierte, arbeitete Robin Hinsch an einem Projekt im thailändischen Udon Thani. Trotzdem war für ihn klar, dass er möglichst schnell dorthin fahren muss. Anfang März packte er sein Equipment und ein paar Klamotten ein, besorgte sich eine offizielle Presseakkreditierung und plante seine Route mit seinem alten VW Caddy, in der Hoffnung, dass er dadurch einigermaßen selbstständig sein würde und, falls es brenzlig wird, schnell abhauen könne – „wobei jeder Plan vor Ort zunichte gemacht werden kann“, sagt der 35 Jahre alte Fotograf.
Während Agenturen und Zeitungen ihre Journalisten aus dem Land holten, reiste Robin Hinsch dorthin, allein, nicht im Auftrag eines Magazins, sondern auf eigene Faust. „Pass auf dich auf, mach deine Mutter nicht unglücklich“, schrieb die Mutter eines Freundes auf seinem Instagram-Account. Angst – dieses Gefühl reiste nicht mit auf dem Weg von Hamburg nach Lwiw im Westen der Ukraine. Robin Hinsch hat eine andere Triebfeder. Der Satz eines Freundes aus Kiew habe ihn beeindruckt. Der sagte, es gehe nicht darum, Kiew, die Ukraine oder Europa zu verteidigen, es gehe schlichtweg darum, sich selbst zu verteidigen. „Ich kann den Menschen in der Ukraine nicht helfen, aber ich kann ihnen durch meine Bilder das Gefühl geben, dass sie nicht allein sind“, so Hinsch.
2010, als der prorussische Präsident Wictor Janukowitsch an die Macht kam, reiste er zum ersten Mal in das Land, das sich „als Spielball der Weltmächte zu behaupten versuchte“. Schon damals hatte der Fotograf das Gefühl, es werde eine neue Grenze gezogen. In seinen Arbeiten wollte er herausfinden, was aus der Rhetorik des kalten Krieges entstanden ist. „Faszinierend, dass das Thema, das Europa jahrzehntelang bestimmt hatte, auf einmal wie von der Bildoberfläche verschwunden war.“ Er suchte Orte auf, an denen man den Clash aus sowjetischem Erbe und neuen Einflüssen spürte, sprach mit den Menschen, die sich in diesem großen Niemandsland zwischen Ost und West verlassen fühlten. Für seine Serie „Kowitsch“ wurde er 2016 für den Henry Nannen Preis nominiert.
Wie Hamburger Hinsch in der Ukraine aufgenommen wurde
Es ist nur eine von vielen Auszeichnungen, die der aus Niedersachsen stammende Hinsch im Laufe seiner noch jungen Karriere bekommen hat. Das Fotografie-Studium begann er in Karlsruhe und schloss es 2016 an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg ab – dort, wo er seit drei Semestern selbst sehr begeistert Fotografie unterrichtet. Hinschs Werk widmet sich sozialen Fragestellungen, die er mit eigenem Erleben verbindet.
So dokumentierte er in Nigeria die Ausbeutungsmechanismen hinter der Förderung fossiler Brennstoffe. Die daraus entstandene Serie „Wahala“ zeigte, dass es zwischen der Zerstörung von Umwelt und Gewalt gegen Menschen keinen prinzipiellen Unterschied gibt. Seine Arbeit ist mit dem International Photography Award, dem Canon Profifoto Förderpreis und dem Kunstförderpreis Hamburger Börse, dem Leica Oskar Barnack Prize (Shortlist) den Lucie Awards (Shortlist) und der Prix Pictet Nominierung gewürdigt worden. Ein Querschnitt seiner Arbeiten ist aktuell im Phoxxi im Rahmen der Ausstellung „gute aussichten“ zu sehen.
Bescheiden und unprätentiös berichtet Hinsch im Zoom-Interview von seiner gerade zurückliegenden dreiwöchigen Reise durch die Ukraine. Nicht mackerhaft und schon gar nicht heldenhaft möchte er rüberkommen, schließlich sei er freiwillig in dieses Kriegsgebiet gefahren, während die Betroffenen in ihren Häusern Tag für Tag um ihr Leben bangen müssten. Darunter auch viele Freunde und Kollegen. Bei ihnen hat Robin Hinsch unter anderem gewohnt; er spricht die Landessprache gerade so gut, dass er sich an den Checkpoints verständigen kann. Da die Regierung daran interessiert ist, dass möglichst viele Journalisten berichten, hatte er immer einen Ansprechpartner von staatlicher Seite, Übersetzer und andere Journalisten als Kontaktpersonen.
Hinsch war nicht „im großen Stahlgewitter“, wie er es nennt. Die Truppen vor Ort ließen die Fotografen meist kurz nach einem Angriff für einen begrenzten Zeitraum passieren, um Bilder zu machen. Doch durch ständigen Beschuss und permanenten Luftalarm sei die Bedrohung einfach immer da gewesen. „Die erste Rakete, die ich bewusst wahrgenommen habe, war in Lwiw auf das Soldatenlager. Obwohl ich 30 Kilometer davon entfernt war, konnte ich den Knall deutlich hören. Gerade, weil die Lage so undurchsichtig ist, man nie weiß, wann und wo die nächste Rakete einschlägt, wird man vorsichtig, guckt, dass man immer zwei Straßen zur Auswahl hat, um wegzukommen. Beobachtet Menschen im Umfeld: Werden die nervös, könnte es kritisch werden.“
Gefährlicher Einsatz auf dem Kiewer Maidan-Platz
Hinsch lässt sich in bedrohlichen Situationen von seinem Bauchgefühl leiten. „Wenn sich etwas komisch anfühlt, ein Gesprächspartner etwa angetrunken ist oder aggressiv wird, ziehe ich mich lieber zurück als ein Risiko einzugehen.“ Man sei die ganze Zeit hochsensibel, fokussiert. „Wie in einem Assessment Center: Beobachtet seine Situation, schätzt ab, trifft Entscheidungen. Zum Glück ist mir bisher nie etwas Ernstes passiert.“ Dabei hätte sein Einsatz im Jahr 2014 ganz anders ausgehen können. Der damalige Fotografiestudent begleitete die Demonstranten während der Revolution auf dem Kiewer Maidan-Platz mit der Kamera. Er wollte das Ende der Ära Janukowitsch hautnah miterleben, in seiner Wahrnehmung die letzte Schlacht dieses gebeutelten Landes, nicht ahnend, dass es der Beginn eines Bürgerkriegs sein würde. Hinsch geriet beinahe selbst in eine Schießerei, konnte sich aber in ein nahe gelegenes Hotel flüchten.
Dass die russische Armee wirklich die Ukraine überfällt, kam auch für den Fotografen überraschend: „Ich hatte gehofft, dass es nur ein Säbelrasseln ist. Auch bei der Annexion der Krim 2014 dachte man: Das kann Putin nicht machen.“ Die barbarische Brutalität, die man nun in Orten wie Butscha und Irpin sehe, zeige, dass ein Volk, das durch viele kriegerische Jahre zermürbt wurde, nun mit aller Gewalt gebrochen werden soll.
Hamburger fotografiert keine Leichen
Seine gerade zurückliegende Reise führte ihn von Lwiw über Mykolajiw und Odessa im Süden bis nach Kiew. Ins östlich gelegene Charkiw sei er nicht gelangt, zu kaputt seien die Straßen gewesen. Robin Hinsch hat Verletzte und Getötete gesehen. Er ist überzeugt davon, dass es Bilder wie aus Butscha als Beweise und Zeugnisse geben muss. Er selbst hat sich dagegen entschieden, die Leichen zu fotografieren. Stattdessen fragte er sich: Wie kann ich Bilder schaffen, die Bestand haben werden? „Meine Arbeit zielt nicht auf die Veröffentlichung einer großen Story ab, sondern darauf, in einer Ausstellung gezeigt zu werden. Ich bin Minimalist, ich versuche meine Motive so weit herunter zu dampfen, dass man sie gerade noch versteht. Die Stimmung ist entscheidend.“
In Kiew fand Robin Hinsch seine Motive. Die Stadt, die mit westlichen Metropolen vergleichbar ist, in der sich normalerweise der Verkehr staut, Menschen sich auf den Boulevards, in Geschäften und Cafés tummeln, war „komplett leer gefegt, eine Geisterstadt. Dazu kam die brachiale Zerstörung.“ In Odessa wollte er die Ruhe vor dem befürchteten Sturm einfangen. „Die Geschäfte waren mittags für zwei Stunden geöffnet; von 19 Uhr bis sieben Uhr morgens gab es eine Ausgangssperre. Wenn man am späten Nachmittag durch die Stadt ging, traf man absolut niemanden. Zu hören war nur dieses fortwährende Grummeln des Kriegsgeschehens in der Ferne. Morgens verbarrikadierten die Menschen ihre Häuser oder verließen die Stadt. Es war gespenstisch.“ Es ist diese Verlorenheit, die sich durch viele seiner bisherigen Ukraine-Bilder zieht. Eigentlich sollten diese Fotografien demnächst in ein Buch münden; doch ist dieses Projekt erst einmal auf Eis gelegt. Ausgang der Geschichte: ungewiss.
„gute aussichten 2020/2021“ bis 1.5. Phoxxi – Haus der Photographie temporär, Deichtorstraße 1-2, dazu Künstlergespräch mit Robin Hinsch und Ingo Taubhorn am 20.4., 19.00. „Robin Hinsch – Kowitsch 2010-2022“, ab 24.5. im Rahmen der Triennale der Photographie, Galerie Melike Bilir, Admiralitätsstraße 71. www.robinhinsch.com, www.deichtorhallen.de, www.melikebilir.com