Hamburg. Mit der Schließung des Geschäfts hatte die Familie aus Rücksicht auf den Seniorchef bis zu dessen Tod gewartet.

Bis zuletzt erkundigte sich Werner Heinecke täglich bei seinen Kindern und Enkelkindern nach den Umsätzen. Ob sie gut oder schlecht waren, konnte der 98-Jährige gar nicht mehr richtig beurteilen – er wollte die alte Gewohnheit aber partout nicht aufgeben. Mehr als vier Jahrzehnte hatte er das Juweliergeschäft Heinecke am Eppendorfer Weg geführt – und war auch nach 1991, als sein Sohn die Geschäftsleitung übernommen hatte, täglich vorbeigekommen.

Ende September ist Werner Heinecke, der stets im feinen Zwirn gekleidete Schmuck- und Uhrenhändler, gestorben. Solange hat seine Familie das Geschäft geführt, auch wenn die Umsätze rückläufig waren. Jetzt aber setzt sie um, was schon seit einigen Jahren geplant war: Das Traditionshaus, das seit 1949 an dem Standort besteht, wird geschlossen. „Wir hätten es zu Lebzeiten meines Großvaters nicht übers Herz gebracht“, sagt Jan-Werner Heinecke. „Der Laden war seine Leidenschaft. Und sein Leben.“

Juwelier Heinecke am Eppendorfer Weg schließt.
Juwelier Heinecke am Eppendorfer Weg schließt. © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Den Grundstein für das Juwelier­geschäft legte Werner Heineckes Vater Carl August 1948 – in einem kleinen Laden an der Eppendorfer Landstraße, mit Küchenuhren und Weckern. Als der Vater noch im Gründungsjahr starb, übernahm Werner Heinecke und zog in den Eppendorfer Weg um. Dort erlebte er die Zeiten mit, die sein Enkel Jan-Werner die „goldenen Jahre“ nennt: Die Straße entwickelte sich zu einer renommierten Adresse, und der Laden lag so gut, dass Werner Heinecke einen Umzug in die Innenstadt kategorisch ablehnte.

Kunden bleiben weg: Internet ist schuld

Das wurde dem Geschäft am Ende aber zum Verhängnis. In den vergangenen Jahren mussten am Eppendorfer Weg immer mehr inhabergeführte Läden aufgeben – darunter Elektro Ruhland und die Konditorei Gantert. Schuld seien das Internet und die steigenden Mieten, sagt Jan-Werner Heinecke. „Durch das Ausbleiben der Kunden müssen Geschäfte schließen, in diese ziehen dann Büros ein, und die Gegend wird unattraktiver. Es ist ein Teufelskreis.“ In der Nachbarschaft seien nur die Gastronomen richtig zufrieden. Tatsächlich haben erst vor Kurzem Gewerbetreibende am Lehmweg eine Initiative gegen das onlinebedingte Ladensterben gegründet – sie wollen jetzt Touristen für das Viertel interessieren.

Der Onlinehandel und das schwächelnde Umfeld haben auch die Heineckes in die Knie gezwungen. Renommierte Uhrenmarken, darunter Omega und Ebel, hätten deshalb die Zusammenarbeit gekündigt, sagt Jan-Werner Heinecke. Die einen wollten ihre eigenen Uhren-Boutiquen eröffnen, die anderen haben einen eigenen Onlinevertrieb eröffnet. „Uhrenhersteller sind heute keine Kunden mehr, sondern Konkurrenten.“

Erleichterung und Wehmut

Das verlorene Uhrengeschäft konnten die Heineckes mit dem Verkauf von Schmuck nicht ausgleichen – die Möglichkeit, sich jetzt von dem Laden trennen zu können, bedeutet also auch eine Erleichterung. Trotzdem mischt sich viel Wehmut darunter. Bei allen fünf Familienmitgliedern, die in dem Traditionsgeschäft arbeiten: Werner junior, der 1971 in das Unternehmen eintrat, und seine Frau Ursula, die seit 1995 mitarbeitet – die sich beide aber ohnehin aus Alters- und Gesundheitsgründen zurückziehen wollten.

Ute Sparbier, geborene Heinecke, die seit 1973 im väterlichen Unternehmen tätig ist – und, ebenso wie ihr Bruder Werner junior, zunächst mit den Eltern in der kleinen Wohnung hinter dem Geschäft gewohnt hat. Und schließlich Anja-Ellen Heinecke und ihr Bruder Jan-Werner, die die Leidenschaft für Schmuck auch in vierter Generation bewahren: Anja-Ellen ist Goldschmiedemeisterin, Jan-Werner Diamantgutachter.

Noch 2005 wurde das Juwelier­geschäft durch das Anmieten eines benachbarten Ladens erweitert. „Damals konnten wir die schlechte wirtschaftliche Entwicklung noch nicht absehen“, sagt Jan-Werner Heinecke. Immer wieder blickt er auf die Monitore an den Wänden, um zu sehen, wer den Laden betritt. Seit in den 90er-Jahren seine Großmutter Ingeborg einmal im Laden mit Tritten attackiert, seinem Vater eine Schrotflinte an den Kopf gehalten wurde und ihm selbst einmal Trickdiebe eine goldene, 8000 Euro teure Uhr aus den Händen rissen, werden die Eingangstüren überwacht und nur auf Klingeln geöffnet.

Und es klingelt oft in diesen Tagen. Uhren, Schmuck, hochwertige Schreibgeräte und Silberwaren sind bereits herabgesetzt. „Wir verkaufen unsere Bestände, können aber auch noch nachbestellen“, sagt Jan-Werner Heinecke im Hinblick auf das bevorstehende Weihnachtsgeschäft. Anfang des kommenden Jahres gehen die Türen des Traditionsjuweliers am Eppendorfer Weg für immer zu.

Wie es dann weitergeht? Jan-Werner und Anja-Ellen Heinecke wissen es noch nicht. „Wir werden der Branche aber auf jeden Fall treu bleiben“, sagen sie. Tradition verpflichtet eben, gerade bei Menschen wie den Heineckes. Auch im Zeitalter des Onlinehandels.