Hamburg. Pflegekräfte berichten von katastrophalen Zuständen aufgrund von Personalmangel. Aktion vor dem UKE-Haupteingang.

Nach mehrwöchigem „Dienst nach Vorschrift“ gehen die Pflegekräfte des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) erneut mit einer Aktion an die Öffentlichkeit. Am Freitag ab 14.30 Uhr wollen sie mit dem Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus und Ver.di vor dem Haupteingang protestieren. Pflegerinnen und Pfleger werden über die Situation auf den Stationen berichten.

In dem Zusammenhang wurde dem Abendblatt ein Fall bekannt, der sich am Wochenende des 8./9. Januar in der Notaufnahme des UKE ereignete. Ein Zeuge sah und hörte, wie eine Krankenschwester gemeinsam mit einer Kollegin eine Überlastungsanzeige schrieb. „Nicht alle monitorpflichtigen Patienten konnten überwacht werden“, hätten die Frauen geschrieben. Der Zeuge berichtet weiter, dass zum Beginn der Spätschicht um 14 Uhr nicht ausreichend Pflegekräfte für die Zahl der Patienten anwesend gewesen seien. Drei Mitarbeiter konnten aus ihrer Freizeit zum Arbeiten überredet werden, habe eine Pflegekraft gesagt.

UKE-Notaufnahme: Pflegekräfte überlastet

Patienten lagen in Betten auf den Gängen. Sie und Neuankömmlinge konnten immer mithören, welche Patienten mit welchen Namen und welchen Erkrankungen oder Auffälligkeiten („gewalttätig“, „2,2 Promille im Blut“) in die Notaufnahme gekommen waren oder gebracht wurden.

Der Zeuge sagte, die Privatsphäre der Patienten in der Notaufnahme und der Datenschutz seien bedroht gewesen. Er wundere sich, wie die Pflegekräfte im UKE angesichts der Situation überhaupt noch freundlich bleiben konnten. Das UKE wollte einen solchen Fall gestern nicht bestätigen.

Über rund zwei Monate haben sich UKE-Mitarbeiter geweigert, aus der Freizeit heraus zum Dienst zu gehen, wenn sie kontaktiert werden. Auch Dienste kurzfristig wegen Personalmangels zu verschieben, das wollten sie nicht. Das Hamburger Bündnis für mehr Personal erklärt: Dadurch mussten Betten im UKE gesperrt werden. „Das konnte die Lage aber nicht entschärfen.“

"Personaluntergrenzen im Monatsdurchschnitt eingehalten"

Das UKE teilte mit, es hätten keine Betten gesperrt werden müssen. „Wir befinden uns seit längerer Zeit mit allen Beteiligten weiterhin in intensiven Gesprächen. Auch zum Thema Entlastung haben bereits Gespräche stattgefunden.“ Mitarbeiter-Zufriedenheit und die Versorgung der Patientinnen und Patienten stünden im Vordergrund. Die Belegung werde situativ angepasst in einer täglichen Abstimmung von Ärzten und Pflegekräften. Die Belastung in der Intensivpflege vor allem durch Corona-Patienten habe dadurch reduziert werden können. Das UKE schreibt, die Personaluntergrenzen würden in der Intensivpflege im Monatsdurchschnitt eingehalten.

Das ist ein heikler Punkt. Diese Grenzen zeigen auf, wie viele Pflegekräfte mindestens auf einer Station anwesend sein müssen. Diese Regeln waren in der Corona-Pandemie teilweise ausgesetzt worden. Denn es gab zu viele Covid-Patienten. Striktes Festhalten an der Verordnung hätte möglicherweise zum Kollaps einiger Krankenhäuser geführt.

Tariflicher Ausgleich für Überlastung?

Das Bündnis für mehr Personal entgegnet, dass die Personaluntergrenze eine tatsächliche Gefährdung von Patienten ja nicht ausschließe. Und: Selbst wenn der Monatsdurchschnitt erreicht werde, so könne es an einzelnen Tagen einen Betreuungsschlüssel geben, bei dem eine Pflegekraft erheblich mehr Patienten zu versorgen hat als erlaubt. „Viele Schichten sind dann einfach schlechter besetzt“, sagte Nina Geier vom Bündnis. Für solche Phasen fordern sie und ihre Mitstreiter sowie die Gewerkschaften „Belastungspunkte“, die tariflich festgelegt werden und sich zu freien Tagen summieren können. Unter anderem in Berlin haben Pflegekräfte das gegenüber Arbeitgebern durchgesetzt.

Vor einigen Monaten hatten Pflegekräfte an die Leiter der Notaufnahme in einem Brief, der dem Abendblatt vorliegt, eine katastrophale Situation beschrieben. So sei immer wieder die Patientensicherheit gefährdet. „Verbotswidrig“ würden Patienten für zwölf oder mehr Stunden auf dem Flur „geparkt“. Das versperre Flucht- und Rettungswege. Privatsphäre und Datenschutz seien dauerhaft gefährdet. Jetzt heißt es aus dem Kreis der Pflegekräfte: „Bis heute müssen in fast jeder Schicht Kollegen auf fachfremden Stationen aushelfen.“ Der „Dienst nach Vorschrift“ habe eklatante Mängel offengelegt.

Abwanderung aus dem Pflegeberuf

Wie die jüngste Auswertung der Krankenkasse Barmer für 2020 ergeben hat, sind Pflegekräfte besonders oft aufgrund körperlicher oder psychischer Erkrankungen krankgeschrieben. Es gibt eine regelrechte Abwanderung aus dem Beruf oder eine Flucht in die Zeitarbeit. Die Zeitarbeit müssen die Krankenhäuser jedoch teuer einkaufen.

Das Uni-Klinikum nimmt die Situation in der Pflege offenbar ernst und teilt dem Abendblatt mit: „Die Fachkräftesicherung hat für das UKE seit vielen Jahren eine hohe strategische Bedeutung. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, haben wir Programme und Maßnahmen in den Feldern Qualifizierung und Personalentwicklung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie im betrieblichen Gesundheitsmanagement eta­bliert und entwickeln diese kontinuierlich weiter.“

Die Gewerkschaft Ver.di hat einen sogenannten „Belastungs-Check“ unter 400 Pflegekräften im UKE durchgeführt. Danach erlebten vier von fünf eine „ständige Überlastung“ an ihrem Arbeitsplatz. Drei von vier sahen ihre oder die Gesundheit der Patienten gefährdet.