Hamburg . Ist die Partei der Härte der SPD im Wahlkampf nicht gewachsen? Oder fällt den Genossen ihr nicht immer sauberer Stil noch auf die Füße?

Nein, glücklich wirkte Katharina Fegebank nicht bei der Vorstellung der grünen Radverkehrsstrategie am Donnerstag in der Grünen-Zen­trale. Einerseits verlangten doch immer alle, dass Politiker offen reden sollten, beklagte sich die Grünen-Bürgermeister-Kandidatin bei den Journalisten – und dann nehme man eine Nebenbemerkung von ihr und mache daraus ein Riesenthema.

Gemeint waren Berichte, nach denen sie bei einer Diskussion in der Handelskammer die Vorschläge der Volksinitiative „Autos raus aus der Innenstadt“ als „irre“ bezeichnet hatte.

Wahlkampfduell: Tschentscher bekam mehr Applaus als Fegebank

Dass die Grünen-Frontfrau in dieser Woche ein wenig mit der Welt haderte, hatte aber auch andere Ursachen. Schon der Start war nicht optimal gelaufen. Im ersten Wahlkampfduell mit SPD-Amtsinhaber Peter Tschentscher bei der „Zeit“ zog Fegebank nach Ansicht vieler Zuschauer eher den Kürzeren: Tschen­tscher machte mehr klare Punkte, bekam mehr Applaus und hatte mehr Lacher.

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Zwar gab es auch Beobachter, die Tschentscher zu großes Selbstbewusstsein oder gar „mackerhaftes“ Auftreten attestierten, wie man es von Sozi-Machos wie Gerhard Schröder kenne. Die Mehrheit aber nahm eher einen dynamischen, sattelfesten und angriffslustigen Amtsinhaber wahr – und eine nette Herausforderin, die den Attacken bisweilen aber wenig entgegenzusetzen hatte.

Diskussion um Vermummungsverbot auf Demos

Ihren Hinweis auf Probleme im Hafen etwa konterte Tschentscher mit der Bemerkung, es seien doch die Grünen, die immer gegen die Elbvertiefung arbeiteten, das sei ja interessant, dass sie sich plötzlich um den Hafen sorge – und bekam Applaus.

Als Tschentscher kritisierte, dass die Grünen das Vermummungsverbot bei Demonstrationen nicht mehr als Straftat werten wollen, während Polizisten nun Kennzeichnungen tragen müssten, bekam er ebenfalls Zuspruch aus dem Publikum.

Fegebank gelang es nicht, die in Wahrheit durchaus nachvollziehbare Grünen-Position deutlich genug zu machen: Dass es der Polizei nämlich mehr Spielraum gibt, wenn sie nicht für jeden Menschen mit tief sitzender Mütze gleich eine ganze Demo stoppen oder aufmischen muss, sondern je nach Lage entscheiden kann, ob das sinnvoll ist. Und dass aus eben diesem Grund auch die SPD in Schleswig-Holstein die Gesetze so geändert hat.

Grüne legten sich auf einen sehr freundlichen Stil fest

Damit hätte man Tschentschers Aussage als das entlarven können, was sie ist: eine ziemlich platte Wahlkampfparole. Dass Fegebank das nicht gelang, könnte auch mit der Festlegung der Grünen auf einen sehr freundlichen Stil zu tun haben: Sie wollen offenbar auch bei Attacken nicht zurückschlagen.

Der Kontrast könnte kaum größer sein: Die SPD hat Ex-Schröder-Berater Frank Stauss als Wahlkampfberater engagiert, der in seinem Buch „Höllenritt Wahlkampf“ klarmachte, dass man Konkurrenten in Wahlkämpfen nicht als Gegner, sondern als „Feinde“ zu sehen hat – weil man nur gewinnen kann, wenn man sich in den Kampfmodus versetzt.

Fegebank dagegen predigt seit Wochen, dass man sich nicht auf zu harte oder gar schmutzige Auseinandersetzungen einlassen dürfe – das sei nicht ihre Art und schrecke auch die meisten Wähler ab.

SPD spielt dagegen auch mal schmutzig

Dass die SPD auf Attacke setzt und auch mal schmutzig spielt, zeigt exem­plarisch der Büroleiter von Bürgermeister Tschentscher, Daniel Stricker. In seinen Privataccounts bei Twitter und Facebook verhöhnt der Helmut-Kohl-Verehrer, der zumindest lange Mitglied der CDU war, regelmäßig Opposition und Grüne. Formaljuristisch darf ein aus Steuergeld bezahlter Regierungsmitarbeiter in seiner Funktion nicht in den Wahlkampf eingreifen – Tschentscher aber wertet das Ganze offenbar als Privataktivität seines engsten Mitarbeiters.

So twitterte der Büroleiter des SPD-Bürgermeisters.
So twitterte der Büroleiter des SPD-Bürgermeisters. © Twitter | Twitter

Zu Wochenbeginn aber trieb es Stricker zu weit. Bei Twitter verbreitete er einen Tweet zum Streit über das Vermummungsverbot und ergänzte ihn mit dem Zusatz „#grünistgewaltbereit“. Diese Verleumdung aus dem Bürgermeisterbüro wollte man bei den Grünen nicht auf sich sitzen lassen. Fraktionschef Anjes Tjarks forderte eine Entschuldigung.

Auch CDU-Fraktionschef André Trepoll meldete sich zu Wort – und verwies auf andere Aussagen des Tschentscher-Intimus. Bei Facebook hatte Stricker die CDU-Politikerin Franziska Hoppermann, die in der Justizbehörde arbeitet, als „Hausdame“ des grünen Justizsenators Till Steffen bezeichnet.

Stricker war zu keiner Entschuldigung bereit

„Wenn sich der engste Mitarbeiter des Bürgermeisters als lose Kanone an Deck erweist, muss Tschentscher einschreiten“, forderte Trepoll. „Jeder hat das Recht auf eine politische Meinung, aber Beleidigungen und frauenfeindliche Bemerkungen haben mit Meinungsäußerung nichts zu tun.“

Tschentscher ließ die Kritik zumindest äußerlich kalt. Auf Abendblatt-Fragen zu den Äußerungen seines Büroleiters hieß es aus dem Rathaus lediglich: „Der Senat nimmt grundsätzlich keine Stellung zu privaten Meinungsäußerungen von Mitarbeitern der Freien und Hansestadt Hamburg.“

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Dass Stricker seinen Tweet zwar löschte, aber zu keiner Entschuldigung bereit war, genügte den Grünen nicht. „Wir nehmen zur Kenntnis, dass Herr Stricker nicht in der Lage ist, sich für seine Entgleisung zu entschuldigen. Das steht doch für sich“, sagte Fraktionschef Tjarks am Freitag. „Das bedeutet aber auch: Jetzt ist der Bürgermeister dran. Er muss für Anstand in seinem Umfeld sorgen.“

Grüne übernehmen Motto „When they go low, we go high“

Dass die Grünen angesichts der SPD-Attacken auch selbst mal hinlangen könnten, hält Tjarks für keine gute Idee. „Für uns ist ein respektvoller Umgang mit politischen Mitbewerbern sehr wichtig“, sagt er. „Alles andere ist nicht unser Stil.“

Grüne bemühen bisweilen den Ausspruch von Michelle Obama im US-Wahlkampf 2016: „When they go low, we go high“, sinngemäß: Je schmutziger die anderen spielen, umso anständiger zeigen wir uns. Das Blöde an dem Beispiel: Die Wahl haben die Demokraten seinerzeit mit dieser erhabenen Attitüde gegen Trump verloren.

SPD liegt nach NDR-Umfrage vor den Grünen

Dass die Angriffsstrategie der Genossen wirkt, zeigte eine neue NDR-Umfrage. Danach liegt die SPD plötzlich mit 32 zu 27 Prozent fünf Prozentpunkte vor den Grünen – während beide zu Jahresbeginn mit je 29 Prozent noch gleichauf rangierten. Bedeutet: Die SPD macht offenbar den wirksameren Wahlkampf.

Zwar wären 27 Prozent für die Grünen mehr als ein Verdopplung seit 2015. Seit sie das Ziel ausgegeben hat, stärkste Kraft zu werden und die Bürgermeisterin zu stellen, wird die Partei aber nur daran gemessen. So könnte es passieren, dass die Grünen stark gewinnen und die SPD massiv verliert – die Grünen aber, wenn sie Zweiter bleiben, als Verlierer und die SPD als strahlende Siegerin wahrgenommen wird, die aus Hamburg ein Überlebenssignal der Sozialdemokratie sendet.

Tschentscher: „Man muss nicht nur wollen, man muss auch können“

Auch Tschentschers Lieblingssatz gegen die Grünen hat zuletzt offenbar verfangen: „Man muss nicht nur wollen, man muss auch können.“ Das unterstreicht, was auch die CDU neuerdings betont: Die Grünen wollten immer ganz viel, kriegten aber wenig umgesetzt. Der Vorwurf verfängt womöglich, weil er nicht völlig von der Hand zu weisen ist.

Die Grünen haben ihre Mehrheiten in Mitte und Eimsbüttel nicht nutzen können. Es wurden in keinem Jahr seit 2015 die versprochenen 50 Kilometer Radwege gebaut, Grüne haben Fehler bei der Planung des Klimaschutzgesetzes gemacht, das Oberverwaltungsgericht hat ihren Luftreinhalteplan als rechtswidrig eingestuft, und die Umweltverbände halten ihre Umweltpolitik für nicht ausreichend.

Fegebank führte die Hochschulen in die Exzellenz

Schon unter Schwarz-Grün scheiterten sie an großen Vorhaben wie der Stadtbahn, der Schulreform oder dem Nein zum Kohlekraftwerk Moorburg. Immerhin, so heißt es von den Grünen, habe man den Rückkauf des Fernwärmenetzes umgesetzt – und Wissenschaftssenatorin Fegebank führte die Hochschulen in die Exzellenz.

Gleichwohl bleibt der Satz von der Umsetzungsschwäche hängen. Das zeigte auch die erste Frage bei der Vorstellung der grünen Radstrategie am Donnerstag. Warum man nun 100 Kilometer Radwege pro Jahr verspreche, wollte ein Journalistenkollege wissen – man habe ja nicht mal die 50 geschafft. Katharina Fegebank hätte eine deutliche Antwort geben können, etwa: „Das liegt daran, dass die von der SPD geführte Verkehrsbehörde lieber Straßen saniert als Radwege baut. Wenn wir für Verkehr zuständig sind, wird sich das ändern.“ Das sagte sie aber nicht. Stattdessen sprach sie von „Prioritäten“, ohne die SPD anzugreifen.

Man kann das als Loyalität verstehen – und fair finden. Eine andere Wahrnehmung der Lage wäre: Die Grünen lassen sich seit Wochen von der SPD am Nasenring durch die Manege führen. Und das bekommt ihnen gar nicht gut.