Vertauschte Rollen: Marketingleiterin Vivian Hecker im Kreuzverhör von Veranstalter Thomas Collien. Es geht um Tops und Flops.
Normalerweise stellt Vivian Hecker die Fragen und will von Thomas Collien, Leiter des Hansa und St. Pauli Theaters, wissen: Wie viele Eintrittskarten kann ich für die Abendblatt-Leser bekommen? Ab wann können wir die verkaufen? Welche Sonderkonditionen gibt es? Man kennt sich, man mag sich – verhandelt wird dennoch hart. Und Fragen gibt es auch nach all den gemeinsamen Jahren noch viele. Nur stellt die hier Thomas Collien.
Thomas Collien: Wenn das Hamburger Abendblatt ein Varieté wäre, welcher Showact wärst du?
Vivian Hecker: Ganz klar: Conférencier. Ich würde durch das Programm führen, klare Ansagen machen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Musik läuft. Darin habe ich ja Übung. Meine Band hier in der Abteilung Marketing & Events ist immerhin 27-köpfig.
Collien: Dass du den Laden im Griff hast, kann ich bestätigen. Und ich muss es wissen, schließlich arbeiten wir seit zwölf Jahren zusammen ...
Hecker: Stimmt, seit 2006. Es war immer mein Traum, zum Hamburger Abendblatt zu kommen. Ich bin gebürtige Hamburgerin und mit dem Abendblatt aufgewachsen. Nach der Schule hab ich immer darauf gewartet, dass der Postbote kommt, denn damals wurde das Abendblatt noch per Post zugestellt. Als ich später Werbeleiterin bei „Bild am Sonntag“ war, kam das Angebot, zum Abendblatt zu wechseln – und ich wusste im Vorstellungsgespräch schon nach drei Minuten, dass ich das unbedingt machen will. Was uns beide angeht: Ich wusste, dass ich den Lesern eine riesige Freude mache, wenn ich für sie das Hansa-Theater wiederöffne. Und mir war klar, ich kann es nur mit dir machen, weil wir uns vollkommen aufeinander verlassen können. Zum 60. Jubiläum des Abendblatts sollte das Hansa-Theater für 60 Tage öffnen. Jetzt sind schon mehr als zehn Jahre daraus geworden ...
Collien: Und es geht hoffentlich noch lange weiter. Sag mal, haben wir überhaupt einen Vertrag?
Hecker: Brauchen wir nicht, ein Handschlag reicht.
Collien: Das Hansa-Theater gilt, wenn ich das in aller Bescheidenheit sagen darf, als echte Hamburgensie. Gibt es für dich noch anderes, was ganz und gar hamburgisch ist?
Hecker: Ja! Der Michel, das St. Pauli Theater, das Fischereihafen Restaurant, mir fällt da immer mehr ein ... Unbedingt auch unser Leitsatz auf der Titelseite des Abendblatts, „Mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen“. Den haben wir zuletzt auf die Zuckertütchen in unserem Abendblatt-Pop-up-Restaurant gedruckt, und die Gäste nehmen sich die mit, weil der Satz genau das ausdrückt, was sie empfinden und wofür das Hamburger Abendblatt steht.
Collien: Und was ist mit St. Pauli und dem HSV?
Hecker: Klar, aber das Derby war fußballerisch grausam. Und ehrlich gesagt, bin ich Dortmund-Fan.
Collien: „Ehrlich“ ist ein gutes Stichwort. Wenn ich dich charakterisieren sollte, würde ich sagen: freundlich, herzlich, hart und fair. Und du arbeitest sehr viel ...
Hecker: Ich empfinde das nicht als Arbeit. Mir macht es einfach einen riesigen Spaß, mir zu überlegen, was wir den Abendblatt-Lesern anbieten können. 200 Veranstaltungen sind das pro Jahr, auch Leserreisen. Wir machen Ticketing-Kooperationen mit Veranstaltern wie dir, haben die kaufmännische Verantwortung für Abendblatt-Magazine und -Bücher, gestalten das Treueprogramm für die Abonnenten, führen die Geschäftsstelle am Großen Burstah, organisieren „Märchen im Michel“, das Lieblingsmenü, und dann ist da ja auch noch der Abendblatt-Neujahrsempfang ...
Collien: … zu dem eingeladen zu werden, eine große Ehre ist. Gibt es viele Menschen, die kommen möchten und denen du absagen musst?
Hecker: Oh ja, Hunderte. Die Ersten melden sich schon ein knappes Jahr vorher, aber die Platzkapazitäten sind leider begrenzt.
Collien: Was muss eine Veranstaltung bieten, damit deine Abteilung Marketing & Events sie in ihr Programm nimmt?
Hecker: Zunächst einmal muss das Angebot inhaltlich gut sein. Ein schwieriges Theaterstück braucht zum Beispiel auf jeden Fall eine prominente Besetzung. Und die Veranstaltung muss ins Gesamtprogramm passen. Wenn ich schon zwei Dinner-Shows im Portfolio habe, kann ich keine dritte gebrauchen.
Collien: Muss nicht auch auf jeden Fall ordentlich Geld damit zu verdienen sein?
Hecker: Natürlich müssen wir als Abteilung Geld verdienen, aber mit Produktionen für Kinder, die wir auch anbieten, ist das beispielsweise nicht möglich. Dafür sind die Eintrittskarten zu günstig. Wir gönnen uns das aber, weil wir möchten, dass Kinder mit dem Theater oder mit Büchern in Kontakt kommen.
Collien: Ein guter Ansatz, den ich auch verfolge.
Hecker: Anderes Beispiel: 2006 hatten wir die große Ausstellung „Verstummte Stimmen“ über die Vertreibung jüdischer Musiker und Bühnenarbeiter aus der Hamburgischen Staatsoper während der Nazizeit. Die kostete nicht einmal Eintritt, aber das Thema lag uns am Herzen. Im Übrigen ist mir wichtig, dass das Geld, das wir als Abteilung ausgeben, möglichst in Hamburg bleibt. Der aktuelle Abendblatt-Kinospot wurde von einer Hamburger Agentur und einer Hamburger Produktion gemacht. Auch die Magazine werden überwiegend in Hamburg gedruckt.
Collien: Wir haben jetzt viel über Erfolge gesprochen, gab es in deiner Zeit beim Abendblatt auch einen richtigen Flop?
Hecker: Oh ja, und der betraf Placido Domingo. Wir haben Karten für seinen Auftritt an der Staatsoper verkauft – und er ist nicht gekommen. Dann gab es bei uns Karten für die große „Aida“-Produktion mit ihm, die dann ausgefallen ist. Jetzt wird mir wieder angeboten, ein Konzert mit ihm zu präsentieren, aber das kann ich unseren Lesern einfach nicht zumuten. Das Hamburger Abendblatt kann nicht zum dritten Mal etwas präsentieren,
bei dem die Gefahr besteht, dass es erneut ausfällt oder der Stargast nicht kommt.
Collien: Apropos zumuten: Zur Abendblatt-Ausgabe, die von Fotograf Anton Corbjin gestaltet wurde, gab es ja sehr unterschiedliche Leser-Reaktionen. Eine Kooperation, die deine Idee war ...
Hecker: Und zu der stehe ich auch nach wie vor. Ab und an muss das Hamburger Abendblatt die bekannten Wege verlassen und etwas ganz anderes machen. Die Corbjin-Ausgabe ist für mich eindeutig das schönste Abendblatt des Jahres.