Hamburg. Im geheimen Keller setzt Dirk Breiholz historische Zweiräder instand. Hamburg war einst führend bei Produktion und Handel.

Ein Keller, irgendwo in Hamburg. Hinter einer Holztür erschließt sich das Reich von Dirk Breiholz, der seit Jahren historische Fahrräder überarbeitet. Breiholz, im Hauptberuf sinnigerweise Fahrradmechaniker, pflegt diese Leidenschaft mit so viel Leidenschaft und Sachverstand, wie wohl kein Zweiter in Hamburg. Der 56-Jährige besitzt 18 eigene historische Räder, darunter ein ziemlich spektakuläres Hochrad. Die Werkstatt ist eigentlich sein Privatreich, allerdings können Freunde und Bekannte jederzeit auf seine technische Hilfe zählen. Das Abendblatt durfte sich ausnahmsweise an dem sonst nicht öffentlich zugänglichen Ort umsehen.

Wer den Raum betritt, fühlt sich um viele Jahre zurückversetzt. Manche älteren Hamburger können sich vielleicht noch dunkel an solche Fahrradwerkstätten erinnern – aber auch nicht wirklich. Denn die meisten Schmuckstücke, die Breiholz hier überarbeitet, pflegt und ausprobiert, sind so alt, dass sie genauso gut in irgendwelchen Sonderausstellungen präsentiert werden könnten.

Es riecht nach Öl, Leder und Staub. An den Wänden hängen unzählige Reifen, Fahrradschläuche, Gestelle. Und Lampen – manche rostig und verbeult, andere zweifellos alt, aber so gut erhalten, als seien sie kaum benutzt.

Im Einsatz meistens mit historischem Werkzeug

Name und Funktion vieler Einzelteile erschließt sich Laien erst mal gar nicht, aber das ist irrelevant. Denn mit traumwandlerischer Sicherheit bewegt sich Dirk Breiholz zwischen Regalen, Ständern und Kisten. Alles hier kennt er genau, und ebenso enthusiastisch wie geduldig erklärt er auch noch die kleinsten Details und die kompliziertesten Zusammenhänge. Breiholz spricht von „Innenklemmung“ und davon, dass er aktuell ein Rad „neu aufspeichen“ müsse.

Er lächelt viel, die Augen blitzen vergnügt. Ein Kenner und Könner in seinem Element. Schon als Teenager hat er sich für alte Räder interessiert – „und als Öko-Hippie natürlich erst recht“. Während des Archäologiestudiums habe sich dann das Interesse für alte Schätze weiter vertieft, und das sei dann nie mehr verloren gegangen.

Für alle Fälle vorbereitet: Die Materialien füllen viele Kisten und Kästen.
Für alle Fälle vorbereitet: Die Materialien füllen viele Kisten und Kästen. © Andreas Laible

Auch das viele Werkzeug ist eine Welt für sich. Altmodische Spatel und Klemmen liegen herum, etliche Zangen in allen möglichen Größen, wie man sie heute in keinem Werkzeugkasten mehr findet. Fast alles hat der Rad-Enthusiast bei Sammlerbörsen oder auf Flohmärkten erstanden, so gut wie nichts ist neu. „Das meiste an historischen Fahrrädern kann man nur mit passgenauem Werkzeug aus derselben Zeit bearbeiten“, erläutert Breiholz, „anders würde es gar nicht funktionieren.“ Als Beweis drückt er einen antiken Öler in eine Gewindeöffnung: „So war das damals gedacht.“

Individualität und technische Finesse

Individualität und technische Finesse der einzelnen Marken haben ihn stets fasziniert, erläutert Breiholz. „Die Entwicklung ist nie linear verlaufen, es gab immer wieder Hochphasen und gewaltige Sprünge.“ Beim Zuhören werden schnell vor allem zwei Dinge deutlich. Zum einen: Fahrräder waren schon früher viel komplexer, als es sich Laien so vorstellen, die einzelnen technischen Mechanismen schon vor mehr als 100 Jahren ungemein gut durchdacht. Und: Das Fahrradequipment wurde im Laufe der Jahre in hohem Tempo quasi ununterbrochen verändert, angepasst – und damit immer weiter verbessert.

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Lars Amenda, Hamburgs führender Experte für die Geschichte des Radfahrens, kommt vorbei. Amenda ist erster Vorsitzender des „Altonaer Bicycle-Clubs von 1869/80“ (ABC), des zweitältesten Fahrradclubs weltweit. Auch Breiholz ist Mitglied beim ABC, beide kennen sich seit vielen Jahren. Auf der Homepage gibt es viele Infos für die „Freunde und Freundinnen rostiger Speichen“, auch wenn das Programm aktuell wegen der Corona-Krise etwas heruntergefahren ist. Während sich Breiholz um alles Technische kümmert, schreibt und archiviert Amenda. Beide zusammen sorgen dafür, dass Hamburgs Fahrradgeschichte lebendig bleibt.

Hamburg war schon vor 1900 eine Hochburg des Fahrradhandels

Amenda hat einen Ordner mit Dokumenten aus Hamburgs Fahrradgeschichte mitgebracht. Da geht es um das „Velocipedenfahren“ in Lüder’s Salon am Schulterblatt oder im Altonaer „Englischen Garten“. Deutlich wird auch: Hamburg war schon vor 1900 eine Hochburg des Fahrradhandels – und dabei Drehscheibe für ganz Deutschland. Faszinierende Werbeseiten aus längst vergangenen Zeiten belegen das. Da preist der „Kunstmeisterfahrer“ Richard Schulz seine Radfahr-Schule in Ottensen an, und die „Erste Hamburger Fahrräder und Nähmaschinen-Fabrik“ eines gewissen M. Schlumprecht aus der Pastorenstraße bietet „Versand nach allen Ländern der Erde“.

Werkstattgast: Lars Amenda vom Altonaer Bicycle-Club von 1869/80.
Werkstattgast: Lars Amenda vom Altonaer Bicycle-Club von 1869/80. © Andreas Laible

„Die viele Werbung belegt den Boom des luftbereiften Fahrrads in den 1890er-Jahren“, sagt Amenda. „Die vielen Händler mit der gegenseitigen Konkurrenz trugen maßgeblich dazu bei, dass bei sinkenden Preisen immer mehr Menschen den Traum vom eigenen Fahrrad realisieren konnten.“

Im Zentrum der Werkstatt steht ein seltenes Stück, auf das der ABC besonders stolz ist: ein Hammonia Fahrrad aus dem Jahr 1904 von A. H. Ueltzens Hammonia-Fahrräder am Rödingsmarkt – „Bei Verwendung von nur allerbestem Material“, wie eine Werbeseite ausweist. Ein Sammler aus dem Raum Nürnberg hat es angeboten, und mithilfe der Haspa konnte es erworben werden. Ursprünglich war es mal schwarz mit goldfarbener Zierlinie, wie Dirk Breiholz weiß, die Felgen elfenbeinfarben, die Reifen rot.

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Dirk Breiholz bearbeitet die Rarität nun und tut dabei, was er immer versucht. „Es muss darum gehen, das Rad instand zu setzen, nicht, es zu restaurieren“, erläutert er, „das wird oft verwechselt.“ Ein altes Fahrrad dürfe niemals seine historische Aussagekraft verlieren, deshalb sollte es auch keinesfalls übermalt werden. „Man muss es so sehen“, sagt Breiholz. „Ein altes Fahrrad erzählt seine Geschichte. Und die darf man ihm nicht wegnehmen.“