Hamburg. Teil 8: Beschwerden im Kreuz können seelische Gründe haben. Schmerzpsychotherapie kann helfen, Leiden zu lindern.
Wer mit chronischen Rückenschmerzen ins Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) zu Regine Klinger kommt, hängt oft fest in einer Spirale der Angst. Typisch für viele Patienten ist ein Verlauf wie dieser: Begonnen hat es etwa mit einem Bandscheibenvorfall, der akute Rückenschmerzen verursacht. Es folgt eine Untersuchung beim Orthopäden. Dieser stellt fest, dass eine Operation nicht nötig ist. Stattdessen verordnet er ein Physiotherapie. Eigentlich besteht für den Betroffenen nun Grund zu Optimismus, denn die meisten Bandscheibenvorfälle heilen aus.
Doch der Patient macht sich Sorgen: Könnten die Schmerzen schlimmer werden? Immerhin tut ihm bei fast jeder Bewegung der Rücken weh. Besser keine Schmerzen provozieren, denkt der Patient. Er gerät in eine Vermeidungshaltung, bewegt sich nur noch so, dass ihm der Rücken kaum noch oder gar nicht wehtut.
Schonhaltung verursacht Schmerzen
Etliche Monate darauf ist zwar der Bandscheibenvorfall ausgeheilt – doch die inzwischen verfestigte unnatürliche Schonhaltung beschert dem Patienten weitere Rückenschmerzen. Und die Angst ist geblieben. Der schon so lange Geplagte will natürlich keine Angst haben. „Es entsteht eine Angstvermeidungseinstellung“, erklärt Regine Klinger. „Der Patient glaubt inzwischen, dass Bewegung und Sport immer seinem Rücken schaden. Er überprüft gar nicht mehr, ob es anders sein könnte.“ Hier setzt Regine Klinger an. Die Schmerzpsychotherapeutin behandelt seit 25 Jahren auch Menschen mit chronischen Rückenschmerzen. „Wir können den Betroffenen aufzeigen, dass sie selbst etwas gegen ihre Beschwerden tun können“, sagt sie.
Wie andere Beschwerden werden auch Rückenschmerzen im Gehirn verarbeitet und dort bewusst wahrgenommen. Schon bei akuten, also erst seit Kurzem bestehenden Rückenschmerzen, beginne die psychologische Verarbeitung im Gehirn, und die Schmerzerfahrung werde dort gespeichert, erläutert Klinger. „Zum Glück lässt sich das Schmerz-Gedächtnis löschen.“
Akute Rückenschmerzen Arzt abklären lassen
Bevor eine Therapie mit diesem Ziel beginnt, sollte immer erst eine umfassende körperliche Untersuchung stattgefunden haben. Ein Patient mit akuten starken Rückenschmerzen gehört zum Arzt, nicht gleich zum Psychologen. Wer allerdings schon seit mehr als sieben Wochen unter Rückenschmerzen leidet und verschiedene Behandlungen durchlaufen hat oder besser mit seinen Schmerzen zurechtkommen möchte, dem kann womöglich eine Schmerzpsychotherapie weiterhelfen.
Sie plädiere allerdings grundsätzlich für eine „multimodale Sichtweise“, sagt Klinger: „An der Einschätzung und Behandlung von Rückenschmerzen sollten immer Schmerzmediziner, Physiotherapeuten und spezielle Schmerzpsychotherapeuten beteiligt sein.“ Warum? Schmerzmediziner kennen sich mit körperlichen Schmerzursachen und mit Schmerzmedikamenten aus. Eine unnatürliche Schonhaltung zu korrigieren ist Aufgabe des Physiotherapeuten. Auf die Einstellung und das Verhalten des Betroffenen einzuwirken, darum kümmern sich Schmerzpsychotherapeuten.
Regine Klinger und ihre Kollegen am UKE führen in der Ambulanz des Fachbereichs Schmerztherapie zunächst eine Diagnostik durch und betrachten dafür auch den Alltag des Betroffenen. Wo gibt es besondere Belastungen, etwa im Beruf? „Viele Betroffene sind so gestresst, dass sie gar nicht mehr zur Ruhe kommen. Das schlägt sich in Verspannungen nieder“, sagt Klinger.
Umgang mit Stress lernen
Im nächsten Schritt erklärt sie dem Patienten, wie psychische Faktoren - zum Beispiel die Aufmerksamkeit auf Schmerzen – die Rückenbeschwerden verstärken können. Die Therapeuten versuchen nun auch, dem Patienten dabei zu helfen, etwaige Stresssituationen und Konflikte zu lösen, zum Beispiel, dass der Betroffene sich bei Spannungen am Arbeitsplatz oder im Freundeskreis nicht nur als Opfer sieht, sondern auch die eigene Rolle dabei betrachtet, sich in andere hineinversetzt und überlegt, was er selbst verändern kann, damit er sich weniger gestresst fühlt.
Zudem vermitteln die Therapeuten verschiedene Techniken, die das Schmerzerleben positiv beeinflussen können, etwa die sogenannte Progressive Muskelentspannung. Der Patient erfährt, wie er sich vom Schmerz ablenken kann, etwa durch Treffen mit Freunden, wie er seine Gedanken auf Zuversicht schalten und herauskommen kann aus den Ängsten vor Schmerzen, wie er sich wieder mehr zutrauen kann, auch wenn er immer noch Schmerzen verspürt.
Der Patient lernt, sein Verhalten zu ändern
Damit es nicht nur bei guten Vorsätzen bleibt, soll sich der Patient auch konkrete Ziele setzen, beispielsweise vornehmen, einmal pro Woche zum Sport zu gehen oder regelmäßig einem anderen Hobby zu frönen, das ihn vom Sofa wegführt und ihm Spaß beschert. Im besten Fall lernt der Patient also schrittweise, sein Verhalten zu ändern, sich trotz der Schmerzen wieder zu bewegen und wieder am Leben teilzunehmen. „Wenn der Schmerz weniger Raum bekommt, wird dadurch das Schmerzerleben immer weiter eingegrenzt“, sagt Klinger.
Wie weit sich die Rückenschmerzen lindern lassen, hänge allerdings nicht nur davon ab, ob der Patient interdisziplinär behandelt werde, sondern auch davon, wie früh oder spät er sich an Schmerzpsychotherapeuten wende, sagt Klinger. Wer schon etliche Jahre unter Rückenschmerzen leide, habe es schwerer, sein Schmerzerleben positiv zu beeinflussen, als ein Patient, der erst seit einigen Monaten mit Beschwerden im Kreuz zu kämpfen habe.
Drei Fragen:
Privatdozentin Dr. Regine Klinger über ihr Vorgehen bei einer Schmerzpsychotherapie.
In welchen Fällen bin ich bei Ihnen richtig? Zum Beispiel, wenn Sie Rückenschmerzen haben, die schon von einem Arzt untersucht worden sind, ohne dass er Probleme wie eine entzündliche Erkrankung oder Lähmungserscheinungen in den Beinen festgestellt hat. Sie sind bei uns richtig, wenn Sport oder Physiotherapie alleine nicht mehr gegen Rückenschmerzen helfen oder wenn Sie zu viele Medikamente dagegen nehmen, die aber nicht helfen, oder wenn Sie unter Rückenschmerzen leiden, weil Sie das Gefühl haben, damit alleine nicht zurechtzukommen.
Wie kann die Schmerzpsychologie helfen? Wir können aufzeigen, dass der Patient selber etwas gegen Schmerzen tun kann. Zum Beispiel erklären wir, wie psychische Faktoren – etwa Aufmerksamkeit auf Schmerzen und Angst vor Schmerzverstärkung bei Bewegungen – Beschwerden im Rücken verstärken können. Dann helfen wir dem Patienten dabei, diese Einflüsse zu verändern – und wir vermitteln konkrete Techniken, die das Schmerzerleben positiv beeinflussen.
Was ist für Sie ein Behandlungserfolg? Wenn der Patient zu der Überzeugung gekommen ist, dass er die Schmerzen kontrollieren kann, wenn er wieder aktiver ist, sich ohne Ängste bewegt und gelernt hat, sich zu entspannen.