Bürgermeister Peter Tschentscher interviewt Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider – und spricht einen wunden Punkt an.
Das hat es auch in der langen Geschichte des Hamburger Abendblatts nicht gegeben: Zum ersten Mal stellt sich nicht der Erste Bürgermeister den Fragen des Chefredakteurs – sondern umgekehrt.
Peter Tschentscher: Fühlen Sie sich als Chefredakteur des Hamburger Abendblatts wie ein Neben-Bürgermeister?
Lars Haider: Sie spielen darauf an, dass einer meiner Vorgänger in einem Interview einmal gesagt hat, dass der Chefredakteur des Abendblatts eine Art dritter Bürgermeister sei, nach dem echten Bürgermeister und dem Präses der Handelskammer. Und von einem anderen Kollegen wurde mir empfohlen, auf unserem Neujahrsempfang eine „Regierungserklärung“ abzugeben und dem Bürgermeister klar zu sagen, was ich besser machen würde. Ich kann beides nicht nachvollziehen. Ich bin nicht der Bürgermeister, ich bin ein Journalist.
Tschentscher: Sie sagen doch jeden Tag, was Sie von der Politik in Hamburg halten und was sie besser machen könnte.
Haider: Ich persönlich nicht ...
Tschentscher: ... aber Ihre Zeitung. Und Sie sagen den Redakteuren doch, was die von den jeweiligen Themen zu halten haben. Die müssen selbstverständlich so schreiben, wie der Chef sich das wünscht.
Haider: Schön wär’s.
Tschentscher: Es geht bei Ihnen demokratisch zu?
Haben Sie das Bedürfnis, in Hamburg mitzuregieren?
Haider: Manchmal sogar anarchisch. Es gibt jede Menge Meinungsbeiträge im Hamburger Abendblatt, die sich nicht mit meiner Meinung decken. Und das ist auch in Ordnung so.
Tschentscher: Ich frage noch mal nach: Haben Sie nicht oft das Bedürfnis mitzuregieren? Und wie groß ist die Macht der Medien?
Haider: Nein, das Bedürfnis mitzuregieren habe ich wirklich nicht. Und mit der Macht der Medien ist das so eine Sache. Denken Sie nur an die Hamburger Olympiabewerbung, für die sich alle Medien genauso wie die Politik stark gemacht haben. Die Mehrheit der Hamburger wollte etwas anderes.
Tschentscher: Wie beurteilen Sie das Verhältnis von Politik und Medien in unserer Stadt?
Wir sollten nicht zu nett zueinander sein
Haider: Es ist ein Verhältnis, das von Fairness geprägt ist, man geht sehr hanseatisch miteinander um. Und weil wir alle höfliche Menschen sind, muss man aufpassen, dass es nicht zu nett wird.
Tschentscher: Wir Politiker werden oft kritisiert von Medien, viele Journalisten sind sehr kritikfreudig. Warum sind sie dann immer so empfindlich, wenn man sie selbst kritisiert?
Haider: Sind wir das?
Tschentscher: Ich finde schon.
Haider: Ich nicht. Sie können mich jederzeit kritisieren, und Sie werden nicht selten sogar recht haben. Haben Sie die Erfahrung mit anderen Kollegen gemacht?
Tschentscher: Ja.
Haider: Erzählen Sie mal!
Tschentscher: Journalisten vermitteln einem manchmal, dass sie wie ein Gericht Urteile sprechen – und niemand diese Urteile infrage stellen darf.
Haider: Was Blödsinn ist.
Tschentscher: Schön, dass Sie das sagen.
Haider: Natürlich ist es schöner, wenn man für seine Arbeit gelobt wird. Aber gerade Journalisten, die alles und jeden kritisieren, müssen damit leben, dass sie selbst kritisiert werden. Dabei sollten Sie als Politiker nicht nachlassen.
Ich habe nicht mal Ihre Handynummer
Tschentscher: Das nehmen wir mal mit und beherzigen es die nächsten zehn Jahre.
Haider: Wobei man an der Stelle mit einem Mythos aufräumen muss: Es ist nicht so, dass der Bürgermeister ständig beim Chefredakteur des Abendblatts anruft, um sich zu beschweren oder irgendetwas anderes loszuwerden. Ihr Vorgänger hat mich in sieben Jahren einmal angerufen, und dabei ging es nicht um eine Beschwerde. Sie noch gar nicht.
Tschentscher: Ich habe nicht mal Ihre Handynummer... Was anderes: Zeitungen sind ja nicht mehr das einzige Medium, über das sich Menschen informieren. Glauben Sie, dass Ihre Zeitung in 20 Jahren noch von jemandem gelesen wird?
Haider: Zeitungen waren ja nie das einzige Medium, über das sich Menschen informiert haben. Auch wenn man glücklicherweise in Hamburg immer den Eindruck hatte, dass alle das Hamburger Abendblatt gelesen haben. Tatsächlich haben wir heute dank des Internets so viele Leser wie nie zuvor. Unsere Zeitung wird sicher auch in 20 Jahren gelesen werden, es bleibt die Frage, in welcher Form.
Tschentscher: Sie sind ja in Bremen sozialisiert ...
Haider: Wo kommt diese Legende her? Was glauben Sie, wie viele Jahre meines Lebens ich in Bremen verbracht habe?
Tschentscher: Das müssen Sie uns jetzt verraten.
Haider: Es waren nicht einmal drei. Ich bin in Hamburg geboren, ich bin in Hamburg aufgewachsen und hatte immer meinen ersten Wohnsitz hier. Aber irgendwie dringt das nicht bis ins Rathaus durch. Ihr Vorgänger hat mich bei meinem Antrittsbesuch vor sieben Jahren mit ans Fenster seines Büro genommen, nach draußen gezeigt und gesagt: „Das ist also die Binnenalster.“ Das war ein schlimmer Moment für einen leidenschaftlichen Hamburger wie mich.
Tschentscher: Gut, dann ist das geklärt. Gestern hatte ich Besuch vom Frauenrat, und ich habe dargelegt, dass der Senat viel tut für die Förderung von Frauen in Spitzenämtern.
Haider: Sehr gut.
Warum keine Chefredakteurin? Gegenfrage...
Tschentscher: Ja. Aber was ist mit Frauen in Spitzenpositionen beim Abendblatt?
Haider: Da sind wir viel besser aufgestellt, als Sie das wahrscheinlich denken: Unsere Marketingchefin ist eine Frau, unsere Personalchefin ist eine Frau, die Leiterin unserer Kulturredaktion ist eine Frau, unsere größte Redaktion, das Lokale, wird fast ausschließlich von Frauen geführt.
Tschentscher: Aber warum gibt es bei so vielen guten Frauen dann keine Chefredakteurin beim Hamburger Abendblatt?
Haider: Gegenfrage: Warum hat es in der langen Geschichte Hamburgs bei so vielen guten Politikerinnen noch nie eine Bürgermeisterin gegeben? Ich glaube, Sie sind der 499. Mann auf dem Posten.
Tschentscher: Aber bei uns wird das offen thematisiert und als positive Variante der Zukunft dargestellt.
Haider: Bei uns ist das nicht nur eine positive Variante. Natürlich könnte eine Frau genauso gut wie ein Mann das Hamburger Abendblatt führen. Aber ich bitte um Verständnis und Nachsicht, dass ich diese Entwicklung aus sehr persönlichen Gründen aktuell nicht vorantreibe.
Tschentscher: Das sehe ich ganz genauso für das Rathaus (lacht). In welchem Stadtteil in Hamburg wohnen Sie?
Haider: In Alsterdorf.
Tschentscher: Würden Sie in Hamburg weiter Wohnungen bauen? Und wenn Sie das nicht wollen: Wie würden Sie verhindern, dass das Wohnen in Hamburg immer teurer wird?
Haider: Ich würde weiter Wohnungen bauen, aber gleichzeitig darauf achten, dass sich der Charakter Hamburgs nicht verändert. Ich würde versuchen ...
Tschentscher: ... Hamburg so unattraktiv zu machen, dass keiner mehr herkommt.
Haider: Das wäre absurd. Ich würde noch stärker als bisher versuchen, die Gemeinden um Hamburg herum, bis hin nach Neumünster, als Satellitenstädte zu erschließen, von denen man die City mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichen kann. Hamburg muss man immer mit Schleswig-Holstein denken und umgekehrt.
Müssen da noch Autos durchfahren?
Tschentscher: Wie kommen Sie denn zur Arbeit?
Haider: Ich fahre mit dem Fahrrad.
Tschentscher: Das ist sehr löblich und gesund.
Haider: Ich will ehrlich sein: Das ist auch ein Verdienst der Verkehrspolitik Ihres Senats. Um es einigermaßen freundlich zu sagen, haben Sie es geschafft, mich davon zu überzeugen, aufs Fahrrad umzusteigen. Weil ich damit schlicht schneller zu meinem Arbeitsplatz in der Innenstadt komme als mit dem Auto. Ich hatte irgendwann genug davon, in Staus oder Baustellen zu stehen. Seitdem sehe ich übrigens auch Ihre Fahrradstraßen anders.
Tschentscher: Nämlich?
Haider: Als Autofahrer habe ich gedacht: Sind die verrückt im Rathaus, dass sie Straßen wie An der Alster oder Leinpfad zu Fahrradstraßen umbauen ...
Tschentscher: ... und jetzt sind es genau die Straßen, die sie benutzen?
Haider: So ist es. Und manchmal denke ich: Müssen da überhaupt noch Autos durchfahren?
Tschentscher: Das ist Ihre Position und könnte eine schöne Schlagzeile werden. Welche Themen entscheiden aus Ihrer Sicht die Bürgerschaftwahl 2020?
Haider: Es sind drei: Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen.
Tschentscher: Und das vierte ist der Verkehr.
Haider: Ja. Und es kommt noch eines dazu, das aus meiner Sicht viel zu wenig wahrgenommen wird: Das ist die soziale Ungleichheit in der Stadt. Die alles entscheidende Frage lautet: Was nützt mir die schönste Stadt der Welt, wenn ich sie mir nicht leisten kann?
Tschentscher: Was erwarten Sie als Journalist von einem guten Senat?
Haider: Ich weiß gar nicht, ob ich andere Erwartungen habe als als Bürger. Ich erwarte als Journalist vom Hamburger Senat, dass er offen ist, dass er mit uns spricht, dass er uns nicht anlügt. Ja: dass er uns nicht anlügt. Und dass er, wo er kann, für den Fortbestand der Presse und deren Freiheit eintritt.
Tschentscher: Das ist ein schönes Schlusswort.