Hamburg . Debatte über Vorstoß von Umweltschützern. Keine Mehrheit für drittes Schienensystem. Was aber für eine Einführung spricht.
Mit seiner im Abendblatt erhobenen Forderung, Hamburg brauche neben der U5 auch eine Stadtbahn, hat BUND-Chef Manfred Braasch eine größere Debatte angestoßen. Dabei zeigt sich, dass das 2011 von der SPD verworfene System zwar noch viele Anhänger hat. Eine politische Mehrheit gibt es derzeit allerdings nicht für eine Stadtbahn – viele halten den sprichwörtlichen Zug für abgefahren, jedenfalls für die nahe Zukunft, nicht unbedingt für immer.
Eine Stadtbahn sei „grundsätzlich eine diskussionswürdige Alternative“, sagte Handelskammer-Vizepräses Axel Kröger. „In einer hochverdichteten Stadt ist sie aufgrund der oberirdischen Trassenführung aber mit enormen Konfliktpotenzial verbunden.“ Statt zum dritten Mal nach 2001 und 2011 die Einführung zu versuchen, solle Hamburg „die Planungen für den U- und S-Bahn-Bau konsequent weiterführen“, so Kröger.
Stadtbahn verschwende Straßenraum
Der ADAC forderte einen „Verkehrsfrieden“ nach Vorbild des Schulfriedens. „Wenn wir weiter diskutieren und nicht endlich zur Tat schreiten, werden wir auch in 30 Jahren keine moderne Infrastruktur haben“, so Sprecher Christian Hieff. „Der gleichzeitige Bau von U5 und Stadtbahn würde die Stadt nicht nur finanziell, sondern auch aufgrund der Eingriffe in den Straßenverkehr überfordern.“
Der Senat habe sich „für den Bau der U5, der S4 und der Erweiterung der U4 entschieden“, sagte Wirtschafts- und Verkehrsbehörden-Sprecherin Susanne Meinecke. „Mit einer Stadtbahn werden die Herausforderungen nicht gelöst. Sie braucht besondere Haltestellen, weil sie in der Mitte der Straße fährt, und sie verschwendet Straßenraum.“ Zudem behinderten ihre Signalanlagen den Autoverkehr. Aus der grünen Umweltbehörde hieß es, die Stadtbahn sei „leider nicht Bestandteil des Koalitionsvertrages“.
Grüne: eine gute Ergänzung
Für Grünen-Verkehrspolitiker Martin Bill ist klar, dass die heutigen „großen Engpässe im HVV“ damit zu tun hätten, dass CDU und SPD die Stadtbahn 2001 und 2011 gestoppt haben. „Klar ist aber auch, dass Planungen noch keine Menschen befördern, daher müssen wir dringend dazu kommen, neue Schienenwege zu bauen. Die U5-Planungen sind weit fortgeschritten, daher sollten wir diese Planung weiterführen.“ Das habe Priorität, schließe aber eine Stadtbahn nicht für ewig aus.
„Wenn der HVV immer mehr Fahrgäste hat, wie wir Grüne das politisch fördern, dann werden im nächsten Jahrzehnt weitere Buslinien überfüllt sein, die wir nicht durch U-Bahnen ersetzen können. Die Stadtbahn könnte dafür eine gute Ergänzung sein.“ SPD-Verkehrspolitikerin Dorothee Martin verwies auf die Neu- und Ausbauten von U5, U4, S4 oder S21. Damit trage der Senat innerhalb der nächsten 15 bis 20 Jahre den großen Mobilitätsbedarfen in der Stadt Rechnung, „so dass sich die Frage nach einem weiteren Schienensystem aktuell nicht stellt“.
CDU auf Seiten der Naturschützer
CDU-Verkehrspolitiker Dennis Thering warf der SPD vor, „eine ernsthafte Diskussion zur Stadtbahn mit ihrer absoluten Blockadehaltung verhindert“ zu haben. „Die Hamburger erwarten jetzt eine zügige Planung und Umsetzung der U5.“ Der Senat müsse endlich die Strecken-, Kosten- und Zeitplanung vorlegen, so Thering. CDU-Landeschef Roland Heintze gab BUND-Chef Braasch mit dessen Kritik Recht, dass dem Senat ein übergreifendes Mobilitätskonzept fehle.
Die CDU werde ein solches Konzept voraussichtlich im April vorstellen, so Heintze. „Dabei fokussieren wir auf innovative Mobilitätsideen ohne rückwärts gewandte Debatten neu zu entfachen.“ FDP-Fraktionschef Michael Kruse sagte, die Stadtbahn liefere „keinen sinnvollen Beitrag zur Entlastung des knappen Straßenraums, sie verdrängt den Individualverkehr nur“. AfD-Verkehrspolitiker Detlef Ehlebracht nannte das Projekt „unrealistisch und unbezahlbar“.
Linken-Verkehrspolitikerin Heike Sudmann dagegen sagte, eine Stadtbahn sei „hervorragend als Ergänzung geeignet, zum Beispiel für die fehlenden Querverbindungen wie auf dem Ring 3“. Die Baukosten lägen um ein Vielfaches unter denen der U-Bahn, und der Straßenraum würde „zugunsten umweltfreundlicher Verkehrsmittel umverteilt“.
Laut ADFC-Sprecher Dirk Lau würde eine Stadtbahn „Hamburg als Modellstadt für nachhaltige Mobilität sehr gut zu Gesicht stehen“. Frank Schier vom Zukunftsrat Hamburg plädierte ebenfalls dafür, die Stadtbahn parallel zur U5 zu planen. Vergleichbare Städte zeigten, dass diese „zu den beliebtesten Fortbewegungsmitteln“ zähle. Vor allem wünsche er sich „endlich ein ganzheitliches Mobilitätskonzept“, das den Bürgern „klar kommuniziert“ werde.
Private Autos blockieren öffentlichen Raum
Malte Siegert vom Naturschutzbund Nabu sagte, „mit Blick auf autonomes Fahren und eine Reduzierung innerstädtischen Verkehrs wäre auch eine Stadtbahn auf dem Ring 2 denkbar“. Hamburg fehle „ein Bekenntnis zu einer zukunftsweisenden innerstädtischen Mobilität, die dem ÖPNV eindeutig Vorrang vor anderen Verkehrsträgern einräumt“.
Prof. Jörg Knieling von der HafenCity Universität sagte, die Stadtbahn sei eine „effektive Ergänzung des heutigen Mobilitätsangebots und sollte überlastete Buslinien ersetzen“. Sie könne mehr Menschen transportieren, sei pünktlicher und komfortabler und besser mit Rollator oder Rollstuhl erreichbar als U-Bahnen. Konflikte bei der Trassenplanung ließen sich „durch frühzeitige Bürgerbeteiligung und intensiven Dialog in den Quartieren“ lösen, so Knieling.
Philine Gaffron, Verkehrsforscherin der TU Hamburg, verwies darauf, dass die Bevölkerung in der Metropolregion wachse, immer längere Wege zurückgelegt würden und viele Menschen unter „Abgasen, Lärm und Zeitverlusten durch Staus“ litten. Zudem würden Straßen und Plätze durch oft tagelang ungenutzt Privatfahrzeuge blockiert. „Um all dies möglichst bald zu ändern, brauchen wir schnelle und umfangreiche Angebotsverbesserungen im öffentlichen Nahverkehr“, so Gaffron. „Dafür sollte auch in Hamburg fachlich fundiert überprüft werden, ob und wo die vorhandenen Angebote durch eine Stadtbahn ergänzt werden können.“
Die Hochbahn wollte sich nicht zu dem Thema äußern. Man habe keinen Auftrag zum Bau einer Stadtbahn, also sei die Wirtschaftsbehörde zuständig.