Hamburg. Hamburg soll auf Steuer-Rückforderung an die Warburg-Bank verzichtet haben. Hat der Senat gelogen? Tschentscher und Scholz uneins.
Schwere Vorwürfe gegen die Stadt Hamburg: Die Finanzbehörde der Hansestadt soll auf die Rückforderung von rund 47 Millionen Euro verzichtet haben, die sich die Warburg-Bank durch Cum-Ex-Geschäfte aus dem Staatshaushalt verschafft haben soll.
Das berichten das ARD-Magazin "Panorama" (NDR) und die Wochenzeitung "Die Zeit" am Donnerstag. Die Summe gehe demnach aus Steuerunterlagen hervor, die nun im ersten Cum-Ex-Strafprozess vor dem Landgericht Bonn eingeführt wurden.
Die Stadt Hamburg soll nach Informationen des TV-Magazins spätestens seit 2016 von ihrem Anspruch gewusst haben. Die Finanzbehörde der Hansestadt sei darüber sowohl vom Bundesfinanzministerium unterrichtet worden als auch von der Staatsanwaltschaft Köln, die bereits im Januar 2016 erstmals die Warburg Bank wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung durchsucht hatte.
Trotzdem soll die Hamburger Finanzverwaltung ihren Anspruch auf die 47 Millionen Euro für das Steuerjahr 2009 Ende 2016 in die Verjährung laufen gelassen haben.
Warburg-Treffen mit Hamburger SPD-Spitze?
"Es gab zu diesem Zeitpunkt bereits finanzgerichtliche Urteile, die Cum-Ex-Geschäfte als illegal eingestuft haben, auch das Thema der Verjährung war allgemein bekannt", zitieren "Panorama" und "Zeit" den Mannheimer Steuerprofessor Christoph Spengel. Er war auch als Sachverständiger des Cum-Ex-Untersuchungsausschusses des Bundestages im Einsatz. "Wenn es dann um eine Summe von 50 Millionen Euro geht und dieser Sachverhalt einfach liegen bleibt, dann ist das ein Skandal", sagt er.
Trotz der laufenden Cum-Ex-Ermittlungen sollen sich Hamburger SPD-Spitzenpolitiker mit Christian Olearius, dem Inhaber und ehemaligen Chef des Bankhauses M.M. Warburg & CO, getroffen haben. Bei den Gesprächen soll es offenbar auch um steuerliche und strafrechtliche Probleme gegangen sein, die der Bank aus sogenannten Cum-Ex-Geschäften erwachsen waren. Laut "Panorama" und "Die Zeit" geht das aus bei Durchsuchungen beschlagnahmten Tagebüchern von Christian Olearius hervor.
Scholz soll sich mit Olearius getroffen haben
Der Inhalt der Tagebücher ist demnach sehr pikant: Aus den Aufzeichnungen soll hervorgehen, dass der damalige Bürgermeister Hamburgs und heutige Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) im November 2017 Christian Olearius in seinem Amtszimmer empfangen haben soll.
Als sich die beiden getroffen haben sollen, standen die Warburg Bank und ihr Miteigentümer Olearius wegen ihrer Cum-Ex-Geschäfte seit mehr als zwei Jahren im Fokus staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Zudem befand sich die Bank in einem offenen Steuerverfahren – bei diesem drehte es sich darum, wie das Hamburger Finanzamt mit Cum-Ex-Profiten im zweistelligen Millionenbereich umgehen sollte.
"Panorama" und "Die Zeit" berichten, dass sich Olearius zu dem Treffen mit Scholz notiert habe, dass er diesen über den Sachstand des Ermittlungsverfahrens und des Steuerverfahrens gegen Warburg unterrichtet habe. Wie Olaf Scholz darauf reagierte, geht aus den Unterlagen aber wohl nicht hervor. Laut seinen Tagebuchaufzeichnungen soll Olearius das Verhalten von Scholz allerdings so interpretiert haben, dass sich die Bank und Olearius "keine Sorgen zu machen brauchen".
Scholz stritt Warburg-Treffen stets ab
Bislang hatte Scholz Treffen mit Vertretern der Warburg-Bank im Zusammenhang mit Cum-Ex-Ermittlungen und Steuerverfahren stets abstreiten lassen. Die Linken-Bürgerschaftsfraktion hatte dazu eine Anfrage gestellt, auf die die Hamburger Senatskanzlei im November 2019 antwortete: "Nein“, es habe dazu weder mit Olaf Scholz noch mit dem damaligen Finanzsenator und heutigen Bürgermeister Peter Tschentscher Gespräche mit Vertretern der Warburg Bank gegeben. Jetzt steht der Vorwurf im Raum, der Senat habe gegenüber dem Parlament die Unwahrheit gesagt.
Wissenswertes über die Warburg Bank:
- Die M.M. Warburg & Co ist eine unabhängige Hamburger Privatbank, die in Deutschland und der Schweiz vertreten ist
- Sie wurde bereits im Jahr 1798 gegründet
- Das Bankhaus ist familiengeführt und mittelständisch geprägt
- Die Warburg Bank steht derzeit unter Druck wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung bei umstrittenen Aktientransaktionen
- Durch Cum-Ex-Geschäfte soll sich die Bank 47 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt verschafft haben
Fegebank fordert Stellungnahme von Tschentscher
Politiker unterschiedlicher Parteien forderten umgehend Aufklärung – sogar die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne). Die Recherchen zu Cum Ex seien beunruhigend und "werfen schwerwiegende Fragen", twitterte sie und forderte ihren Konkurrenten Peter Tschentscher (SPD) im Kampf um das Bürgermeisteramt zu einer Stellungnahme auf.
Ähnlich äußerte sich CDU-Spitzenkandidat Marcus Weinberg: „Bürgermeister Tschentscher muss jetzt für lückenlose Aufklärung sorgen. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, wäre das ein Skandal! Jeder Falschparker muss mit Säumniszuschlägen rechnen, wenn er seinen Strafzettel nicht bezahlt. Geklärt werden müssen auch die Dementi von Olaf Scholz und Johannes Kahrs über Gespräche mit der betroffenen Bank. Es geht hier um gestohlene Steuergelder der Hamburgerinnen und Hamburger sowie um die Vertrauenswürdigkeit von Bürgermeister Tschentscher.“
Tschentscher: Keinen politischen Einfluss genommen
Zufälle gibt’s: Weinbergs Pressemitteilung war kaum in der Welt, als sich Tschentscher bei einem lange geplanten Interview-Termin bei der "Hamburger Morgenpost" stellte. Dort wies er die Vorwürfe zurück und beteuerte, dass „überhaupt kein politischer Einfluss genommen worden ist“.
Im Gegenteil habe Hamburg immer an der Spitze der Aufklärung gestanden. „Auch bei der HSH Nordbank wurden 2008 bis 2011 Cum-Ex-Geschäfte gemacht, und ich gehöre zu denjenigen, die das aufgedeckt und mitbereinigt haben“, sagte der SPD-Politiker. Die HSH Nordbank habe viele Millionen gezahlt, um diesen Schaden wieder gut zu machen und noch ein Bußgeld obendrauf. „Das ist genau das, was wir wollen“, sagte Tschentscher, der von 2011 bis 2018 Finanzsenator war. „Diese Geschäfte sind rechtswidrig, und wir sind diejenigen, die sie aufgedeckt und bis zum Bundesfinanzhof durchgesetzt haben, dass wir diese Steuerrückforderungen vornehmen können.“
Hamburgs Bürgermeister: Keine Gespräche mit der Bank
Mit Blick auf den Fall Warburg sagte der Bürgermeister, er sei „als Finanzsenator immer informiert worden, wenn es besondere Vorgänge gab in der Steuerverwaltung“. Er dürfe zu einzelnen Vorgängen wegen des Steuergeheimnisses zwar nichts sagen, aber auch hier gelte, „dass es in dem steuerlichen Verfahren keine Verhandlungen, Gespräche gab mit der Bank, wo also Politiker Einfluss genommen haben“.
Zur Frage, warum die 47 Millionen Euro nicht zurückgefordert wurden, sagte Tschentscher, der Fall sei erst aufgefallen, als er viele Jahre zurücklag. Dann gelte: „Die Finanzämter haben immer den Versuch zu unternehmen, solche steuerrechtlich nicht korrekten Vorgänge zu entdecken. Sie müssen es aber auch immer belegen, sie können nicht sagen, wir nehmen mal an, dass es so ist. Deswegen ist es immer die Kunst, solche Strukturen nicht nur zu vermuten, sondern sie auch zu belegen.“ Damit deutete Tschentscher zumindest an, dass aus Sicht der Steuerbehörden die Schuldfrage wohl nicht so eindeutig war, wie andere sie darstellen.
Mit Blick auf das ominöse Gespräch des damaligen Bürgermeisters Olaf Scholz mit Warburg-Chef Christian Olearius räumte Tschentscher zwar indirekt ein, dass es stattgefunden habe: „Wer hat mit wem über solche Fragen gesprochen?“, stellte er die Frage selbst in den Raum und betonte: „Da ist es so, dass wir es ja gar nicht in der Hand haben. Wenn Politiker angesprochen werden zu steuerlichen Fragen, dann kann man das gar nicht verhindern. Ich habe jedenfalls als Finanzsenator sichergestellt, dass es keinen Einfluss gibt und auch keine Mitwirkung von Politikern in solchen Verfahren.“ Es könne ja nicht sein, „dass irgendjemand irgendjemanden anspricht und sagt, Mensch, kannste nicht was machen?“, betonte Tschentscher. „So ist es in Hamburg nicht.“
Linke erwägt Parlamentarischen Untersuchungsausschuss
Olearius ließ auf Anfrage über seine Bank erklären: "Zum normalen und wünschenswerten Dialog zwischen Politik und Wirtschaft gehört der persönliche Austausch, weshalb wir uns seit jeher zu verschiedensten Themen mit Politikern treffen. Dabei halten wir unsere Leitlinien und gesetzliche Regelungen ein. Die Inhalte dieser Gespräche machen wir unsererseits grundsätzlich nicht öffentlich."
Die Linke in der Bürgerschaft erwägt, in Zusammenhang mit den Cum-Ex-Geschäften der Hamburger Warburg-Bank und den umstrittenen Steuerdeals mit der Finanzbehörde, die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zu beantragen. „Wir prüfen zurzeit das weitere Vorgehen, ein PUA ist eine Option“, sagte Norbert Hasckbusch, Finanzexperte der Linken, dem Abendblatt am Donnerstag. Der PUA müsste von der neuen Bürgerschaft eingesetzt werden – dazu müssen mindestens 25 Prozent der Abgeordneten zustimmen.
CDU überlegt, Strafanzeige zu erstatten
Auch die CDU kann sich einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorstellen. „Das ist definitiv eine Option“, sagte der justizpolitische Sprecher der Fraktion, Richard Seelmaecker, dem Abendblatt. Er überlegt weiterhin, Strafanzeige zu erstatten. „Diese Sache stinkt zum Himmel – wenn 47 Millionen Euro nicht zurückgefordert werden, dann muss das möglicherweise strafrechtliche Konsequenzen haben“, so Seelmaecker weiter.
Die FDP-Bürgerschaftsfraktion fordert ebenfalls eine umgehende Aufklärung. "Ein Finanzsenator, der einer Privatbank 47 Millionen Euro ‚schenkt‘, anstatt das Geld in Schulen und Hochschule zu investieren, hat seinen Job falsch verstanden", sagte Anna von Treuenfels, Vorsitzende der FDP-Bürgerschaftsfraktion. "Bürgermeister Tschentscher muss auch seine Absprachen als Finanzsenator mit dem damaligen Bürgermeister Scholz offenlegen." Sollten die Vorwürfe zutreffen, stellten sich scherwiegende Fragen nach dem Umgang des rot-grünen Senats mit ihm anvertrauten Steuergeld. Die FDP-Fraktion werde dazu eine Anfrage stellen.“
Traf sich auch Kahrs mit Vertretern der Warburg Bank?
Die Tagebuchaufzeichnungen sollen zudem weitere pikante Details enthalten. So soll sich Olearius Anfang Dezember 2017 mit dem haushaltspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Kahrs, getroffen haben. Kurz zuvor soll das Bundesfinanzministerium die Hamburger Finanzbehörde angewiesen haben, endlich weitere Cum-Ex-Steuererstattungen in Höhe von 43 Millionen Euro von Warburg zurückzufordern und dieses Geld nicht in die Verjährung laufen zu lassen.
Johannes Kahrs soll sich im Dezember 2017 mit Olearius getroffen haben – auch der ehemalige Hamburger Innensenator Alfons Pawelczyk (SPD) soll dabei gewesen sein. Aus den Tagebuchaufzeichnungen soll hervorgehen, dass Johannes Kahrs sich in dem Gespräch dazu bereit erklärt habe, sich "in Berlin einen Durchblick“ zu verschaffen. Er wolle sich demnach der Frage annehmen: "Was treibt das Ministerium?". Kahrs dementierte auf Nachfrage von "Panorama" und "Die Zeit", ein solches Gespräch geführt zu haben.
Linken-Abgeordneter: Scholz soll Terminkalender offenlegen
„Wenn es stimmt, dass der damalige Bürgermeister und jetzige Bundesfinanzminister Olaf Scholz und der SPD-Strippenzieher Kahrs sich sehr wohl mit Christian Olearius von der Warburg-Bank besprochen haben, dann heißt das: Scholz und sein damaliger Finanzsenator Tschentscher wollten nicht nur gezielt darauf verzichten, viele Millionen Euro Steuerschuld von der Bank einzutreiben", sagte der Linken-Bürgerschaftsabgeordnete Hackbusch. "Sondern sie haben darüber auch noch das Parlament belogen. Das wäre ein handfester Skandal.“
Hackbusch interessiert: „Warum hat Olaf Scholz einem zentralen Profiteur des CumEx-Skandals gesagt, er brauche keine Angst vor Strafverfolgung haben?" Das rieche nach Kungelei mit der Warburg-Bank, die vertuscht werden solle. "Wir verlangen, dass Scholz seinen Terminkalender offenlegt“, so der Linkenpolitiker.
Warburg Bank – es geht um bis zu 280 Millionen Euro
Angeklagt in dem Bonner Verfahren wegen Steuerhinterziehung sind zwar zwei britische Aktienhändler, aber M.M. Warburg ist als sogenannter Einziehungsbeteiligter involviert. Für das Bankhaus geht es um einen Betrag von bis zu 280 Millionen Euro, abzüglich von Rückstellungen im zweistelligen Millionenbereich, die bereits von der Bank vorgenommen wurden.
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Das traditionsreiche Geldhaus war in den Jahren 2007 bis 2011 in Cum-Ex-Geschäfte verwickelt, bestreitet aber jede rechtswidrige Absicht. M.M. Warburg verhandelt mit der Finanzbehörde in Hamburg über die Rückzahlung von Geldern aus den umstrittenen Aktiengeschäften.
Was sind eigentlich Cum-Ex-Geschäfte?
Beim Handel mit Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende haben Banken die Finanzämter getäuscht, indem sie sich die auf Dividenden fällige, einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach vom Staat erstatten ließen.
Info: Zu sehen ist der "Panorama"-Beitrag am Donnerstag um 21.45 Uhr in der ARD.