Hamburg. Nach Protesten gegen die Vollsperrung des Wellingsbüttler Wegs soll die Verkehrsführung neu geprüft werden. Was Anwohner befürchten.
Die Stimmung war vergleichsweise ruhig in der Aula der Hamburger Albert-Schweitzer-Schule am Schluchtweg (Klein Borstel). Die 300 protestierenden Anwohner, Anlieger und Gewerbetreibenden warteten selbst die technisch bedingte 30-minütige Verzögerung des Beginns ihrer Info-Veranstaltung am Montagabend gelassen ab. Der Live-Stream fiel schließlich aus. Die bohrenden Fragen zur geplanten fünfjährigen Vollsperrung ihrer Hauptverkehrsader verloren deshalb nicht an Dringlichkeit und ergaben, dass wesentliche Alternativen zur ohnehin lückenhaften Verkehrsplanung gar nicht geprüft worden sind.
Das musste der für die Bauleitung zuständige Vertreter von Hamburg Wasser, Roland Stutzki, letztlich einräumen. Der Senat habe deshalb die Veröffentlichung der bereits fertigen Ausschreibung zur Sanierung von gut vier Kilometern Wellingsbüttler Weg und Wellingsbütteler Landstraße, undichtem Mischwassersiel und nahezu sämtlicher Leitungen angehalten, sagte er.
Straße 5 Jahre gesperrt – Verkehrskonzept wird neu geprüft
Das Verkehrskonzept, für das bisher mindestens vier Monate investiert worden waren, soll jetzt in zehn Tagen vom Kopf auf die Füße gestellt werden – also neu geprüft werden. Die Bauarbeiten könnten dennoch im Frühjahr starten.
Für die Betroffenen ist die Vollsperrung ein Unding. Denn sie isoliert die „Dorfkerne“ von Wellingsbüttel und Klein Borstel sowie die Gewerbetreibenden an der zentralen Verbindungsachse zwischen Alstertal und Ohlsdorf/Fuhlsbüttel.
Streit um Vollsperrung in Wellingsbüttel: Verkehrsbehörde nicht vertreten
Nach Klein Borstel eingeladen hatte die Bürgerinitiative „5-Jahre-Vollsperrung-nein-danke“. Die Stadt schickte neben Stutzki vom letztlich nicht entscheidungsbefugten Baustellenkoordinierer Hamburg Wasser auch eine Verkehrsexpertin und den Staatsrat der Umweltbehörde, Wolfgang Michael Pollmann. Da es ums Siel geht, ist auch er zuständig. Der Stuhl der Verkehrsbehörde blieb leer.
Unklar ist, wie sich die Planer den Abfluss des Verkehrs in Richtung Stadt vorstellen und wie die Lieferverkehre zu organisieren sind. Als Umleitungsstrecken sind die gerade verengte Alte Landstraße und die Saseler/Bramfelder Chaussee vorgesehen sowie der Eckerkamp, eine schmale Wohnstraße ohne Mittelstreifen, die regelmäßig zugeparkt und ein von Kindern viel frequentierter Schulweg ist.
Pendler aus dem Quartier herauszuhalten, verursacht Probleme
Als „Idee“ stellten Pollmann und die Verkehrsexpertin vor, die Pendler aus dem Quartier herauszuhalten: Wer aus Sasel oder den Walddörfern kommt, soll durch Abbiegeverbote daran gehindert werden, die lieb gewonnenen alten Wege in die Stadt zu nutzen. Das aber triebe den Teufel mit dem Belzebub aus, weil die Nahversorgungszentren 30 Prozent ihres Umsatzes mit Leuten machen, die auf dem Weg von oder zur Arbeit einkaufen.
Außerdem verschärft es die Probleme mit der Anlieferung, da schwere Lkw lange Umwege und Fahrten durch die Wohnstraßen in Kauf nehmen müssten, die alle in etwa die Breite des Eckerkamps aufweisen.
Anwohnerin empört: „Man sperrt uns ein“
„Es steht zu befürchten, dass die heutigen Ortskerne mit ihren Geschäften nach fünf Jahren Isolation nicht mehr da sein werden“, sagte Initiativen-Sprecher Guido von Scheffer. „Man sperrt uns ein“, konstatierte eine Anwohnerin. Pollmann und Stutzki konnten dem wenig entgegenhalten. Letzterer gab zu, dass die Planung mehr auf die Bedürfnisse der Anwohner abstelle und die Gewerbetreibenden weniger berücksichtigt habe.
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Im Verlauf der bis zum letzten Schulgong gegen 22 Uhr andauernden Fragestunde stellte sich heraus, dass Fragen des ruhenden Verkehrs gar nicht geprüft wurden. Wo die Laternenparker bleiben sollen, wenn aus Wohn- Durchgangsstraßen werden, wussten die Planer nicht zu sagen.
Einbahnstraßenregelung wurde nicht im Detail geprüft
Verkehrszählungen im Eckerkamp gab es offenbar auch nicht, jedenfalls konnten Stutzki und seine Expertin auf Nachfrage keine anführen. Die Einrichtung einer wechselnden Einbahnstraßenregelung an der gut vier Kilometer langen Baustelle, von nahezu allen Betroffenen als große Erleichterung eingeschätzt, ist laut Stutzki in einem sehr frühen Stadium verworfen und nach seinen Aussagen im Detail nicht geprüft worden.
Unter anderem, weil dafür alte Bäume – zumeist die aufgrund der Klimaveränderung laut Umweltbehörde todgeweihten Kastanien – fallen würden, wenn die polizeilich und arbeitsschutzrechtlich gewünschten Abstände und Straßenbreiten eingehalten werden. Aber für die Neuplanung der Radwege auf Wellingsbütteler Landstraße und Wellingsbüttler Weg sollen ohnehin knapp 30 Bäume fallen. Und viele Betroffene fragen sich, ob die Politik statt der Bäume lieber die Nahversorgungszentren in den Ortskernen sterben lassen will.
Friedhof Ohlsdorf – werden Schranken für Anwohner geöffnet?
Auch die Öffnung des Ohlsdorfer Friedhofs wurde schon im Vorwege verworfen. Jetzt wird laut Stutzki darüber nachgedacht, die Schranken für Anwohner zu öffnen, die eine Chipkarte an einen Sensor halten. Eine Entscheidung stehe noch aus. Außen vor blieben dann aber die Anlieger, die bloß zur Arbeit ins Quartier kommen oder Kinder in die Schulen und Kitas bringen.
Eine weitergehende Lösung, den kompletten Fortfall der Schranken während der Bauzeit, haben die Planer nicht erwogen. Dem stehe die Totenruhe entgegen, hieß es vonseiten Pollmanns. Betroffene fragen, ob die Toten denn den Lebenden vorzuziehen seien oder ob nicht, wie in der Frage der Bäume, angesichts der prekären Lage auch über Tabus gesprochen werden müsste.
Weitere Baustellen sorgen für Umwege und neue Engpässe
Gesprochen werden müsste auch über weitere Baustellen in der Umgebung: An der Bramfelder Chaussee, von den Planern als Entlastungsachse für die Alstertaler vorgesehen, soll ab 2022 der Bahnhof für die U5 entstehen, was den Verkehr in die Stadt behindern wird. Die Ulzburger Straße wird saniert, ebenso der Farmsener Weg.
Beides produziert Umwege und neue Engpässe. Wohnungsbaumaßnahmen, die Schwerlastverkehr evozieren, hatten die Planer bislang mangels Zuständigkeit nicht auf dem Zettel. „Das ist ja Hochbau“, sagte Stutzki, als er auf den anstehenden Rückbau des Flüchtlingsheims in Klein Borstel angesprochen wurde. Auch sei ihm vonseiten der Behörden zugesichert worden, dass die Umgebung seiner Baustelle weitgehend baustellenfrei bleibe.
Info-Veranstaltung im Januar – dieses Mal mit Verkehrsbehörde
Am Ende tat Stutzki, was er schon zu Beginn der Veranstaltung angekündigt hatte. Er nahm alles mit. Klar ist sämtlichen Beteiligten, dass das Mischwassersiel mit einem Rohrdurchmesser von 1,40 Meter erneuert werden muss. Es rieche bereits (von Scheffer) und könne „jederzeit zusammenbrechen“ (Stutzki).
Wenn tatsächlich in zehn Tagen eine überarbeitete und auch vorzeigbare Verkehrsplanung entstanden sein sollte, wird sie nach interner Abstimmung auch mit der Verkehrsbehörde Mitte bis Ende Januar den Bürgern vorgestellt werden. Dann aber, so forderten die Alstertaler, unter tätiger Mithilfe eines Staatsrats aus der Verkehrsbehörde. „Das sollte wohl möglich sein“, sagte Stutzki. „Und wir werden dann einladen“, ergänzte er und kommentierte damit bewusst die arg verspätete Einbeziehung und Information der Betroffenen.