Hamburg. Kristina Sassenscheidt vom Denkmalverein hat ein Herz für Architektur, die manchen im Wege ist. Sie kämpft für Hamburgs Baukultur.
Alte Häuser, rostige Brücken oder baufällige Industriekultur haben in Hamburg oft mit einem jungen Gesicht zu tun: Wenn in der Stadt die Abrissbagger in Bewegung gesetzt werden, stellt sich Kristina Sassenscheidt ihnen oft entgegen: Die Geschäftsführerin des Denkmalvereins hat ein Auge und ein Herz für Architektur, die manchen nur im Wege ist – sie wirbt für einen zweiten Blick auf Denkmäler und solche Bauten, die es noch werden sollen.
Damit fühlt sie den Puls des Zeitgeists, der zunehmend kritisch auf Veränderungen im Stadtbild reagiert und darauf, dass Gebäude zu Wegwerfprodukten degradiert werden. Seit 1982 ist der Denkmalverein in Hamburg aktiv – hat aber längst aus der Nische herausgefunden und erreicht ein großes Publikum.
„Denkmalschutz ist ein Thema, das verbindet"
„Das Interesse zieht sich längst durch alle politischen Milieus und gesellschaftlichen Schichten“, sagt Sassenscheidt im Abendblatt-Podcast „Was wird aus Hamburg?“ „Denkmalschutz ist ein Thema, das verbindet – er macht vor keiner Partei halt und beschäftigt Linke und Konservative zugleich, weil es im besten Sinne wertkonservativ ist.“ Einerseits wurzelt er in konservativem Denken, andererseits geht er sehr stark auf das alternative Spektrum zurück.
So waren es in den Siebzigerjahren vor allem junge Menschen, Studenten und Hausbesetzer, die ganze Gründerzeitviertel vor der Abrissbirne und dem Stadtumbau bewahrten: Sie setzten sich zur Wehr gegen heute bizarr anmutende Großprojekte wie das Alsterzentrum oder die Geschäftsstadt West, die halb Ottensen in ein Büroquartier mit Autobahnzubringer verwandeln wollten.
Lange galt Denkmalschutz als Orchideenfach – wenngleich er in der Hansestadt seit 100 Jahren Rechtsschutz genießt. Am Neujahrstag 1921 trat das Denkmalschutzgesetz in Kraft und ist bis heute „das wichtigste und schlagkräftigste Instrument zu Bewahrung des baulichen Erbes“, sagt die Geschäftsführerin des Denkmalvereins. Zugleich konstatiert Sassenscheidt: „Der Denkmalbegriff hat sich seitdem peu à peu erweitert.“ Denkmalschutz sei immer eine Reaktion auf Verluste gewesen, sagt die 43-Jährige. „Erst als die Industriebauten brach fielen, entdeckten die Menschen den geschichtlichen Wert dieser Gebäude.“
Sassenscheidt bedauert Verlust der Postpyramide
Sassenscheidt zitiert einen alten Satz: „Die Enkel engagieren sich für die Bauten ihrer Großeltern und schützen sie vor ihren Eltern.“ Tatsächlich gelten junge Gebäude als besonders gefährdet, sie haben wenige Fürsprecher, aber viele Gegner. So bedauert Sassenscheidt bis heute den Verlust der Postpyramide in der City Nord, einer der wenigen Bauten des Brutalismus in der Stadt. 2018 wurde sie abgerissen, „weil sie leider nicht als konstituierender Bestandteil des Denkmal-Ensembles City Nord“ galt.
Sie wirbt für einen neuen Blick auf alte Bauten, beispielsweise auch auf Parkhäuser aus den Sechzigerjahren. Hinter den Zweckbauten der automobilen Gesellschaft verstecken sich wahre Kleinode. „Für Autos hat man sich damals extrem viel Mühe gegeben, fast wie für Sakralbauten.“ Dazu zählt sie die Parkhäuser an Rödingsmarkt, Neue Gröninger Straße und der Große Reichenstraße, sie alle sind Preziosen der automobilen Zeit.
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Für die Zukunft böten sie Gestaltungsraum, andere Städten haben es mit faszinierenden Nachnutzungen von Parkhäusern etwa als Wohnungen vorgemacht. „Die Genossenschaft in der Neuen Gröninger Straße versucht das derzeit“, sagt Sassenscheidt. Werden diese Bauten damit der Allgemeinheit entzogen und privatisiert? Sassenscheidt verneint: „Der Bülau-Wettbewerb der Patriotischen Gesellschaft hat über Nachnutzungen des Parkhauses am Rödingsmarkt nachgedacht – bei den meisten Entwürfen blieb der besondere Lichthof für alle erfahrbar.“
"Bei Denkmalschutz geht es nicht primär um Schönheit“
Noch immer bedauert Sassenscheidt den Abriss des Cityhofs – mehrere Jahre rangen Denkmalschützer mit dem Senat um die vier Hochhausscheiben am Klosterwall, die nach Plänen von Rudolf Klophaus 1958 fertiggestellt wurden. „Der Cityhof war städtebaulich markant und stand für seine Zeit. Leider hatte er seine schönsten Jahre hinter sich“, sagt Sassenscheidt. Die Verschandelung in den Siebzigerjahren, als die weißen Keramik-Fliesen hinter grauen Eternit-Platten verschwanden, habe mit dazu beigetragen, dass die Bevölkerung sich nicht mehr für den Bau erwärmen konnte.
Der Abriss der Cityhöfe im Zeitraffer:
Der Abriss der Cityhöfe im Zeitraffer
„Der Cityhof war ein Denkmal, das einen zweiten oder dritten Blick verdient gehabt hätte. Bei Denkmalschutz geht es nicht primär um Schönheit, sondern um Geschichte.“ Hat der Streit um den Cityhof den Denkmalschutz gestärkt? Sassenscheidt ist unentschieden: Einerseits habe er dazu geführt, dass eine teils sehr differenzierte Debatte über Denkmalschutz stattfand, andererseits aber könnte das Ringen um den als hässlich geschmähten City-Hof Vorurteile bestärkt haben, wonach Denkmalschützer „alles unter Schutz stellen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.“
Einen wichtigeren Meilenstein im Denkmalschutz sieht Sassenscheidt im Gängeviertel: Das zum Abbruch freigegebene althamburgische Quartier zwischen Kaiser-Wilhelm-Straße und Caffamacherreihe konnte in letzter Minute gerettet werden. Eigentlich waren die Altbauten zum Abriss freigegeben, als im August 2009 Künstler das Gängeviertel besetzten. Sassenscheidt engagierte sich früh in der Initiative „Komm in die Gänge“, die ein gewaltiges Echo auslöste. „Das Gängeviertel hat ein Momentum gebracht“, sagt Sassenscheidt rückblickend. Schon nach wenigen Wochen des Protestes reagierte der schwarz-grüne Senat, der Kaufvertrag mit dem holländischen Investor wurde rückabgewickelt.
Der Denkmalverein ist längst ein wichtiger Akteur
Allerdings zieht sich der Sanierungsprozess dort bis heute hin, erst drei Häuser sind komplett fertiggestellt. „Es steht noch einiges an“, sagt Sassenscheidt und verweist auf Schier’s Passage, den Durchgang vom Valentinskamp ins Gängeviertel: „Da gibt es unterirdische Gänge, die Gänge des Gängeviertels. Um die zu retten, müssen sich die Gängeviertel-Genossenschaft, Stiftungen und Politik noch einmal anstrengen.“
Der Erfolg in den Gängen gab nicht nur den Initiativen Auftrieb, er belebte auch die städtische Debatte und motivierte viele Menschen genauer hinzuschauen. „Ich fand toll, wie intensiv darüber diskutiert wurde, wohin sich die Stadt entwickelt und wie wichtig ihre Altbauten sind.“ Der Denkmalverein ist längst ein wichtiger Akteur und will konstruktiv zur Debatte beitragen. Die Zahl der Mitglieder ist inzwischen auf mehr als 600 gestiegen.
Ausdrücklich lobt Sassenscheidt den Erhalt des sogenannten Warmwasserblocks auf der Veddel durch die Saga, der schon auf der Abrissliste stand. Die Wohnungsbaugesellschaft will das Denkmal nun behutsam sanieren. „Hier wird nun Geld in die Hand genommen, aber davon profitieren die Veddel und Hamburg gleichermaßen“, so Sassenscheidt.
Sternbrücke: "Hier wird das Stadtbild zerstört"
Der Denkmalverein dokumentiert auf seiner Website Bilder und Geschichten von Gebäuden und Ensembles. Dort kann sich der Betrachter darüber die Haare raufen, dass der Wohnblock Elisa ebenso fallen musste wie Villen an der Alster, die Metallfabrik an der Bille oder das Deutschlandhaus. Gleichwohl kann man sich freuen, dass der ehemalige Tempel an der Poolstraße ebenso gerettet werden konnte wie das Fachwerk-Ensemble am Sachsentor oder die Fritz-Schumacher-Kapelle auf Finkenwerder. Besonders brisant ist die Auflistung der gefährdeten Gebäude – dazu zählen Bauernkaten, Gründerzeitvillen, Schulen und Fabrikgebäude – und die umstrittene Sternbrücke im Schanzenviertel.
„Der geplante Neubau ist mit einer Höhe von knapp 26 Metern monströs“, sagt Sassenscheidt. „Es wird nicht nur ein wichtiges Brückendenkmal abgerissen, es verschwinden auch sieben Altbauten. Hier wird das Stadtbild zerstört.“ Leider sei der Prozess politisch sehr weit fortgeschritten. Der grüne Verkehrssenator Anjes Tjarks hat klar gemacht, dass die Brücke der Mobilitätswende – Fahrrad- und Fußwegen sowie einer Bushaltestelle – im Weg steht. „Das Argument der Verkehrswende ist an dieser Stelle unglaubwürdig“, sagt Sassenscheidt.
„Der Senator hat eine ziemlich vergurkte Planung auf dem Tisch bekommen und musste sie wohl durchwinken.“ Sie verweist auf einen Alternativvorschlag des Fahrradclubs ADFC, wonach die Verkehrswende auch mit der alten Brücke gelingen könne. „Wir werden weiter kämpfen. Aber die politischen Signale sind nicht gut.“ Die Sternbrücke ist nur ein Beispiel von vielen: „Um die Hamburger Brücken und damit auch Stadtbild und Klima besser zu schützen, muss die Bahn ihre veralteten Richtlinien zur Berechnung von Restnutzungsdauern überarbeiten und der Bund auch Sanierungen mitfinanzieren.“
Café Seeterrassen: Elegantes Bauwerk der Nachkriegsmoderne
Während Sassenscheidt auf den Erhalt der Sternbrücke nicht wetten mag, ist sie beim abrissgefährdeten Café Seeterrassen im Park Planten un Blomen deutlich zuversichtlicher. „Das Gebäude des Architekten Ferdinand Streb ist ein elegantes Bauwerk der Nachkriegsmoderne. Leider steht es wegen nachträglicher Veränderungen nicht unter Schutz, aber es ist ein wichtiger Teil des Parkdenkmals.
Nach zwei runden Tischen ist deutlich geworden, dass das alte Gebäude und ein neues gastronomisches Konzept durchaus zusammenpassen.“ Der Ball liege nun beim Besitzer, der Hamburg Messe, sowie dem Bezirk Mitte und der Stadtentwicklungsbehörde. Sie appelliert an alle Beteiligten, schnell eine Lösung zu finden. „Derzeit steht das Gebäude leer und verfällt weiter. Wir brauchen jetzt rasch eine Zwischennutzung, für eine langfristige Lösung gibt es schon Interesse von Gastronomen.“
Die Vernachlässigung von Gebäuden mündet oft in dem Verlust. Was immer weiter verfällt, nimmt der Bürger bald nicht mehr als schutzwürdig wahr. „Wir versuchen deshalb auch immer wieder mit der Macht der Bilder zu arbeiten – mit positiven Visionen, wie es aussehen könnte“. So hat die Designerin Ulrike Krages Visualisierungen für ein neues altes Café Seeterrassen entworfen, aber auch für ein Facelifting der gefährdeten Fußgängerbrücke über der Willy-Brandt-Straße. „Manchmal muss man der Fantasie eben auf die Sprünge helfen.“
"Abriss und Neubau sind nur die letzten Alternativen"
Rund um die sogenannte Cremon-Brücke hat der Denkmalverein mit dem City-Hof e.V. im Sommer 2019 mehrere Veranstaltungen organisiert. „Menschen, die zum ersten Mal da waren, haben diesen Stadtraum mit neuen Augen wahrgenommen. Man wird dort nicht von den Autos gejagt, sondern kann verweilen. Die markante Brücke bietet interessante Sichtachsen in die Deichstraße hinein, auf das Mahnmal St. Nikolai und die HafenCity.“ Sassenscheidts Plädoyer: „Diese Brücke gehört auf die Denkmalliste. Sie bildet ein Ensemble mit der Landeszentralbank.“
Was denkt Sassenscheidt über den alten Satz von der „Freien und Abrissstadt Hamburg“, der Alfred Lichtwark zugeschrieben wird? „In ganz Europa sind Städte Abrissstädte geworden, weil es einen großen Zuzug gibt. Der steigende Entwicklungsdruck bedroht das gewachsene Stadtbild an vielen Orten.“ Sassenscheidt wünscht sich einen Paradigmenwechsel, der sich auf das Potenzial des Bestandes konzentriert.
„Dabei geht es nicht um Denkmalschutz, der ja nur zwei bis drei Prozent der Gebäude betrifft. Es geht um ein grundsätzliches Umdenken: Abriss und Neubau sind nur die letzten Alternativen.“ Sie kommt noch einmal auf Lichtwark zurück: „Die vielen Menschen, die sich in Hamburg für Denkmalschutz engagieren, werden den Satz schon widerlegen.“