Hamburg. Nach der Ankündigung von Senator Rabe gibt es Kritik. Schüler könnten frieren, der Unterricht werde leiden.

Der Unterricht an Hamburger Schulen soll alle 20 Minuten durch ein fünfminütiges Stoßlüften unterbrochen werden, um das Risiko einer Corona-Übertragung zu verringern – so hat es Schulsenator Ties Rabe (SPD) gefordert. Doch jetzt melden sich die Praktiker zu Wort. Sie haben Zweifel.

„Das ständige Lüften erschwert es weiter, dass der Unterricht annähernd regulär verläuft“, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Fredrik Dehnerdt. „Schon jetzt ist der Lernfortschritt nicht ansatzweise so groß, wie er sein sollte.“ Insbesondere bestreitet die Gewerkschaft, dass sich das geforderte Querlüften umsetzen lasse.

Hamburger Schulbehörde folgt den Empfehlungen von namhaften Virologen

„Wenn man sich die vielen Klassenräume ansieht, in denen es nur zu einer Seite überhaupt Fenster gibt, geht das einfach nicht“, sagte Dehnerdt. Die GEW plädiert für eine „intelligente Mischung“ aus Präsenz- und Fernunterricht. Etwa ein Drittel der Schüler könnte jeweils zu Hause unterrichtet werden. „Das ist auch für den Lernfortschritt besser, als dass im Winter alle Schüler und Lehrer dick eingepackt in kalten Klassenräumen sitzen“, sagte Dehnerdt.

Die Schulbehörde folgt mit den neuen Regeln den Empfehlungen von namhaften Virologen und Infektiologen, die im Rahmen zweier Expertenanhörungen mehrerer Bundesländer im September befragt worden waren. Das Lüften verursache keinerlei gesundheitliche Risiken, sondern wirke im Gegenteil vorbeugend bei Erkältungen, heißt es in dem Protokoll der Expertenanhörung. Eine der Witterung angepasste Kleidung der Schüler sei ausreichend.

Neue Lüftungsregeln sind für alle Schulen verbindlich

Doch Schüler, Eltern und Lehrer fragen sich, wie die Vorgabe konkret umzusetzen sei. Schulbehördensprecher Peter Albrecht weist darauf hin, dass die neuen Lüftungsregeln für alle Schulen verbindlich sind. „Hamburgs Schulen sind selbstverantwortete Schulen, und wir setzen daher bewusst auf viel Eigenverantwortung der Schulen und Schulleitungen. Wir haben daher großes Vertrauen darin, dass die Schulen die Regeln vernünftig und praktikabel umsetzen“, sagte Albrecht. Eine zentrale Frage ist, wie die Schulen dafür sorgen, dass wirklich alle 20 Minuten für fünf Minuten gelüftet wird – etwa per Pausenklingel oder per Wecker?

Corona-Krise: Senator stellt Schulkonzept für den Herbst vor

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„Die Schulen werden dafür praktikable Lösungen finden. Die 20 Minuten sind ein Richtwert, von dem auch geringfügig abgewichen werden kann“, sagte Behördensprecher Albrecht. „Auf eine 45-minütige Unterrichtsstunde bezogen wäre ein praktikables Modell: Vor der Stunde lüften, dann einmal in der Mitte der Stunde und wieder am Ende/ nach der Unterrichtsstunde.“ Nach der Vorstellung der Behörde sollen die Lehrer die Fenster selbst öffnen und wieder schließen, aber sie können sich auch durch Schüler in geeigneter Form unterstützen lassen.

Schüler sollen während der Lüftung in der Regel im Raum bleiben

Die Schüler sollen während der Lüftung in der Regel im Raum bleiben. Das macht entsprechende warme Kleidung in der kalten Jahreszeit unumgänglich. „Die Schulen werden dafür praktikable Lösungen finden“, sagte Albrecht auch hier. Die Lüftungsregeln gelten auch für Klausuren und im Lehrerzimmer. Wegen der kurzen Pause müsse der Unterricht nicht neu strukturiert werden. Für Pausenhallen, Aulen und Mensen gilt bereits die Regel, dass nur alle 30 Minuten gelüftet werden soll, weil die Räume größer sind.

Irritiert zeigte sich Christian Gefert, Vorsitzender der Vereinigung Hamburger Schulleiter an Gymnasien und Direktor des Marion-Dönhoff-Gymnasiums in Blankenese. „Wir haben von diesen Regeln zum Lüften erst aus der Presse erfahren. Wir würden es sehr begrüßen, wenn uns solche Konzepte frühzeitig erreichten“, sagte Gefert. Er begrüße es zwar, dass die Behörde überlege, wie es mit der Lüftung in Klassenräumen weitergehen könne. Bei den derzeit moderaten Außentemperaturen sei es gängige Praxis an den Gymnasien, in so vielen Räumen wie möglich auch während des Unterrichts Fenster auf Kipp zu halten oder ganz zu öffnen.

Elternkammer befürchtet, dass Lüftungsintervalle nicht eingehalten werden

„Ich kann mir aber nicht ohne Weiteres vorstellen, wie wir bei niedrigen oder eisigen Temperaturen alle 20 Minuten fünf Minuten lang durchlüften, ohne dass Schüler frieren und wir eine Erkältungsgefahr ausschließen können“, sagte Gefert. Marc Keynejad, Vorsitzender der Elternkammer, befürchtet, dass die vorgegebenen Lüftungsintervalle nicht eingehalten werden. „Die Erklärung unseres Schulsenators, dass einzig das Stoßlüften einen positiven Effekt habe, da man nur dann einen förderlichen Luftaustausch bekomme, wenn eine ausreichende Temperaturdifferenz zwischen innen und außen vorläge, würde in der Praxis zu stark schwankenden Temperaturen führen.

Corona-Krise: Gesundheitssenatorin zur Lage in Hamburg

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Diese Temperaturschwankungen wird man vermutlich nicht alleine damit kompensieren können, dass die Schüler Jacken tragen.“, sagte Keynejad. Eine hybride Beschulung der Schüler wäre – direkt nach den Herbstferien gestartet – laut Keynejad eine sehr gute Vorbereitung auf die mögliche Situation, dass mehr Klassenstufen coronabedingt ins Homeschooling wechseln müssen, sowie zur Vermeidung eines übermäßigen Risikos. Anders als der Senator das erklärt habe, seien Konzepte dafür allerdings nicht sehr ausgefeilt.

CDU hält die neuen Lüftungsregeln zumindest kurzfristig für sinnvoll

Die CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Birgit Stöver hält die neuen Lüftungsregeln zumindest kurzfristig für sinnvoll. „Wir brauchen pragmatische und schnell umsetzbare Maßnahmen“, sagte Stöver. Stoßlüften sei wirkungsvoller als Dauerlüften. Alle 20 Minuten zu lüften störe zwar den Unterricht. „Aber wenn Experten dies empfehlen, sollten wir das berücksichtigen – Gesundheitsschutz geht vor“, sagte Stöver. „Es braucht allerdings eine einfache Handreichung für die Lehrer, wie der Unterricht dann organisiert werden soll. Das fehlt bisher.“ Scharfe Kritik übte Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus. Das Vorgehen des Schulsenators sei „nicht angemessen und ziemlich erbärmlich“.

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Es sei falsch, die neuen Lüftungsregeln pauschal für alle Schulen und Altersgruppen vorzugeben. „Es sollte stattdessen individuell für jeden Klassenraum geprüft werden, welche Maßnahmen dort sinnvoll sind“, sagte die Linken-Abgeordnete, deren Fraktion am Mittwoch in der Bürgerschaft die Einrichtung eines „Lüftungskatasters“ für alle Hamburger Schulen forderte. Die AfD-Fraktion hat kein Problem mit den Vorgaben der Behörde. „Frischluft hat früher nicht geschadet und ist sicherlich auch in Corona-Zeiten sinnvoll. Das regelmäßige Lüften führt ja auch nicht zu Einschränkungen“, sagte der AfD-Abgeordnete Thomas Reich. „Gerade in Zeiten steigender Infektionszahlen befürworte ich alles, was den Schulen die Schließung erspart. Dennoch braucht es zusätzliche Luftfiltergeräte“, sagte Anna von Treuenfels-Frowein (FDP).