Hamburg. Während der Sperrung sind die Läden an den Bahnhöfen Wellingsbüttel und Kornweg kaum noch erreichbar – das Aus für die Händler?
Es kommt über sie wie eine Naturkatastrophe. Den heiteren Himmel gut laufender Geschäfte verdunkeln wenige Federstriche von Politik und Verwaltung zu einem Abgrund für Anlieger. Straßenbauarbeiten. Für fünf Jahre. Mit einer Vollsperrung der Straße vor der eigenen Haustür. Die Einzelhändler und Gewerbetreibenden im Umfeld von Wellingsbütteler Landstraße und Wellingsbütteler Weg müssen um ihre Existenzen fürchten. Oder umziehen, wenn sie es denn können.
Vom Frühjahr 2022 an können sie fünf Jahre lang praktisch nicht angefahren werden – oder nur eingeschränkt oder mit vorheriger Anmeldung bei der Bauleitung auf ständig wechselnden Routen. Erst im Sommer 2027 sollen die Arbeiten an Straße, Siel und Versorgungsleitungen fertig sein.
Straße 5 Jahre gesperrt: Einzelhändler fürchten um Existenz
„Wir haben den Verkehrssenator Anjes Tjarks angeschrieben und darum gebeten, wenigstens eine wechselnde Einbahnstraßenregelung einzurichten“, sagt Angela Olffermann von der Firma Kohn, die Kärcher-Reinigungstechnik vertreibt und weltweit verschickt. Täglich rollen schwere Lkw auf ihren Hof. „Es sieht nicht so aus, als ob man uns da entgegenkommen wird.“
Am 30. August ging der Brief an Tjarks raus, am 8. September antwortete das Büro des Grünen-Politikers. Man könne den Eingang des Schreibens bestätigen, eine „umfangreiche Stellungnahme“ sei „in Vorbereitung“. Danach war Schweigen. Am 29. September gab die Behörde ein Infoblatt zur Verkehrsführung heraus. Ohne Einbahnstraßenregelung.
Geschäfte brauchen endlich Planungssicherheit
Olffermann führt die Firma Kohn in dritter Generation. Ihr Opa begann mit einem Kohlenhandel. Das Grundstück zwischen den Abzweigen Borstels Ende und Bantchowstraße genau in der Mitte der kilometerlangen Straßensperrung von der Kreuzung Rolfinckstraße an bis zum Bahnhof Klein Borstel (Ecke Fuhlsbüttler Straße) ist im Familienbesitz. Sie ist Mieterin ihres Vaters und damit Teil seiner Altersversorgung.
Die Firma Kärcher, in ihrem Segment Weltmarktführer und eines der immer wieder als wichtig bezeichneten mittelständischen Unternehmen, erklärte dem Senator klipp und klar, dass es nach derzeitiger Lage der Dinge besser wäre, den Standort aufzugeben. Es liefen die Planungen für die Warenbestellungen 2022, und die Firma Kohn brauche deshalb Klarheit, um nicht auf Beständen sitzen zu bleiben. Am Wellingsbütteler Weg liegen Waren im Wert von durchschnittlich 180.000 Euro.
Letzter Ausweg: Umzug
„Natürlich überlegen wir umzuziehen“, sagt Olffermann. „Ich strecke schon die Fühler aus. Aber wir ernten eher Achselzucken. Mein Vater würde so gern das 80-jährige Bestehen der Firma im nächsten Jahr hier erleben. Derzeit sieht es nicht danach aus. Wir sind wohl bloß Einzelschicksale.“
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Davon gibt es allerdings ziemlich viele in Wellingsbüttel. Neben dem Gewerbehof Kohn mit dem Elektriker, der Physio-Praxis, dem Weinhandel und dem Gebäude-Dienstleisterbüro ist das Nahversorgungszentrum am Bahnhof Kornweg mit rund 20 Geschäften verkehrlich nahezu abgeschnitten, das Ladenzentrum am Bahnhof Wellingsbüttel mit noch einmal gut 25 Geschäften einer zentralen Zufahrt beraubt.
Zusätzlicher Verkehr und Umsatzeinbußen
Wellingsbütteler Weg und Landstraße sind für Sasel, Wellingsbüttel und Teile der Walddörfer zentrale Zubringer für die Fuhlsbüttler Straße und den Maienweg stadteinwärts. 2017 zählte die Verkehrsbehörde 21.000 Autos täglich, jetzt geht sie von 10.000 zusätzlichen Autos aus, weil sie den Ohlsdorfer Friedhof für Durchgangsverkehr gesperrt hat.
Der große Rewe-Markt an der Wochenmarktfläche in Wellingsbüttel rechnet mit 35 Prozent Umsatzeinbußen. Die Familie von Scheffer hat den Markt gerade erst voll übernommen. Sie bezieht ihre Prognosen aus Vergleichsdaten anderer Märkte des Lebensmittlers.
Bis zu 15 Kilometer Umweg kommt auf Anwohner zu
Am Kornweg sind die Geschäftsleute in heller Aufregung. „Im Frühjahr sollen die Straßensperrungen kommen, und wir wissen z. B. bis heute nicht, wie genau die Lieferverkehre geführt werden und wie die Lkw durch die engen und voll geparkten Anwohnerstraßen finden sollen“, sagt Britta Maschek. Sie führt den Buchladen „Tolle Geschichten“ am Tornberg und ist Vorsitzende der Interessengemeinschaft der Geschäftsleute am Kornweg. „Es müsste dann ja auch ein Parkverbot für die kleinen Straßen geben, damit der Verkehr wenigstens durchkommt“, sagt Maschek. „Was dann die Frage aufwirft, wo die Autos der Anwohner bleiben sollen.“
In der Initiative „Sanierungswelle“ haben sich etwa 50 Anwohner zusammengetan, denen ebenfalls weitgehend unklar ist, wie sie ihre Grundstücke erreichen sollen. Mit der Sperrung von Wellingsbütteler Weg/Landstraße werden Umwege von bis zu 15 Kilometern entstehen, sagt Maschek. Als Ausweichrouten in Richtung Innenstadt müssen Alte Landstraße und Bramfelder Chaussee angesteuert werden.
Anlieger fordern Lösungen – und haben Vorschläge
„Wir möchten Klarheit über die Details der Routen, fordern eine kürzere Bauzeit und die Öffnung des Ohlsdorfer Friedhofs für Durchgangsverkehr während der Bauzeit“, sagt Maschek. „Zumindest für Anlieger könnten Chipkarten ausgegeben werden, mit denen die erst vor Kurzen installierten Schranken zu öffnen sind.“
Laut Stadt ist die genaue Führung der Umleitungen „in der zweiten Verschickung“, also behördenintern nicht final abgestimmt. Ob der Friedhof geöffnet wird, ist unklar. Die erste Anfrage wurde abgelehnt, die zweite läuft.