Hamburg. Als ihr Sohn als Verdachtsfall in Quarantäne geschickt wird, beginnt für eine Hamburger Familie eine abenteuerliche Zeit.

41 Schulklassen waren in der vergangenen Woche in Hamburg wegen Corona in Quarantäne. Wie kommt man da eigentlich hinein – und wie wieder heraus? Das Abendblatt dokumentiert als Beispiel den Fall eines zwölfjährigen Jungen eines Hamburger Gymnasiums und seiner Familie.

Dienstagmittag. Pause. Henry sitzt neben seinem Mitschüler Johan (alle Namen von der Redaktion geändert) in der Schulmensa. Vielleicht 15 Minuten lang, werden die beiden später sagen. Die Jungen besuchen zwei unterschiedliche Klassen des siebten Jahrgangs.

Corona an der Schule: Henry muss in Quarantäne

Montag am frühen Morgen, eine Woche später. Henry ruft seine Mutter Katharina Hartwig an, noch bevor der Unterricht begonnen hat. „Ich komme jetzt wieder nach Hause, Mama“, sagt er. „Ich bin in Quarantäne.“ Katharina Hartwig fragt nach. „Wieso, was ist passiert?“ Henry: „Ich habe neben Johan gesessen und der ist coronapositiv.“

Katharina Hartwig arbeitet und kann ihren Sohn nicht aus der Schule abholen. „Macht nichts, dann fahre ich eben schnell mit der Bahn“, sagt Henry und ist eine halbe Stunde später zu Hause. Seine Mutter hat sich in den vergangenen Wochen tief in die Corona-Thematik eingelesen. Sie weiß sofort, dass ihr Sohn ein sogenannter „K1“-Kontakt ist (Kontaktpersonen der Kategorie I mit engem Kontakt), weil er direkt neben dem erkrankten Jungen gesessen hat.

K1-Kontakte sind laut Robert-Koch-Institut „Personen mit kumulativ mindestens 15-minütigem Gesichts-(„face-to-face“-)Kontakt mit einem Quellfall, zum Beispiel im Rahmen eines Gesprächs“. Katharina Hartwig beschließt, dass die ganze Familie aus Vorsicht­ ab sofort in Quarantäne geht. Und versucht, bei der Schule weitere Informationen­ zu erhalten.

„Dort herrschte aber verständlicherweise erst einmal Chaos. Man konnte mir am Telefon nur bestätigen, dass beide Jungen gesagt haben, dass sie nebeneinander gesessen hätten. Und dass Henrys Name damit auch an das Gesundheitsamt gemeldet wurde.“ Das Amt werde sich schnellstmöglich bei ihr melden. Schnellstmöglich, das hieß für Katharina Hartwig noch am selben Tag. Sie sollte sich irren.

Corona-Test der beiden Jungen ist negativ

Dienstagvormittag: Noch immer hat sich das Amt nicht bei Familie Hartwig gemeldet. Katharina Hartwig, die auch den großen Bruder von Henry aus Vorsicht nicht zur Schule geschickt hat, beschließt zu handeln. „Wir hatten am Wochenende zuvor viele Kontakte bei verschiedenen Sportveranstaltungen“, sagt sie. „Ich musste einfach wissen, ob sich die Kinder angesteckt haben. Schließlich hätte ich schnellstmöglich die Information an den Verein und alle weiteren Freunde weiterleiten müssen.“ Also kontaktiert sie eine Hausärztin, die bereits viele Sportler auf Corona getestet hat. Und fährt mit den beiden Jungen zum Test. Noch immer hatte sie nichts vom Gesundheitsamt gehört.

Dienstag, 20 Uhr: Eine WhatsApp aus der Hausarztpraxis: Der Corona-Test der beiden Jungen ist negativ.

Mittwochmorgen: Katharina Hartwig schickt ihren großen Sohn wieder zur Schule. Noch immer hat sich bei ihr keiner gemeldet. Mittlerweile ist der Kontakt von Henry zu seinem Mitschüler Johan über eine Woche her.

Gesundheitsamt will jeden Tag bei der Familie anrufen

Mittwochnachmittag: Eine Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes ruft bei Familie Hartwig an. Informiert die Mutter, dass Henry ein K1-Kontakt ist und insgesamt zwei Wochen in Quarantäne muss. Außerdem muss Katharina Hartwig viele Fragen zum Gesundheitszustand ihres Sohnes am Telefon beantworten. „Am interessantesten fand ich die Fragen, ob Henry übergewichtig sei und rauche“, sagt sie.

Katharina Hartwig wird genau instruiert, wie das Familienleben jetzt auszusehen habe. Henry solle nach Möglichkeit ein Bad alleine nutzen, sich nur in seinem Zimmer aufhalten und auch alleine essen. Der Kontakt zum Rest der Familie solle nach Möglichkeit auf null heruntergefahren werden. „Und das, nachdem der Kontakt zu dem infizierten Kind bereits acht Tage zurücklag.“

Die Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes kündigt eine Mail mit einem Fragebogen an. Künftig solle Henry zweimal am Tag Fieber messen, die Familie solle Protokoll über den Zustand des Jungen führen. Außerdem werde künftig jeden Tag das Gesundheitsamt bei der Familie anrufen. „Dabei hatte Henry keinerlei Symptome.“ Als Hartwig einwarf, dass ihr Sohn einen negativen Test vorweisen könne, wird sie für die Eigeninitiative gerügt. „Henry darf in der Quarantäne nicht einmal zum Briefkasten gehen“, heißt es. Und der negative Test würde an der Lage erst einmal nichts ändern.

Gesundheitsamt setzt Massentest in der Schule an

Donnerstagnachmittag: Katharina Hartwig telefoniert mit der Klassenlehrerin von Henry. Und erfährt, dass am Freitagvormittag vom Gesundheitsamt ein Massentest in der Schule angesetzt ist. Katharina Hartwig bekommt die Erlaubnis, ihren Sohn Henry nicht zu diesem Test schicken zu müssen. Schließlich wurde er bereits negativ getestet.

Donnerstag und Freitag: Katharina Hartwig wartet auf die Mail des Gesundheitsamtes. Doch nichts passiert.

Sonnabendmittag: Die Mail des Gesundheitsamtes ist da. In ihr wird die häusliche Quarantäne für Henry angeordnet, der Fragebogen zum Gesundheitszustand ist dabei. Mittlerweile ist der Kontakt der Mitschüler fast zwei Wochen her. Henry geht es blendend.

Montagnachmittag: Das Gesundheitsamt ruft bei Familie Hartwig an. Und fragt, wie es Henry geht. Noch einmal muss Katharina Hartwig alle Fragen beantworten. Insgesamt werden neun unterschiedliche Symptome und der Grad des Krankheitsgefühls abgefragt. Außerdem erbittet der Mitarbeiter, übrigens ein anderer Kollege als noch in der Vorwoche, die ausgefüllte Liste zur Fieberkurve zurück. Katharina Hartwig ist irritiert. "Wir haben diese Liste erst am Sonnabend bekommen", sagt sie. Außerdem habe ihr Sohn nach wie vor keinerlei Symptome. Da seien insgesamt vier gemessene Temperaturen doch nur wenig aussagekräftig.

Nach zwei Wochen wird Henrys Quarantäne aufgehoben

Dienstagmorgen: Der mittlerweile dritte Mitarbeiter des Gesundheitsamtes ruft bei Familie Hartwig an und erkundigt sich nach dem Befinden von Henry. Heute ist der Kontakt der beiden Schüler genau zwei Wochen her, also fragt Katharina Hartwig, ob Henry nun wieder raus dürfe. Der Mitarbeiter vom Amt will mit dem zuständigen Amtsarzt Rücksprache halten und dann noch einmal bei der Familie anrufen.

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Dienstag, eine Stunde später: Henry bekommt die Freigabe vom Gesundheitsamt. Die Quarantäne ist aufgehoben. Er darf Mittwoch zum ersten Mal wieder zur Schule. „Sie bekommen noch schriftlich per Post die Bestätigung, dass die Quarantäne vorbei ist“, heißt es noch. Dann seien die zwei Wochen Iso­lation für Familie Hartwig vorbei.

Mitarbeiter des Gesundheitsamtes rufen erneut an

Mittwochvormittag: Der nächste Mitarbeiter des Gesundheitsamtes ruft bei Familie Hartwig an. Es sei am Dienstag nicht gelungen, die Familie zu erreichen, sagt er. Man wolle auf diesem Wege auch nur einmal mitteilen, dass die Quarantäne heute aufgehoben sei. „Ich habe doch gerade gestern mit ihrem Kollegen gesprochen“, sagt Katharina Hartwig leicht irritiert. „Und außerdem ist Henry heute schon wieder in der Schule, weil wir bereits gestern vom Amt die Freigabe erhalten haben.“

Sonnabend: Familie Hartwig bekommt eine E-Mail vom Gesundheitsamt zwecks „Anordnung der Absonderung in sogenannter häuslicher Quarantäne“. Kleiner Schönheitsfehler: Diese Quarantäne ist laut Mail schon vier Tage vorher zu Ende gegangen.

Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

  • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum, und halten Sie mindestens 1,50 Meter Abstand zu anderen Personen
  • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
  • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
  • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
  • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an Ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden