Hamburg. Anfang Mai rücken die Briten in der Hansestadt ein. Sie regieren mit harter Hand, Misstrauen prägt den Alltag.

Immer wieder wird berichtet, dass die Hamburger den Einmarsch der Briten Anfang Mai 1945 geradezu herbeigesehnt hätten. Wahr ist, dass die große Mehrheit zwar inständig die kampflose Übergabe der Stadt und das Ende des Krieges wünscht, dem Eintreffen der Besatzer aber mit höchst gemischten Gefühlen entgegensieht. Im besten Falle waren es Aufgeschlossenheit und Neugier, weitaus häufiger Unsicherheit, nicht selten Angst.

Quellen zeigen aber auch, dass etliche Hamburger am Anfang der Besatzungszeit offenbar damit rechnen, schnell wieder zur Tagesordnung übergehen zu können, mancher sieht sich fast auf Augenhöhe mit den Briten. Doch die Besatzer sind zunächst voller Misstrauen, oft auch voller Hass. Nach jahrelangem Krieg haben sie wenige Wochen zuvor auch noch das Konzentrationslager Bergen-Belsen entdeckt – ausgemergelte Menschen, Massen­gräber.

Der Hamburger Historiker und Journalist Michael Ahrens hat sich in seiner Doktorarbeit „Besatzerleben in einer fremden Stadt – die Briten in Hamburg (1945–1949)“ mit dem Thema beschäftigt. Seine Studie zeigt deutlich, dass der Start dieser Zeit in Hamburg vor 75 Jahren alles andere als harmonisch verläuft. Vor allem eisige Distanz prägt in den ersten Monaten den Alltag.

Montgomerys deutliche Worte für die Hamburger

Briten dürfen unter anderem privat nicht mit Deutschen sprechen, keine Geschenke verteilen oder Einladungen annehmen. Im Juni wendet sich der Ober­befehlshaber der britischen Truppen, Feldmarschall Bernard Law Montgomery, mit einer Botschaft an die Bevölkerung. Darin erläutert er mit scharfen Worten, warum die Soldaten nicht einmal auf Grußformeln und Winken der Zivilbevölkerung reagieren. Unter anderem teilt er mit: „Es ist unser Ziel, das nationalsozialistische System zu zerstören. Es ist zu früh, um sicher sein zu können, dass dieses Ziel erreicht ist.“

Lesen Sie hier auch den Bericht eines Zeitzeugen

Einen Tiefpunkt erreichten die Beziehungen, als die Briten rigoros Hamburger Wohnraum für sich und ihre Familien konfiszieren, vor allem westlich und nördlich der Außenalster. Hinzu kommen alle großen Hotels, mehrere Schulen und fast 25 Sportplätze. Innerhalb einer knapp zweiwöchigen Frist müssen Hamburger Familien dafür ihre vier Wände räumen, um in Kellern und Nissenhütten unterzukommen.

Getriebe der großflächig zerstörten Stadt kommt wieder in Gang

Die Übersetzerin Mathilde Wolff-Mönckeberg, gebildet und kosmopolitisch, schreibt in einem Brief: „Ich sehe nicht ganz ein, was England jetzt anders machen sollte. Es kann nicht Rücksicht auf jeden Einzelnen nehmen und hat wahrlich Grund genug wie alle Nationen, Deutschlands Haltung während des ,Hitlerismus‘ aufs Tiefste zu verabscheuen.“ Wie viele Menschen die Dinge wie Wolff-Mönckeberg sehen, muss offen bleiben, weil nur wenige in diesen Tagen ihre Gedanken ehrlich mitteilen, andere sind angesichts der dynamischen Ereignisse innerlich hin- und hergerissen.

Relativ zügig kommt das Getriebe der großflächig zerstörten Stadt wieder in Gang. Am 1. Juni wird erstmals das „Hamburger Nachrichtenblatt“ der Militärregierung gratis verteilt, kurz danach geht der Postbetrieb wieder los. Ende Juli erhalten die Kinos Betriebsgenehmigungen, im August öffnet das St. Pauli Theater den Spielbetrieb.

Verhältnis zwischen Besatzern und Besetzten entspannt sich

Heute ist nur noch wenig bekannt, wie stark die Stadt damals von der Präsenz der Besatzer geprägt ist: Im Sommer 1947 leben rund 30.000 Briten in der Hansestadt. Wie Ahrens nachweist, wohnen ein Jahr später in Stadtteilen wie Harvestehude, Othmarschen und Blankenese mehr als 1500 britische Familien, für die mehr als 20 eigene Buslinien unterhalten werden. Englische Namen sollen damals heimatliche Gefühle erzeugen. So heißt die Laeiszhalle Broadcasting House, der Ratsweinkeller „Ship an Dragon Club“. Im kürzlich abgerissenen Deutschlandhaus hat der feudale „Victory Club“ seinen Sitz, in der Reemtsmavilla an der Parkstraße der „Officers Country Club“.

Mit der Zeit entspannt sich das Verhältnis zwischen Besatzern und Besetzten. Das Misstrauen weicht, man kommt immer besser miteinander klar. Im Mai 1951 werden in den S-Bahnen die Sonderabteile für Briten abgeschafft, 1956 ersetzt man dann die Pkw-Nummernschilder „BH“ für „Britische Zone Hamburg“ durch „HH“. Die letzte rein britische Schule schließt 1957, im selben Jahr werden die noch übrig gebliebenen beschlagnahmten Wohnungen zurückgegeben. Als die Briten im Frühjahr 1958 endgültig abrücken, sind sie in den Augen vieler zu Freunden geworden – wie oft und gerne kolportiert wird. Der Weg dorthin war allerdings ziemlich steinig. Immerhin: Bis Ende 1949 geben sich alleine in Hamburg 1000 britisch-deutsche Paare das Jawort.

„Denazifizierung“ der Deutschen

Eines der Ziele der Militärregierung ist die „Denazifizierung“ der Deutschen, wozu in einem ersten Schritt die Verwaltungen von Nationalsozialisten gesäubert werden. Das als Entnazifizierung bekannt gewordene Verfahren mit seinen genauen Abläufen, Ergebnissen und Schwächen ist ein Kapitel für sich. Einige Fakten, mit denen sich die Hamburger vor 75 Jahren konfrontiert sehen: Zunächst werden alle Beamten, Angestellten und Arbeiter entlassen, die vor dem 1. Mai 1933 der NSDAP, SS oder SA beigetreten waren. Auch diejenigen verlieren ihre Stellen, die zwar später beigetreten waren, zwischenzeitlich aber eine vergleichsweise hohe Position erreicht haben.

Lesen Sie hier den fünften Teil der Serie

Lesen Sie hier den vierten Teil der Serie

Lesen Sie hier den dritten Teil der Serie

Lesen Sie hier den zweiten Teil der Serie

Lesen Sie hier den ersten Teil der Serie

Zur genaueren Prüfung muss jeder Bedienstete einen Fragebogen ausfüllen, falsche Angaben werden bestraft. Erst später wird das Verfahren systematischer, zum Beispiel, indem man Kategorien wie „Hauptschuldiger“ oder „Mitläufer“ einführt. Die Ergebnisse sind sehr unterschiedlich und zeigen die Mängel des Systems: Während von den Hamburger Richtern und Staatsanwälten mehr als 90 Prozent als „entlastet“ im Amt bleiben, werden bei der Polizei mehr als 60 Prozent der Oberbeamten entlassen. 16 Prozent der Schullehrer und 30 Prozent der Universitätsdozenten müssen gehen.

Laut einer abschließenden Statistik vom Dezember 1947 hat die britische Militärverwaltung seit Mai 1945 in Hamburg 327.157 Personen im Rahmen der Entnazifizierung überprüft. Rund 180.000 werden als unbelastet eingestuft, 15.052 als Mitläufer. Von denjenigen, die ihre Posten verlieren, gelingt später sehr vielen die Rückkehr.

c935551a-8476-11ea-b3fe-7c637902d949

„Hamburg. Krieg und Nachkrieg“ (Junius Verlag, 288 Seiten, 250 Abbildungen, 49,90 Euro), erhältlich in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32, Mo–Fr 12–17 Uhr, oder zu bestellen unter abendblatt.de/shop oder Tel. 554 47 29 20 (Mo–Fr 9–19 Uhr, Sa 10–16 Uhr).