Hamburg. Teil 9: Ein Bandscheibenvorfall muss nur selten operiert werden. Aber es gibt Situationen, in denen sofort ein Eingriff nötig ist.

Ein Schmerz zieht ins Bein, das sich auch teilweise taub anfühlt, und der Arzt macht beim Blick auf MRT- und Röntgenbilder ein bedenk­liches Gesicht: Ein Bandscheibenvorfall ist der Grund für die Beschwerden. Jetzt ist die Frage, ob eine Operation nötig ist, und der Patient erscheint in der Sprechstunde im Interdisziplinären Wirbel­säulen- und Skoliosezentrum Hamburg, Standort Asklepios Klinik St. Georg. „Viele Patienten, die zu uns kommen, haben massive Ängste und sehen sich schon fast im Rollstuhl. Dann ist es unser Job, die Erkrankung auf eine objektive Basis zu stellen“, sagt Dr. Hüseyin Übeyli, Chefarzt des Wirbelsäulen- und Skoliosezentrums.

Zunächst befragt der Arzt den Patienten, nach seinem Beruf, seinen Lebensumständen und anderen Erkrankungen. Dann folgt die körperliche Untersuchung und dann schaut er sich die MRT- und Röntgenaufnahmen an. In den meisten Fällen geht es ohne Operation. „80 bis 90 Prozent der Bandscheibenvorfälle werden gar nicht operiert. Bei 50-Jährigen wissen wir, dass mehr als 50 Prozent Bandscheibenvorfälle haben, bei 70-Jährigen haben 100 Prozent Bandscheibenvorfälle und degenerative Veränderungen.“, sagt der Chirurg. Entscheidend sei nicht, welche Veränderungen auf den Aufnahmen zu sehen seien, sondern welche Beschwerden der Patient habe.

Bei einem Bandscheibenvorfall tritt der gallertartige Kern der Bandscheibe durch ein Loch im äußeren Faserring nach außen. Drückt dieses Gewebe auf einen Nerven, können Schmerzen, Taubheitsgefühle und Lähmungen im Bein die Folge sein. Aber nicht die Schmerzen des Patienten sind entscheidend für eine Operation, sondern die Ausfallerscheinungen, die der Vorfall verursacht. „Es gibt akute Wirbelsäulenleiden, die einer sofortigen Operation bedürfen. Das sind Patienten, die entweder eine Entzündung im Bereich der Wirbelsäule haben, die sich in den Rückenmarkskanal ausgebreitet hat, Tumoren, Bandscheibenvorfälle oder Verletzungen, die akut auf das Rückenmark drücken und Nervenausfälle verursachen“, sagt der Chirurg.

Bei einer OP wird der Nerv vom Druck befreit

Dabei ist entscheidend, wie stark die Lähmung ist. „Wir unterschieden zwischen Grad 0 (kompletter Lähmung des Beines) und Grad fünf (normale Muskelstärke des Beines). Je nach Alter, Beruf und Freizeittätigkeit wird zwischen konservativer und operativer Therapie abgewogen. Im Allgemeinen kann man jedoch sagen, dass man ab Kraftgrad drei (bzw. geringer als vier) über eine Operation nachdenken sollte“, sagt Übeyli. Bei geringeren Lähmungen reicht eine konservative Therapie. Aber der Arzt erklärt seinen Patienten, was sie täglich an gezeigten Bewegungen machen müssen, um eine Verschlechterung festzustellen. Ein Beispiel: Wenn jemand zwischen dem 4. und 5. Lendenwirbel einen Bandscheibenvorfall hat, ist in der Regel der Fußheber und der Großzehenheber beeinträchtigt. Das heißt, wenn der Patient mehrmals täglich auf der Ferse geht, bemerkt er, ob auf einer Seite der Fuß herunterfällt. „Und wenn er feststellt: Ich kann das nicht mehr, müssen die Alarmglocken läuten und er muss sich bei seinem Arzt oder bei uns in der Notaufnahme melden“, sagt Übeyli.

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    Bei der OP wird der Nerv vom Druck befreit. „Die OP ist entweder mi­kroskopisch oder sie wird mit einem Endoskop durchgeführt. Bei der mikroskopischen OP sind die Schnitte zwei bis drei Zentimeter lang, endoskopisch noch kleiner. Von der Bandscheibe wird nur das Gewebe entfernt, das aus dem Faserring ausgetreten ist“, sagt der Chirurg. Nach der OP müssen die meisten Patienten schon am nächsten Tag aufstehen. Nach drei bis vier Tagen können sie die Klinik verlassen. Die Erfolgsaussichten einer Bandscheiben-Operation beschreibt Übeyli mit etwa 95 Prozent.

    Wenn der Patient neben den Beinschmerzen auch stärkere Rückenschmerzen hat, kann das daran liegen, dass die Bandscheibe zusammengesackt und nun Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule vorhanden sind. „In solchen Fällen muss man nach Objektivierung des Befundes über eine Stabilisierung der betroffenen Wirbelkörper nachdenken. Sie werden durch ein Schrauben-Stab-System verbunden, sodass die Beweglichkeit dort aufgehoben wird“, sagt Übeyli.

    Gefürchtete Komplikationen

    Es gibt zwei Komplikationen, die besonders gefürchtet sind. Die eine ist das erneute Auftreten des Bandscheibenvorfalls an derselben Stelle. „Denn dieser Bereich, wo der Kern herausgequollen ist, vernarbt. Vernarbtes Gewebe hat eine schlechtere Qualität als gesundes und deswegen bleibt das ein verletz­licher Bereich. Das Risiko liegt je nach Größe des Bandscheibenvorfalls bei fünf bis 15 Prozent.“ Die andere Komplikation ist eine ungünstige Vernarbung. So wie sich unsere Haut bei der Heilung zusammenzieht, tut es auch das Gewebe in der Tiefe unseres Körpers. „Es dauert ungefähr zwei Monate, bis nach einer Bandscheiben-OP alles bis in die Tiefe vernarbt ist. Aber wenn sich die Vernarbung so entwickelt, dass sie an Nerven zieht, dann hat der Betroffene wieder Schmerzen im Bein. Solche Beschwerden treten in etwa bei 15 Prozent der Patienten auf“, sagt Übeyli. Deshalb versuche man, bei der OP durch minimalin­vasive Methoden so wenig Schäden im Gewebe zu setzen wie möglich.

    Um das Risiko weiter zu minimieren, rät der Chirurg seinen Patienten, die Physiotherapie nach der OP ernst zu nehmen und die Neuromobilisation. Das ist eine bestimmte Technik, die Krankengymnasten anwenden, um Nerven zu bewegen. Dadurch hofft man, dass sich dort keine Verklebungen bilden können. Nach der OP sollen die Patienten ihrem Körper Ruhe gönnen und auf schweres Heben verzichten. Nach einer einfachen Bandscheibenoperation schließt sich kurz nach dem Krankenhausaufenthalt eine ambulante oder stationäre Reha an. Nach größeren Stabilisierungsoperationen folgt die Reha erst nach drei Monaten.

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